Wirtschaft + Weiterbildung 4/2020
fachliteratur 60 wirtschaft + weiterbildung 04_2020 Ob im Seminar oder im täglichen Leben: Um der heutigen Informationsflut gerecht zu werden, müs- sen wir lebenslang lernen. Was man gelernt hat, kann man auch wieder verlernen. Erst wenn wir Zusammenhänge verstanden haben, können wir Wissen dauerhaft abspeichern. Der Hirnforscher und Neurobiologe Henning Beck kennt die neuesten wis- senschaftlichen Forschungsergebnisse. Anschaulich erklärt er, wie echtes Verstehen unser Denken auf den Kopf stellt. Er hinterfragt Lernmethoden kritisch und zeigt darüber hinaus konkrete Wege für Pro- blemlösungen auf. Gute Wissensvermittlung sieht für Beck so aus: Man stellt erst ein Geheimnis in den Raum und lässt die Lernenden ausprobieren. Erst im Anschluss erfolgt die Auflösung. Wie bei Ostereiern: Man versteckt sie, um Neugier zu schaffen. Man macht die Menschen zunächst hungrig auf Wissen und lüftet am Ende das Geheimnis. Beck: „Denn erst wenn sich Menschen aktiv mit etwas beschäftigen, verstehen sie es.“ Oder: Man versteht eine Antwort immer besser, wenn man selbst eine Frage gestellt hat. Im Internet ist überhaupt kein Wissen verfügbar, sondern nur Datensätze und bestenfalls Informa- tionen. Damit daraus Wissen wird, muss jemand aktiv darüber nachdenken. Und dafür braucht es ein menschliches Gehirn. Menschen sagen: „Jetzt hat es klick gemacht, ich hab’s kapiert!“ – das können Computer nicht. Andererseits gilt auch: Einige Sachen muss man wirklich auswendig lernen, um geistige Werkzeuge zu haben, zum Beispiel das kleine Einmaleins. Oder schreiben: Kein Sechsjähriger wird von sich aus die deutsche Orthografie hinkriegen, das muss man am Anfang tatsächlich sehr stringent lernen. Aber wenn jemand an dem Punkt angekommen ist, dass er Pro- bleme lösen kann, dann muss ein Lehrer diesem Menschen auch Freiheiten geben, Dinge auszupro- bieren. Beck wendet sich mit Nachdruck gegen die Lehre von den „Lerntypen“ (visuell, auditiv ...). Das sei „kompletter Schwachsinn“. Wenn beim Lerntypen- test rauskomme, dass jemand gerne lese, solle er gerade nicht lesen, sondern alle anderen Kanäle be- nutzen. Henning Beck studierte Biochemie in Tübingen, promovierte dort im Fach Neurowissenschaften und arbeitete anschließend als Forscher an der University of California in Berkeley. Weil er die Welt des Gehirns zu spannend für das Labor findet, publiziert er regelmäßig in der „Wirtschaftswo- che“, für das Magazin „GEO“ und in unterhaltsamen Büchern zum Thema. Eine ungewöhnliche Vortragsidee machte ihn zum Deutschen Meister im „Science Slam“ des Jahres 2012. AUTOR Lernmethoden hinterfragt VERSTEHEN DURCH PROBLEME LÖSEN Henning Beck: Das neue Lernen heißt Verstehen, Ullstein Verlag, Berlin 2020, 272 Seiten, 19,99 Euro
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