Wirtschaft und Weiterbildung 3/2020
training und coaching 38 wirtschaft + weiterbildung 03_2020 möglichst effizient im Prozess der Arbeit zu unterstützen und seine Lernbedarfe vorherzusagen oder sofort bedienen zu können, zum Beispiel bei der Behebung von Störungen an Maschinen. Technolo- gisch umgesetzt wird dies zum Beispiel über die Verwendung von Learning Ana- lytics, die Nutzung von (Lern-)Bots, die in Chat Tools integriert mit dem Lernen- den kommunizieren, oder über Augmen- ted-Reality-Anwendungen, in denen über Wearable Devices (Smart Glass, Smart Watch et cetera) oder mobile Endgeräte Lernhinweise oder -aufforderungen ge- schaltet werden. Kontrovers diskutiert wird neben den Themen Datenschutz und Überwachung hierbei vor allem die Rolle des mensch- lichen Lerners selbst. Auf der einen Seite bergen die digitalen Unterstützungssys- teme die Gefahr, dass die Autonomie des Lernenden eingeschränkt und seine Selbststeuerungskompetenz reduziert wird. Der Lernende wird zum „fremd- gesteuerten“ Ausführenden, der seine Lernbedarfe nicht mehr selbst definiert, sondern sich durch Lernprozesse hin- durchführen lässt und immer mehr Ver- antwortung abgibt. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, dass Lernende die Systeme zur Verbesserung ihrer Lern- entscheidungen nutzen. Der Lernende wäre in dieser Betrachtung eher in der Rolle eines mündigen „Navigators“, der KI-basierte Assistenzsysteme zu seinem Vorteil nutzt, um sich zu entlasten, ge- zielter und schneller zu lernen und die gewonnenen Freiräume für weiteren Kompetenzaufbau nutzt. Das heißt, statt zur Substitution von Selbststeuerungs- kompetenz kommt es zu einer Augmen- tation seiner Kompetenzen durch ein zielführendes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Lernen 4.0 fo- kussiert das datengestützte, adaptive Zu- sammenspiel von Lerner und digitalen Anwendungen, um effizientes Lernen zur Performancesicherung zu gewährleisten. Agiles Lernen: Wo kommt der Begriff her? Das Wort „agil“ wird derzeit inflationär benutzt und häufig fälschlicherweise mit „beweglich“ gleichgesetzt. Doch der An- satz (genau genommen ist es eine Viel- zahl von Ansätzen, von Talcott Parsons bis zu modernen Organisationskonzepten aus der Managementlehre) wurde entwi- ckelt, um den Anforderungen der Zukunft besser gerecht werden zu können. Was bedeutet Agilität? Zentrale Annahme des agilen Arbeitens und Lernens ist, dass sich die Umwelt permanent verändert und eine schnelle Anpassungsfähigkeit erfolgssichernd ist. Agilität soll helfen, crossfunktional bes- ser zusammenzuarbeiten, mehr Trans- parenz und Kommunikation zu schaffen und sowohl die Produktivität als auch die Motivation der Mitarbeiter durch mehr Verantwortung zu erhöhen. Dabei sind Ausprobieren, Lernen und Adaptieren der zentrale Lerndreiklang. Agiles Ler- nen erfolgt häufig iterativ, zum Beispiel durch Prototyping/Experimentieren. Die Ergebnisse werden dann reflektiert und nachjustiert. In vielen Fällen ist es zudem kollaborativ (Social Learning), da es einen hohen Arbeitsbezug (crossfunktio- nale Teams) hat. In dieser Kollaboration wird der Lerner zum Prosumenten: Er ist gleichzeitig „Konsument“ vom Wissen anderer und „Produzent“ von Wissen für andere. Das gilt für diverse agile Formate wie Barcamps, Working Out Loud oder World Cafés. Diese Lernformate ebenso wie agile Arbeitsmethoden sind im Ab- lauf hoch strukturiert (siehe Scrum) und inhaltlich sehr flexibel. Zudem sind die Formate jederzeit einsetzbar und häufig in den Arbeitsalltag integrierbar, sodass zwischen Arbeiten und Lernen keine Lücke entsteht. Da agiles Lernen auf dem Ziel der schnel- len (!) Anpassungsfähigkeit (auf indi- vidueller und organisationaler Ebene) beruht, muss der Lerner also sein erster Personalentwickler sein. Lernen basiert auf dem Ansatz „Learning on demand“ anstatt „Learning for supply“. Die damit verbundene individuelle Ziel- und Kun- denorientierung und die selbstgesteuer- ten Formate erfordern jedoch hohe Lern- kompetenzen vom Lerner. Organisational muss das gemeinsame Experimentie- ren und das daraus entstehende Lernen durch eine passende Fehler- und Lernkul- tur sowie entsprechende Rahmenbedin- gungen unterstützt werden. Kurz und knapp lautet die Philosophie dahinter: Agiles Lernen als Individuum, Team und Organisation zeichnet sich durch hohen Arbeitsbezug aus und führt zu schnellerer Anpassungsfähigkeit an neue Situationen, was so den langfristi- gen individuellen und wirtschaftlichen Erfolg sichert. New Learning: Wo kommt der Begriff her? Im Zuge der Veränderungen der Arbeits- welt entstand in den vergangenen Jahren eine Diskussion um New Work und da- raus abgeleitet auch die Idee des „New Learning“. Das Konzept „New Work“ wurde ursprünglich von Frithjof Berg- mann entwickelt. In seiner Auseinander- setzung mit dem Begriff der Handlungs- freiheit entwarf er ein neues Modell der Arbeit, das dem Menschen eine Drei- teilung der eigenen Arbeit ermöglichen sollte: erstens in klassische Erwerbsar- R Prof. Dr. Nele Graf leitet das Compe- tence Centre for Innovations & Qua- lity in Leadership & Learning (CILL) und lehrt Personalwirt- schaft an der Hochschule für angewand- tes Management, Berlin. Zudem ist sie Geschäftsführerin der Mentus GmbH. Mentus GmbH 38106 Braunschweig www.mentus.de Prof. Dr. Anja P. Schmitz ist Professorin für Human Resource Management an der Hochschule Pforzheim. Zu ihren Forschungs-, Lehr- und Vortragsschwer- punkten zählen New Learning, Social Collaboration und Leadership. Hochschule Pforzheim 75175 Pforzheim www.hs-pforzheim.de AUTORINNEN
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