Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

wirtschaft + weiterbildung 10_2020 15 Was könnte man da als moderne Führungskraft zum Beispiel lernen? Liebermeister: So banal dies klingt: Influencer sorgen dafür, dass sie sichtbar sind – zum Beispiel, indem sie regelmäßig ihre Social-Media-Kanäle füttern und ihr virtuelles Netzwerk pflegen. Ähnliches gilt auch für alle anderen Personen, die In- fluencer sind oder sein möchten. So war es zum Beispiel auf- fallend, wie oft unsere Spitzenpolitiker speziell in der corona- bedingten Lockdown-Phase nach einem gewiss anstrengenden Arbeitstag abends noch in Fernseh-Talkshows saßen, um der Bevölkerung ihr Denken und Handeln zu vermitteln und zu erreichen, dass diese ihre Entscheidungen mitträgt. Das heißt, eine Führungskraft, die sich nur hinter ihrem Schreibtisch und Aktenbergen verbirgt, wird nie ein Influencer, denn eine Grundvoraussetzung hierfür ist: Man muss den Dialog mit den Netzwerkpartnern gezielt suchen. Haben Sie weitere Beispiele? Liebermeister: Ja. Alle erfolgreichen Influencer überlassen ihr Auftreten nicht dem Zufall. Sie inszenieren sich, um die ge- wünschte Wirkung zu erzielen. Das sollten in einem gewissen Umfang auch Führungskräfte tun. Sie sollten darauf hinarbei- ten, dass sie sozusagen eine Marke werden, der ihre Mitarbei- ter und Netzwerkpartner gerne folgen, weil sie ihr aufgrund ihres Auftretens und ihres Verhaltens vertrauen. Diesbezüglich haben noch viele Führungskräfte Entwicklungspotenzial. Können Sie das konkretisieren? Liebermeister: Ja. Nehmen wir die Lockdown-Phase in der Corona-Zeit. In ihr nahm ich oft als Gast oder Moderator an Online-Meetings von Unternehmen teil. Dabei registrierte ich immer wieder: • Die Führungskräfte loggen sich meist als letzter Teilnehmer und nicht selten verspätet ein. • Sie tragen, wenn sie selbst im Homeoffice arbeiten, häufig sehr legere Freizeitkleidung. • Sie hängen nicht selten schlaff auf ihrem Stuhl und sei es nur damit die Kamera sie besser erfasst. • Im Hintergrund steht häufig ein Sofa und es hängt zum Bei- spiel ein Strandbild mit Palmen an der Wand. Und dies, obwohl die Führungskräfte ihren Mitarbeitern in den Meetings eigentlich stets die Botschaft vermitteln wollten: „Wir arbeiten nun zwar im Homeoffice, doch ansonsten gilt: Business as usual.“ Einer Führungskraft, die sich als Influen- cer versteht, passiert ein solches Missgeschick nicht, denn sie reflektiert vor ihrem öffentlichen Auftritt: Welche Wirkung will ich erzielen und welche Botschaft will ich vermitteln und wie sollte ich mich folglich präsentieren? Auch dies erfordert eine gewisse Selbstreflexion. Aus meiner Warte ist Influencing die Führung von morgen, denn anders können Führungskräfte in der von rascher Veränderung geprägten Vuka-Welt ihre Auf- gabe ohne auszubrennen nicht mehr wahrnehmen. Interview: Martin Pichler Buchtipp. Barbara Lieber­ meister: „Die Führungskraft als Influencer“, Gabal Verlag, Offenbach 2020, 220 Seiten, 29,90 Euro

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