Wirtschaft + Weiterbildung 4/2020

personal- und organisationsentwicklung 32 wirtschaft + weiterbildung 04_2020 und handlungsleitend wirken kann, muss er über längere Zeit unverändert bleiben und kann nicht immer neu definiert wer- den. Nur wenn der Purpose fixiert bleibt, kann sich die Steuerung der Organisation in einem ausreichenden Maße auf ihn be- ziehen. Dafür hat die Organisation eine Menge diskursive Arbeit zu leisten. Prob- lematisch wirkt sich das dann aus, wenn der Purpose zum Beispiel durch Verände- rungen im Umfeld als nicht mehr passend angesehen wird beziehungsweise die aus ihm unter großen Aufwänden abgeleite- ten Regeln, Ausrichtungen, Handlungs- leitlinien für zunehmende Spannungen sorgen. Je stärker es gelungen ist, dass der Pur- pose die Organisation und das Handeln der Akteure durchdringt, desto mehr wird eine Veränderung des Purpose große Widerstände auslösen. Warum soll das, woran man sich unter großen Aufwänden und teilweise Schmerzen ausgerichtet hat, nun plötzlich nicht mehr (so) gelten? Eine Veränderung des Purpose wird also zu Widerständen führen, die – weil der Purpose eben tief in die Überzeugungen der Personen reicht – stark ausgeprägt sein werden. Man würde sich also durch eine umfassende „Programmierung“ bis in die formale Seite der Organisation nach einem festen Sinn unflexibler machen, als es eigentlich sein muss – wenn man den „Purpose“ dort ließe, wo er organisations- strukturell „hingehört“. Nämlich auf die Schauseite einer Organisation. Purpose hilft selten bei kon- kreten Entscheidungen Die Schauseite ist die Fassade einer Orga- nisation. Sie wird von Unternehmen ent- wickelt und aufrechterhalten, da sie nach außen darstellt, wie man gerne wahrge- nommen werden will. Man möchte ein möglichst konsistentes Bild abgeben (Corporate Design und Corporate Com- munication). Dabei steht das Ziel im Vordergrund, den unterschiedlichen und sich oft widersprechenden Ansprüchen und Erwartungen von Stakeholder-Grup- pen gleichzeitig gerecht zu werden. Bei so unterschiedlichen Interessengruppen wie Kunden, Lieferanten, Anteilseignern, Öffentlichkeit, Behörden gibt es viele Er- wartungen, die man nie gleichzeitig erfül- len kann. Zumindest nicht im konkreten Entscheiden und Tun. Das Dilemma zwi- schen den Ansprüchen, Nachhaltigkeit, Vertragstreue, Sicherung von Mitarbei- terinteressen, Profitabilität zu fördern, wurde kürzlich bei der Siemens AG in München deutlich: Der (an sich für Sie- mens kleine) Auftrag für die Ausstattung einer Bahnlinie zwischen einem Kohle- bergbau zur Küste in Australien produ- zierte ein massives Dilemma zwischen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Kundenorientierung. Die Entscheidung für diesen Auftrag wurde wohl wegen des (für Siemens-Verhältnisse) kleinen Volumens nicht „ganz oben“ getroffen und „unten“ möglicherweise der Konflikt nicht erkannt (oder für nebensächlich erachtet). Durch die massiven Wider- stände von Umweltschützern gegen die Kohlegrube, die Tatsache, dass die Ei- senbahnverbindung ohne Siemens nicht gebaut werden könnte und damit das ganze Kohleprojekt nicht mehr realisiert werden würde, stand man als Konzern „plötzlich“ zwischen zwei (oder sogar mehreren) nicht kompatiblen Zielen. Letztlich wird hier deutlich, dass Leitbil- der oder Purpose-Formulierungen zwar nach außen Konsistenz und Stringenz herstellen können, sie aber bei konkre- ten Entscheidungssituationen nicht mehr handlungsleitend wirken können. In der Außendarstellung (Schauseite) ist es möglich, durch entsprechend formu- lierte Visionen, Mission Statements (kurz zusammenfassend als Leitbilder bezeich- net) einen konsistenten Eindruck zu ver- mitteln. Diese „weichen“ Formulierungen haben genau deshalb eine wichtige Funk- tion: Sie erlauben es, durch das gute Be- spielen der Schauseite das „Innenleben“ der Organisation in gewissem Maße zu schützen. Es ist also leicht nachzuvollzie- hen und jeder, der in einer Organisation arbeitet oder gearbeitet hat, dürfte die Bemerkungen kennen, mit denen man sich „wundert“, wie unterschiedlich doch das Leben (Entscheiden, Handeln) in der Organisation im Vergleich zum nach außen dargestellten Selbstbild ist. Auf dieser Seite – der Schauseite – ist auch der Purpose anzusiedeln, wenn er dem Anspruch genügen soll, dass er für viele Akteure im Inneren und Äußeren und ihren Erwartungen anschlussfähig wirken soll. Im Wesentlichen handelt man sich drei Probleme ein, wenn aus diesem Pur- pose nun konsistente Handlungsweisen und Kriterien für Entscheidungen – also Strukturelemente der Organisation - ab- geleitet werden sollen: Problem 1: Mit Purpose sich selbst inflexibler machen Der Prozess, um den Purpose zu formu- lieren und sich in der Organisation der Arbeit daran auszurichten, kostet Zeit, Energie und Geld. Es bedarf Anstrengun- gen, ihn „runterzubrechen“ in die Struk- turen, die Entscheidungsfindungspro- zesse – und nicht zuletzt in das gemein- same Verständnis der Menschen. Das alles muss im Verhalten eingeübt werden. Probleme entstehen, wenn man – zum Beispiel aufgrund sich verändernder Um- weltentwicklungen – andere Herange- hensweisen, Dienstleistungen oder Pro- dukte anbieten muss. Wenn der Purpose erfolgreich als der intrinsische Motivator und als übergreifend sinnstiftender Kern bei den Menschen etabliert wurde, wird es sehr schwierig, dies zu verändern. Wären Menschen ausschließlich durch die finanzielle Entlohnung angetrieben, wären solche Veränderungen einfacher, weil die Bezahlung ja gleichbliebe. Problem 2: Verlagerung und Intensivierung von Mikropolitik Durch die Purpose-Orientierung werden sich entsprechende mikropolitische Pro- zesse („Machtspiele“) und Informalitäten („Trampelpfade“ bei der Arbeit) ausprä- gen. Es werden mehr Aushandlungspro- zesse und Diskurse erforderlich, zum Beispiel wenn zu prüfen ist, wie welche Entscheidung zum Purpose passt und welche konkreten Handlungen daraus folgen sollen. Oder wie selbstgesteuerte Teams (die konstituierend für Purpose Driven Organisations sind) kooperieren, wenn sie letztlich immer nur dem pur- pose-adäquatem Handeln „verpflichtet“ sind. Dies kann zum einen die Verständigungs- prozesse verlängern und komplexer (in- formeller) machen und zum anderen auch die Fliehkräfte unterschiedlicher Organisationseinheiten verstärken (was letztlich durch die Selbstorganisation an- gelegt und gegebenenfalls verstärkt wird). R

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