Wirtschaft und Weiterbildung 3/2020

wirtschaft + weiterbildung 03_2020 39 beit, zweitens in „High-Tech-Eigenpro- duktion“, durch die er auf höchstem tech- nischen Niveau Dinge zu seiner Selbst- versorgung produziert, und drittens in Arbeit, die er „wirklich wirklich“ tun will (vgl. Bergmann, 2004). Im Zentrum des Ansatzes stehen die Autonomie des In- dividuums, seine Handlungsfreiheit einer Arbeit nachzugehen, die es bewusst aus- wählt und als sinnstiftend empfindet, die seinen tiefsten Wünschen entspricht und ihm die Teilhabe an der Gemeinschaft und Sicherheit ermöglicht. Was bedeutet New Work? New Learning bezieht sich in diesem Verständnis primär auf die erlebte Sinn- haftigkeit des Lernens und fokussiert die individuelle Selbst- und Potenzialentfal- tung sowie die soziale Zugehörigkeit. Das von Bergmann betonte Prinzip der Frei- willigkeit rückt die eigenen Bedürfnisse und die Selbstbestimmung des Lerners in den Vordergrund. Er soll selbst be- stimmen, was er wie lernt, und dadurch sowohl ein hohes Maß an Selbstverant- wortung erleben als auch soziale Zuge- hörigkeit. Lernen ist hier ganzheitlich zu verstehen und inkludiert auch Lernpro- zesse, die nicht explizit auf den aktuellen Arbeitsplatz oder die Erwerbsarbeit bezo- gen sind. New Learning erhält besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen Organisationsfor- men, in denen Selbstführung, die Ganz- heit des Menschen und die Teilhabe am Sinn (Purpose) der Organisation in den Vordergrund rücken, wie Frederic Laloux in seinem einflussreichen Buch „Reinven- ting Organizations“ (2015) schreibt. Zu Lernformaten, in denen diese Prinzi- pien realisiert werden können, gehören solche, bei denen die soziale Dimension des Lernens im Vordergrund steht (zum Beispiel Communities of Practice, Su- pervision, kollegiale Beratung) oder die Dimension der Sinnstiftung und sozialen Teilhabe (zum Beispiel Service Learning). Letzteres verbindet Lernprozesse mit gesellschaftlichem Engagement. Service- Learning-Projekte können sich auf sozi- ale oder gesellschaftliche Fragestellungen beziehen. Im Projekt Seitenwechsel beispielsweise engagieren sich Fach- und Führungskräfte in Form eines „Sozialen Praktikums“, in dem sie zum Beispiel mit Obdachlosen arbeiten. Darüber hinaus erhält auch das selbstbestimmte, an eigenen Bedürfnis- sen orientierte, Lernen im Prozess der Arbeit eine besondere Rolle. Kurz und knapp lautet die Philosophie dahinter: New Learning fokussiert die Bedürfnisse des Lerners, Sinnstiftung und soziale Zugehörigkeit und Verantwor- tung, was zu Motivation und Potenzial­ entfaltung führt. Fazit Jeder Begriff hat seine Berechtigung und einen nachvollziehbaren Ursprung. Teil- weise liegen die Grundannahmen jedoch diametral zueinander und verfolgen un- terschiedliche Intentionen. Praktiker soll- ten sich immer fragen, was der Zweck und die Motivation ist, Lernen im betrieb- lichen Kontext zukunftsfähig zu gestalten und worauf die jeweilige Organisation ihren Fokus legt. Wenn dies geklärt ist, kann auch über eine Integration der Lern- konzepte diskutiert werden. Denn auch wenn zum Beispiel Lernen 4.0 dem Effi- zienzgedanken entspringt, wird es nicht funktionieren, wenn die Lerner keinen Sinn in den Veränderungen sehen. In der Praxis wird das Lernen im organisationa- len Kontext also ein Zusammenspiel der Ansätze sein – je nach Unternehmen mit unterschiedlichen Gewichtungen. Anja Schmitz, Nele Graf Buchtipp. Mehr zu diesem Thema steht im Buch „Agiles Lernen“ von Nele Graf, Denise Gramß und Frank Edelkraut, das im November 2019 in der 2. Auflage erschienen ist (Haufe Verlag, Freiburg 2019, 310 Seiten, 49,95 Euro). Das Buch stellt zukunftsfähige Lernformate für Weiterbildungsprofessionals vor. Literaturliste. Die in diesem Artikel angeführte und zitierte Literatur finden Sie mit folgenden Angaben: · Bauer, W./Dworschak, B./Zaiser, H. (2017): Weiterbildung und Kompetenzentwicklung für die Industrie 4.0. In: Hand- buch Industrie 4.0, Bd.1: Produktion. Heidelberg: Springer. · Bergmann, F. (2004): Neue Arbeit, Neue Kultur. Freiamt: Arbor. · Laloux, F. (2015): Reinventing organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenar- beit. München: Franz Vahlen. · Graf, N./Gramss, D./Edelkraut, F. (2017): Agiles Lernen. München: Haufe-Lexware. · Graf, N./Gramss, D./Heister, M. (2016): Gebrauchsanwei- sung für lebenslanges Lernen. Düsseldorf: Vodafone Stif- tung. · Graf, N. & Schmitz, A. P. (2019) Definition & Abgrenzung der Begriffe Lernen 4.0, Agiles Lernen & New Learning. http://humex-consulting.de · Schmitz, A. P. /Fölsing, J. (2019): Klassische Systeme ver- lieren an Bedeutung. Organisationen wandeln sich – und mit ihnen das Lernen. Personalwirtschaft, (05), 56. Quellen zum Weiterlesen

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