Wirtschaft und Weiterbildung 3/2020

training und coaching 50 wirtschaft + weiterbildung 03_2020 geht das Siegel in die nächste Runde: Mit neuen Partnern, einem neu ausgerichte- ten wissenschaftlichen Auswahlverfahren und einem neuen Schwerpunkt.“ Das er- weckt zumindest den Eindruck, als wenn beide Siegel auch gleichwertig wären. Die neue Auszeichnung hat ein bekanntes Problem: Wenn Coachs selbst fünf Klien- ten suchen, die sie bewerten, liegt es auf der Hand, dass die Bewertungen positiv sind. „Ein solches Vorgehen erscheint mir überhaupt nicht sinnvoll, weil Selbstaus- künfte und auch die Auswahl der befrag- ten Coachees natürlich nur selektiv posi- tive Ergebnisse zutage fördern“, kritisiert Professor Uwe Kanning von der Hoch- schule Osnabrück. Am Ende gewinne im Zweifelsfall derjenige, der sich am posi- tivsten im Fragebogen darstellt und am geschicktesten seine Coachees auswählt und instruiert. „Das wäre ungefähr so, als würde man im Fußball den Preis für die beste Mannschaft darüber vergeben, wie der Trainer und fünf von ihm ausge- wählte Spieler die Mannschaft bewerten – absurd“, so der Wirtschaftspsychologe. Problem „Selbstselektion“ Dazu komme, dass man aus Studien zur Trainingsevaluation wisse, dass die Zufriedenheit der Trainingsteilnehmer keinen nennenswerten Zusammenhang zur Lernleistung oder zum Transfer der Trainingsinhalte in den Arbeitsalltag auf- weist. „Menschen können also zufrieden sein, ohne dass sich irgendeine Wirkung der Maßnahme nachweisen lässt“, so Professor Kanning. Natürlich sei die Zu- friedenheit auch ein Wert an sich, sie sage aber nichts über den eigentlichen Nutzen aus. So dürfte es auch beim Coaching sein. Die Studie sei keine „Wirksamkeits­ studie“ im engeren Sinne, erklärt Profes- sor Greif. Es gehe vielmehr um die hy- pothetisch förderlichen Prozessfaktoren im Coaching und um Fragen wie: Woran lässt sich ein erfolgreiches Coaching fest- machen? Welche Wirkfaktoren gibt es im Coaching-Prozess? Das Problem der positiven Selbstselek- tion gebe es bei den meisten bisherigen Coachingstudien weltweit. „Aus wissen- schaftlicher Sicht wäre es für ein realisti- sches Bild der Wirksamkeit von Coaching erforderlich, die Klienten unabhängig von ihren Coachs für die Evaluation zu gewin- nen – zum Beispiel durch die Befragun- gen aller Klienten eines Unternehmens oder Evaluationen aller Teilnehmenden einer Interventionsstichprobe mit Kon­ trollgruppen ohne Coaching“, so Profes- sor Greif. Kriterien für gutes Ergebnis Erste Ergebnisse der Analysen zeigen, dass für ein positives Coaching-Ergebnis folgende Kriterien bedeutsam sind: die wahrgenommene Empathie des Coachs, das Vertrauen in den Coach und die Zu- sammenarbeit zwischen Coach und Kli- ent. Auf diese drei Kriterien lassen sich 64 Prozent der Unterschiede in den Daten bei der berichteten Zufriedenheit zurück- führen, bei der subjektiven Einschätzung der Zielerreichung sind es immerhin 44 Prozent. Wie zu erwarten sind die Mittelwerte durchweg sehr positiv. Am positivsten fallen die Mittelwerte der Weiterempfeh- lungsbereitschaft (98,5 Prozent) und der Zufriedenheit mit dem Coaching (97,0 Prozent) aus. Die Ratings für die Umset- zung des Geplanten und für den Zielerrei- chungsgrad beim ersten Ziel liegen eben- falls erwartungsgemäß mit 83,5 und 87,8 Prozent deutlich niedriger. Da sich Ziele selten vollständig erreichen lassen, wurde zusätzlich nach der Zufriedenheit mit der Zielerreichung gefragt. Sie ist erwartungs- gemäß mit 91,0 Prozent etwas höher. DBVC reagiert zurückhaltend Interessant ist der subjektiv geschätzte Anteil des Coachings an der Zielerrei- chung. Genau betrachtet ist ein Mittel- wert von 84,6 Prozent ein starkes Ar- gument gegenüber Auftraggebern, dass Coaching nach Einschätzung der Klienten einen sehr großen Anteil an der Zieler- reichung hat. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass die Ergebnisse im Coa- ching gemeinsam von dem Klienten und Coach „co-kreiert“ worden sind. Zudem sind die positiven Ergebnisse keineswegs repräsentativ für alle Coachings, da die Teilnehmer am „Top Business-Coach“- Projekt zweifellos eine Positiv-Auswahl bilden. Wie sehen die Coachingverbände das neue Siegel? Beim Deutschen Verband für Coaching und Training (dvct) e. V. ist man recht angetan. „Aufgrund der universitären Begleitung des Verfahrens beurteilen wir diese Auszeichnung als sinnvoll und finden auch die Gegenüber- stellung der Fragebögen von den Klienten und Coachs zielführend“, so der stell- vertretende Vorstandsvorsitzende Gianni Liscia. Gerade die Vielfalt der Fragen im Studiendesign hätten viele relevante As- pekte professionellen Coachings erfasst. „Sich dem Feedback von Klienten zu stel- len, zeigt aus unserer Sicht allein schon die Qualität von Coachs und ist für uns als Verband für unsere Mitglieder mehr als wünschenswert.“ Christine Kranz, Präsidentin des Chapter Germany bei der International Coaching Federation (ICF), ist dagegen skeptischer und fragt: „Reicht eine gute Bewertung von fünf Klienten für eine Auszeich- nung als Top-Coach?“ Sie rät Kunden stets genau hinzuschauen und sich nicht von Auszeichnungen blenden zu las- sen. Wichtiger sei die kontinuierliche Weiterbildung und Qualitätsprüfung der Coachs. „Die Xing-Umfrage ist unter wissenschaft- lichen Aspekten der Prozessevaluation interessant, kann aber keine Marktüber- sicht zu guten Coachs geben“, schreibt Christopher Rauen, erster Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Bundes- verbandes Coaching e. V. (DBVC). Es sei anzunehmen, dass jeder Coach – der an dieser Umfrage teilnehmen wollte – ir- gendwelche fünf Klienten kennt, die ihn positiv einschätzen. Das Entscheidende dürfte somit die Absicht der Coachs sein, an der Umfrage teilzunehmen und ihre Klienten dazu anzuregen. „Ob es sich dabei durchgängig um die Coachs han- delt, die gut gebucht sind, darf zumindest hinterfragt werden“, so Rauen. „Auf- grund des individuellen Charakters des Coachings und des damit verbundenen Matchings zwischen Coachs und Klienten sehen wir derartige Rankings von Privat- unternehmen, die zudem eher finanzielle als wissenschaftliche Ziele verfolgen, kri- tisch. Eine Zusammenarbeit der Forscher mit den Coaching-Verbänden wäre hier sinnvoller und möglich gewesen.“ Bärbel Schwertfeger R

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