Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020

wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 47 Buchtipp. Markus Fischer: „Die neue Gewaltfreie Kommunikation – Empathie und Eigenverantwortung ohne Selbstzen- sur“, Business Village, Göttingen 2019, 232 Seiten, 24,95 Euro notwendige Auseinandersetzung und Abgrenzung behindern. Wir müssen die Leistungen und Fehlleistungen jeder Entwicklungsphase verstehen und aner- kennen, um so zu einer ausgewogenen, integralen Haltung zu gelangen. Welche Sprachhygiene soll es denn sein? In der Diskussion um die Sprachhygi- ene argumentiert man immer vor dem Hintergrund der Werte-Haltung. Diese Haltung bestimmt die tiefere Motivation hinter den Argumenten. Man kann die Sprachhygiene aus einer egozentrischen Haltung heraus befürworten oder ableh- nen. Die Argumentation lautet dann ei- gentlich: „Ich rede, wie ich will und lasse mir von niemanden etwas verbieten oder vorschreiben!“ Hier geht es also nicht darum, ob jemand durch Worte geschützt oder verletzt werden könnte – es geht um die egozentrische Durchsetzung der eigenen Sichtweise. Die konformistische Haltung dagegen wird durch Angst um die Anerkennung und Zugehörigkeit zur eigenen Gemeinschaft motiviert. Eigene, egozentrische Wünsche müssen zurück- stehen. Diese Haltung sagt: „Was die Mehrheit möchte, ist wichtiger als das, was ich möchte.“ Eine rationale Werte- Haltung versucht häufig, die Argumenta- tion für oder gegen eine Sprachhygiene auf Basis wissenschaftlicher Studien zu entscheiden. Da es um eine gesellschaftli- che Wertefrage geht, ist die Naturwissen- schaft vermutlich der falsche Ansprech- partner dafür. Die öffentliche Diskussion wird meist aus einer (scheinbar) pluralistischen Welt- sicht geführt. Der Pluralismus entwickelt wichtige Werte wie Gleichberechtigung, Toleranz und Wertschätzung. Eine Schat- tenseite des Pluralismus besteht jedoch darin, dass er Werte in einer neuen Dog- matik vertritt. Aus einer Haltung der Gleichberechtigung wird ein unreflektier- tes „Alle Menschen sind immer und über- all gleich“. Aus dem Wunsch nach einem wertschätzenden Dialog wird die unrea- listische Idee, durch eine „neue Sprache“ jede Bewertung oder Verletzung vermei- den zu wollen. Eine neue Sprache, die nicht wehtut? Diese pluralistischen Ansprüche lassen sich nicht konsistent aufrechterhalten. Wir können und sollten allen Menschen die gleiche Menschenwürde zusprechen, aber individuelle und kulturelle Unter- schiede in Fähigkeiten, Präferenzen oder Werten bleiben bestehen und müssen be- rücksichtigt werden. Völlige Gleichheit ist nicht nur unmöglich, sondern auch nicht sinnvoll. Provokant gesagt: Wer immer alle zur Party einladen will, kann den Selbstmordattentäter nicht ausschließen. Auch die pluralistische Hoffnung, emo- tionale Verletzungen durch Sprache zu vermeiden, ist zum Scheitern verurteilt. Emotionen sind subjektiv, kontextab- hängig und vor allem „selbstgemacht“. Gefühle entstehen durch die subjektive Bewertung von Reizen durch unseren Organismus. Diese Bewertung kann sich ändern und ist individuell unterschied- lich. „Du Opfer“ kann eine böse Belei- digung oder ein jugendlicher Gruß sein, das hängt von den Umständen und der Bewertung ab. Selbstverantwortung und Empathie statt Sprachhygiene Es gibt keine emotional sicheren, „nicht- verletzenden“ Worte. Eine pluralistisch verunsicherte Sprachhygiene projiziert eigene Ängste und Unsicherheit nach außen, macht andere für die eigenen Ge- fühle verantwortlich und fordert dann „sichere Worte“, um sich selbst zu schüt- zen. Diese Sicherheit ist illusorisch. Eine (egozentrische) Haltung, die verletzen möchte, wird dies mit oder ohne Worte erreichen. Auch aus einer wohlwollenden Intention heraus kann man unabsichtlich verletzen. Dann bleibt nur, als Zeichen aufrichtiger Empathie um Entschuldigung zu bitten. Eigentlich unnötig zu betonen, dass dies keine Entschuldigung für bewusst ver- letzendes oder kriminelles Verhalten ist. Wir können und sollten die schlimms- ten sprachlichen Auswüchse gesetzlich regeln, aber dies müssen begründete Ausnahmen bleiben. Die Kommentare in den Social-Media-Kanälen sind voll von herabwürdigenden und rassistischen Äu- ßerungen. Diesen wird man auch nicht durch das Vorschreiben einer politisch korrekten Sprache Herr (Frau auch nicht ;o). Hier helfen wohl nur eine gute Kin- derstube, Bildung und, wo das versagt hat, die Justiz. Die integrierende Haltung in der Diskus- sion um die Sprachhygiene ist sehr viel wichtiger als die Frage, ob „Sprache Be- wusstsein schafft“ oder umgekehrt. Der Streit um Sprachregeln muss in einem freien Klima erfolgen. Mitgefühl, Liebe und Toleranz haben sich noch nie durch Verbote oder Regeln verordnen lassen. Wir können lernen, mehr Verantwortung zu übernehmen, mehr Empathie zu ent- wickeln und unser Menschsein besser zu verstehen. Und das zu leben, worum es bei der „Sprachhygiene“ ja gehen soll: Um die Menschlichkeit, die uns alle ver- bindet. Markus Fischer Markus Fischer unterstützt seit 20 Jahren die Klärung spannungsgelade- ner Beziehungen. Der Pionier der „Gewaltfreien Kom- munikation“ in Deutschland begleitet den Kulturwandel in Unternehmen nach dem Grundsatz: Freiheit gibt es nur mit Verantwortung. Kultur wandeln Inhaber: Markus Fischer Kanzleistr. 23, D-72763 Reutlingen Tel. +491577 5228823 www.kultur-wandeln.de AUTOR

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