Wirtschaft + Weiterbildung 4/2020
wirtschaft + weiterbildung 04_2020 33 Problem 3: Die Verwässerung des Purpose Um zumindest dem erstgenannten Pro- blem etwas entgegenzusetzen, wird ein permanentes Überprüfen des Purpose vorgeschlagen, um sich an verändernde Umwelten, Anforderungen und Erwar- tungen zu adaptieren. Damit kommt man in ein Dilemma: Sinn kann seine Wir- kung dann entfalten, wenn er inhaltlich und zeitlich einigermaßen stabil ist. Ein Sinninhalt, der sich immer wieder än- dert, kann keine stabilisierende Wirkung entfalten. Er dient nicht mehr der Aus- richtung und Orientierung, die er doch eigentlich bewirken sollte. Insofern sollte man also den Purpose prinzipell dort be- lassen, wo er hingehört: auf die Schau- seite. Wie Strategie und Purpose zusammenhängen Wie hängt ein Purpose mit Strategie zu- sammen? Gehören Leitbilder und ein übergeordneter Purpose zur Schauseite – also der Fassade - einer Organisation, so ist Strategie ein Aspekt der Formalseite. Die Formalseite einer Organisation um- fasst alle offiziellen Regeln, die für die Mitarbeitenden bindend sind (Mitglied- schaftsbedingungen), die Kommunika- tionswege (Hierarchie) und Personal. Strategie ist in diesem Kontext die Suche nach geeigneten Mitteln, mit denen ein vorher festgelegtes und entschiedenes Ziel erreicht werden soll. Dieses Ziel ist im Gegensatz zu dem Verständnis des oben benutzten Purpose (Zweck, Sinn) auf der Schauseite ein genau beschriebe- ner Zustand. Man kann Kriterien ange- ben, an denen man festmachen kann, ob der Zustand erreicht wurde (die Auswahl und der Einsatz der Mittel also erfolgreich war) oder wie weit man noch davon ent- fernt ist: • Was soll erreicht werden? (inhaltliche Aspekte) • Wie viel soll erreicht werden? (Frage nach dem Ausmaß der Zielerreichung) • Wann soll etwas erreicht werden? (zeit- licher Aspekt) • Wer ist verantwortlich, dass der Zweck/Ziel erreicht wird? (Zuweisung von Verantwortlichkeit auf Personen und Rollen) • Wo soll er erreicht werden? (Frage nach Branchen, Segmenten, Geografien) Eine Strategie wirkt sogar noch weiter und sie wirkt wie Scheuklappen: • Sie begrenzt die Wahrnehmung der Or- ganisation, • fokussiert sie bei Entscheidungen auf bestimmte interne und externe Pro- zesse und Entwicklungen • und ermöglicht damit ein Ausrichten der Ressourcen, Entscheidungen und Handlungen auf die Zweck- bzw. Ziel orientierung. Da die Strategie ein formales Programm der Organisation ist und damit auf Ent- scheidungen und Handlungen wirkt, ist es nötig, im Strategieprozess immer wie- der zu fragen: „Wo sind wir gefordert, unseren Kurs zu überdenken, anzupas- sen oder weiterzuverfolgen?“ und „In welcher konkreten Richtung sollten wir daher weitergehen?“ Daraus leiten sich dann operative Ziele und Maßnahmen ab. Dies macht deutlich, dass zwischen dem strategischen und dem operativen Ma- nagement eine enge Kopplung besteht: 1. Im strategischen Management geht es um die Ausgestaltung des gemeinsamen Handelns. Es wird diskutiert und ent- schieden, wie in Zukunft gehandelt wer- den soll. 2. Im operativen Management geht es daraus abgeleitet um das konkrete Handeln im Rahmen dieser Aktionskurse. Demgegenüber steht das normative Ma- nagement, zu dem Leitbilder, Vision, Mission, Purpose, Werte und Ähnliches gehört. Hierbei geht es um das gemein- same Wollen. Dessen Funktion ist es, dadurch Kohäsion zu stiften (nach innen und außen). An den Normen kann man sein Handeln orientieren, aber sie sind zu vage, um konkretes Handeln daraus ab- zuleiten. Auf der Normebene kann eine Organisation Nachhaltigkeit, Umwelt- schutz, Profitabilität, Kundenzufrieden- heit formulieren und formulieren, dass sie alles gleichzeitig im Blick hat. Wenn es aber um konkrete Entscheidungen und konkretes Handeln geht (zum Beispiel für Aufträge im Rahmen eines großen Kohle minenprojekts) treten diese normativen Ausrichtungen in Widerspruch zuein- ander. Die lose Kopplung bedeutet, dass aus einem gemeinsamen Wollen nicht notwendigerweise und automatisch ein gemeinsames Handeln wird. Was bedeutet das nun für Unternehmen im Umgang mit der „Management-Mode“ Purpose Driven Organisation? Man sollte sich klar werden, was man erreichen will und sich bewusst sein, dass ein Prozess zur Definition einer Vision, eines Leit- bilds oder des übergeordneten Purpose einen nicht von Führungs- und Manage- mentaufgaben entlastet. Man kann si- cherlich die Kopplung, Ableitung oder Verbindung zwischen Vision, Leitbild, Purpose mit der Strategie herstellen und überzeugend darstellen (oder auch um- gekehrt, einen Purpose aus der Strategie „ableiten“). Man schafft es aber damit nicht, die Spannungen in der Organisa- tion zwischen Abteilungen oder bei Ent- scheidungen für oder gegen Aufträge aus der Welt zu schaffen. Die Normen geben eben nur (aber auch nicht weniger) einen Rahmen vor. Aushandlungsprozesse wer- den dadurch nicht verschwinden und müssen letztlich über formale Vorgaben und in Handlungen überführt werden. Somit hat die (nicht neue) Idee einer Er- arbeitung und Ausrichtung nach einem verbindenden und übergeordneten Pur- pose dieselbe Funktion wie Vision, Mis- sion, Value oder Leitbild. Der Wert liegt auf der normativen Ebene, auf Stiftung von Kohärenz und der Wirkung auf der Schauseite. Dr. Wolfgang Karrlein Dr. Wolfgang Karrlein ist Gesellschafter und Geschäfts- führer der Canmas GmbH in Grünwald. Er greift bei seiner Beratungstätigkeit auf 20 Jahre Erfah- rung in einem internationalen Konzern zurück. Seine fachlichen Schwer- punkte sind Organisationsentwick- lung, Leadership Development und Change Management. Zudem ist er zertifizierter Business Coach (DVCT). Canmas GmbH Nördliche Münchner Str. 47 82031 Grünwald Tel. 089 416173560 www.canmas.biz AUTOR
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