Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020

personal- und organisationsentwicklung 28 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 sam zu sein und möglichst keine Fehler zu machen. Deshalb entwickeln viele Menschen früh in ihrem Leben Denk- und Verhaltensmuster, die ihnen später eine verantwortungsvolle Haltung er- schweren. In unserer von rascher Verän- derung geprägten Welt brauchen wir aber mehr Gestalter, die bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu überneh- men – also Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung. Wieso? Simon: In den 1930er-Jahren sagte Henry Ford sinngemäß: „Mein Problem ist, dass ich zu den beiden Händen meiner Arbei- ter immer noch ein Gehirn bekomme.“ Mitdenken war in der tayloristischen In- dustrie also nicht gefragt. In der heutigen Wissensgesellschaft hört man von Mana- gern hingegen eher die Klage: „Die Mitar- beiter denken nicht ‚richtig‘ mit.“ Dabei blenden sie jedoch aus: Zum Mitdenken lassen sich letztlich nur Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung mo- tivieren – also Personen, die der Überzeu- gung sind, dass man den Lauf der Dinge beeinflussen kann. Inwieweit Mitarbeiter dieser Überzeugung sind, hängt selbst- verständlich auch von den Rahmenbedin- gungen und der Kultur im Unternehmen ab, aber auch von ihrer persönlichen Dis- position. Heißt das, die Unternehmen stellen zum Teil die falschen Leute ein? Simon: Zumindest sollten die Personal- verantwortlichen schon beim Einstellen von Mitarbeitern – jobabhängig – stark darauf achten, wie ausgeprägt deren in- terne Kontrollüberzeugung ist. Dies zei- gen oft schon ihre Biografien: Hat ein Be- werber sein Leben aktiv gestaltet, Dinge ausprobiert und vorangetrieben, oder wartete er eher reaktiv ab, was passiert? Das lässt sich auch in Bewerbungsgesprä- chen mit Fragen erkunden. Gibt es weitere psychische Faktoren, die beeinflussen, wie viel Verantwortung und Eigeninitiative ein Mitarbeiter zeigt? Simon: Ja, Menschen mit einer hohen Selbstverantwortung haben in der Regel ein ausbalanciertes Verhältnis zur Zeit. Was heißt das? Simon: Vereinfacht formuliert: Bei ihnen sind die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Denken und beim Entschei- den eng miteinander verknüpft. Sie sind also mit ihrem Denken zum Beispiel nicht in der Vergangenheit verhaftet und fragen sich bei Aufgaben primär: Was hat in der Vergangenheit funktioniert oder nicht? Sie sind vielmehr offen für Neues. Sie leben aber auch nicht hedonistisch im Hier und Jetzt und konzentrieren sich ausschließ- lich auf das, was gerade ist bzw. das, was sie gerade wahrnehmen. Was ist daran schlecht? Psychologen fordern doch oft, stärker im Hier und Jetzt zu leben? Simon: Zunächst mal nichts. Wenn man aber etwas gestalten möchte, darf man nicht nur den Moment auskosten und gemäß der Maxime „YOLO – You only live once“ leben. Man muss auch aus den Erfahrungen in der Vergangenheit lernen und die Konsequenzen des Handelns im Blick haben. Man sollte also, wie der amerikanische Psychologe Philip Zim- Warum wird über das Thema Selbstverantwortung so oft im Zusammenhang mit „Agilität“ diskutiert? Joachim Simon: Unter anderem, weil in unserer vernetzten Arbeitswelt die Auf- gaben in den Unternehmen immer kom- plexer werden und deren Kernleistungen zunehmend von bereichsübergreifenden Teams erbracht werden. Deshalb müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter ver- stärkt an der langen Leine führen. Und die Mitarbeiter? Sie müssen mehr Selbst- verantwortung übernehmen. Wie lassen sich die individuellen Unterschiede bei der Bereitschaft, Verantwortung oder Selbstverantwortung zu übernehmen, erklären? Simon: Ja, eine erste Antwort auf diese Frage lieferte der amerikanische Psy- chologe Julian B. Rotter in seiner 1966 erschienenen Monografie zum Thema „Locus of Control“. In ihr unterscheidet er zwischen Menschen mit einer internen und einer externen Kontrollüberzeugung. Wodurch unterscheiden sich diese? Simon: Menschen mit einer internen Kon- trollüberzeugung glauben, dass sie durch ihr Denken und Handeln ihr Leben be- einflussen können. Menschen mit einer externen Kontrollüberzeugung hingegen sind überzeugt, ihr Leben werde primär von Umständen, die außerhalb ihres Ein- flussbereichs liegen, bestimmt. Warum trifft man in unserer Gesellschaft so viele Menschen, die eine externe Kontrollüberzeugung haben? Simon: Unter anderem, weil schon klei- nen Kindern oft beigebracht wird, gehor- So kommt Verantwortung an den Arbeitsplatz INTERVIEW. Warum sind einige Mitarbeiter eher bereit, Verantwortung zu übernehmen und andere eher nicht? Mit solchen grundlegenden Fragen beschäftigt sich der Managementberater Joachim Simon in seinem neuen Buch „Selbstverantwortung in Unternehmen“.

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