Wirtschaft + Weiterbildung 4/2020

menschen 16 wirtschaft + weiterbildung 04_2020 hingewiesen, dass es sich um Kulturdimensionen von Län- dern handelt“, erklärt LMU-Professor Brodbeck. Es geht um die Dimensionen einer Landeskultur im Vergleich zu anderen Ländern und nicht um eine Pauschalierung von Individuen. „Da werden oftmals die Ebenen verwechselt“, so der Mün- chener Psychologe. Die Länderebenen böten daher eine pro- ximale Einordnung und einen ersten Zugang zu einer Kultur, aber keine Aussagen dazu, wie sich einzelne Menschen aus bestimmten Ländern verhalten. Wer zum Beispiel in einer kol- lektivistischen Kultur ständig das Wort „ich“ verwendet, löst wahrscheinlich bei vielen – aber nicht unbedingt bei jedem – deutliche Irritationen aus. „Konkurrenz-Studien“ bestätigten Hofstede Nicht so richtig warm werden konnte Hofstede lange Zeit mit der sogenannten „Globe-Studie“, an der auch Brodbeck mit- wirkte. Hofstede hatte wohl Angst, seine Forschungsergebnisse würden eventuell verwässert. Ziel des „Global Leadership and Organizational Behaviour Effectiveness Research Program“ (Globe) ist es, empirische Daten über den Zusammenhang zwischen Gesellschafts- und Unternehmenskultur sowie Füh- rungsstilen zu finden. Im Zentrum steht die Frage nach dem „globalen Manager“: Gibt es einen Managertyp, der weltweit als effektiv erachtet wird und dabei auch weltweit akzeptiert wird? Seit dem Jahr 1991 erfasst dabei ein Team aus knapp 200 Ma- nagement- und Sozialwissenschaftlern Daten von über 17.000 Managern des mittleren Managements aus knapp tausend Unternehmen und in mehr als 60 Ländern. Dabei entlehnte „Globe“ nicht nur die Hofstede-Skalen und modifizierte sie teils, sondern nutzte auch andere inzwischen vorhandene Ska- len. Zudem verwendete „Globe“ weiterentwickelte statistische Methoden, wie sie Hofstede damals noch nicht zur Verfügung gestanden hatten. Doch trotz aller methodischen Unterschiede ließen sich die meisten Hofstede-Skalen replizieren. Und auch das Ergebnis der Globe-Studie war ganz in seinem Sinne: Effek- tive Führung hängt stärker von gesellschaftskulturellen als von geschäftlichen Faktoren ab. Wer als Führungskraft in anderen Kulturen effektiv sein wolle, müsse kulturspezifische Überzeu- gungs- und Wertesysteme verstehen. „Geert Hofstede hat seine Skalen immer beschützt“, erinnert sich LMU-Professor Brodbeck. „Aber er hat sie auch immer wieder thematisch weiterentwickelt und mit größeren Daten- mengen überprüft.“ Auch wenn immer ein bisschen von dem Streit zwischen „Globe“ und Hofstede bestehen blieb, seien das Auseinandersetzungen gewesen, wie es sie auch unter Wissenschaftlern geben müsse, so Brodbeck. Menschen, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben, bestä- tigen seine Streitbarkeit, aber auch sein Bestreben nach Aus- söhnung. So erklärte er einmal: „Ideal ist es, wenn ein Gegner zum Freund wird. Ich wurde vor einiger Zeit auf einem Kon- gress von einem anderen Forscher sehr aggressiv attackiert. Ich habe dann nach dem Kongress Kontakt mit ihm aufgenommen. Ich schrieb ihm, dass ich es schade fand, dass er mich nicht persönlich angesprochen hatte. Wir trafen uns auch und disku- R Die sechs Kulturdimensionen von Geert Hofstede 1. Machtdistanz. Wie viel Ungleichheit darf zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft sein? Diese Dimension erklärt zum Beispiel, warum ein „deutscher“ Chef, der seine Mitarbeiter mitentscheiden lässt, in bestimmten Ländern als schwache Führungsfigur gilt. 2. Individualismus versus Kollektivismus. Diese Dimen- sion erfasst, ob man sich überwiegend als Individuum (Ich-Denken) oder überwiegend als Teil einer Gruppe (Wir- Denken) definiert. Incentives, Beurteilungssysteme, die Instruktion bei Aufgabenstellungen, Feedback – fast jede Führungsintervention muss überdacht werden. 3. Unsicherheitsvermeidung versus Ambiguitätstoleranz. Hier geht es darum, wie gut unsichere Situationen ertra- gen werden. Will man bei einem Projekt Unwägbarkeiten so schnell wie möglich beseitigen oder lieber mit „Trial and Error“ angehen und gegebenenfalls flexibel reagieren? Kul- turen mit Unsicherheitsvermeidung haben viele Regeln. Überblick. Die empirische interkulturelle Forschung förderte im Laufe von 40 Jahren unter Leitung von Geert Hofstede diese sechs „Kulturdimensionen“ zutage: 4. Maskulinität versus Femininität. Hier lautet die zentrale Frage: Geht es in erster Linie um Leistung oder um Lebens- qualität? Als feminine Werte zählen Fürsorglichkeit, Koope- ration, Bescheidenheit. Maskuline Werte sind Konkurrenz- bereitschaft, Durchsetzungsfähigkeit. 5. Langzeit- versus Kurzzeitorientierung. Diese Dimension beschäftigt sich mit dem Zeithorizont, der unser Handeln bestimmt. Das ist sowohl für Firmenstrategien als auch für Investitionen und Nachhaltigkeit sowie für Belohnungs- und Bewertungssysteme relevant. Deutschland denkt eher langzeitorientiert und tut sich daher oft schwer mit dem kurzfristigen Ist-Soll-Abgleich. Problematisch ist die Fusion von Unternehmen mit einer gegensätzlichen Ausrichtung. 6. Genuss versus Zurückhaltung. Stehen Glück, Genuss und Lebensfreude jedem jederzeit zu (Genuss-Seite)? Oder ist Genuss „nur“ die verdiente Belohnung für Pflichterfül- lung und das Zurückstellen eigener Bedürfnisse?

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