Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

wirtschaft + weiterbildung 10_2020 19 sich das Infektionsgeschehen zuspitzt und der öffentliche Druck zunimmt wird der Krisenstab neu besetzt und das vor- handene Wissen in der Organisation bes- ser genutzt. Die Beispiele zeigen: Die aktivierten Muster, also das „Wie“ im Umgang mit hoher Unsicherheit und in Extremsitua- tionen, sind sehr unterschiedlich. Jetzt kommt es auf smartes Organisieren an. Ein reflexhaftes Festhalten an den be- währten Entscheidungs- und Kommuni- kationsprozessen kann sich schnell fatal auswirken. Jetzt sind Organisationen im Vorteil, die sich frühzeitig mit krisentaug- lichen, „resilienten“ Formen des Organi- sierens auseinandergesetzt und diese für den Ernstfall trainiert haben. Denn wenn erst einmal Gefahr in Verzug ist, muss bereits klar sein, „WIE“ man am besten zum „WAS“ kommt: Wen brauchen wir am Tisch, um uns ein belast- bares Bild von der neuen Situation zu machen, wenn unsere bishe- rigen „Landkarten“ keine Orientierung mehr bieten? Wie treffen wir Ent- s c h e i d un g e n , wenn wir jede P e r s p e k t i v e und Expertise brauchen? Wie und von wem werden solche Entscheidungs- prozesse unter höchster Unsicherheit und Risiko moderiert? Wie navigiert man auf der kniffligen Gratwanderung zwischen demWunsch nach sicherheitsspendender Orientierung einerseits und andererseits der Bereitschaft, eigene Entscheidungen auch bei sich verändernder Lage immer wieder infrage zu stellen? Prinzipien für eine organisationale Resilienz Unter Resilienz verstehen wir die Fähig- keit, trotz widriger, völlig unerwarteter Umstände, Leistungsfähigkeit zu erhalten oder diese unter neuen Bedingungen zu entwickeln. Wodurch aber zeichnet sich resilientes Organisieren aus? Welche Prin- zipien stecken dahinter? Zunächst ist wichtig zu verstehen, dass es nicht ausreicht, eine hohe Anzahl re- silienter Individuen zu haben, um eine Organisation resilient zu machen. Denn während Psychologen beim Begriff der Resilienz vor allem an persönliche Co- ping-Fähigkeiten denken (der Begriff Resilienz wurde vor allem durch die Er- forschung der Eigenschaften von Kin- dern geprägt, die trotz ungünstiger oder widriger Verhältnisse ihr Leben unerwar- tet gesund und erfolgreich meisterten), meinen wir mit organisationaler Resili- enz vor allem eine kollektive Fähigkeit, die nicht zwischen den Ohren, sondern zwischen den Köpfen entsteht. Es geht also um Routinen, Formate, Rollen, Pro- zesse wie Information, Kommunikation und Entscheidung und nicht zuletzt um die auftretenden Emotionen und die Mo- tivation, sich all dem stellen zu wollen. Wenn von organisationaler Resilienz die Rede ist, werden immer wieder zwei wi- dersprüchliche Aspekte genannt, die zur Widerstandsfähigkeit beitragen und die sinnvoll miteinander ausbalanciert wer- den müssen: Auf der einen Seite steht das Behaupten oder Verteidigen gegenüber zerstörerischen Einflüssen. Zum anderen geht es aber auch um die eigene Fähigkeit zur Veränderung und Anpassung an ver- änderte Bedingungen. Der Wissenschaft- ler D. Denyer von der Cranfied School of Management sieht neben dem bereits angesprochenen Spannungsfeld von Kon- sistenz versus Flexibilität eine weitere Herausforderung darin, defensives Ver- halten mit progressivem Verhalten in Ein- klang zu bringen: Wie können wir Uner- wünschtes gezielt verhindern, aber auch Chancen in der Krise nutzen? Karl Weick und Kathleen Sutcliffe, die be- sonders erfolgreiche Hochrisikoorganisa- tionen untersucht haben, beschreiben Re- silienz als überlebenskritische Fähigkeit von Organisationen, die in einem Umfeld von hoher Unsicherheit und Risiko lei- stungsfähig bleiben müssen. Sie beschrei- ben fünf Prinzipien, die charakteristisch für dieses „High Reliability Organizing“ sind (siehe Buchtipp auf dieser Seite). Die fünf Prinzipien im Umgang mit der Unsi- cherheit sind: 1. Nutzt Fehler, Abweichungen und Über- raschungen als Fenster zum System! 2. Interessiert euch für das Hier und Jetzt! 3. Vermeidet vorschnelle Vereinfa- chungen! 4. Bereitet euch darauf vor, flexibel auf Unerwartetes zu reagieren! 5. Entscheidet am Ort des besten Wis- sens! Bei den ersten drei Prinzipien geht es darum, unerwartete Ereignisse möglichst frühzeitig zu antizipieren, und wie es ge- lingen kann, sich in unerwarteten Situ- ationen mit hoher Unsicherheit schnell ein gemeinsames, reiches Bild von der Si- tuation zu machen. Wenn Probleme, die sich zusammenbrauen möglichst frühzei- tig erkannt werden, sind die Handlungs- möglichkeiten ungleich größer, als wenn Probleme recht lange bagatellisiert oder unter den Teppich gekehrt werden. Die R Buchtipp. Annette Gebauer: „Kollektive Achtsamkeit organisieren“, Verlag Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2017, 368 Seiten, 49,95 Euro Buchtipp: Karl E. Weick, Kathleen M. Sutcliff: „Das Unerwartete managen“, Verlag Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2016 (dritte Auflage), 200 Seiten, 34,95 Euro

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