Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020
wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 27 dern, die ihrer Mitarbeiter jedoch nicht, da diese ihre Wurzeln in deren Persön- lichkeit und Biografie haben. Sie können ihre Mitarbeiter aber ihrer persönlichen Disposition entsprechend einsetzen und bei ihnen vorhandene positive Tendenzen zumindest situativ verstärken. Ein wirk- sames Tool, mit dem Führungskräfte die Selbstverantwortung fördern können, ist das Storytelling. Hierbei geht es darum, spannende Geschichten zu erzählen und zukunftsweisende Fragen zu stellen und so dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter ein Bild von Zukunft entwickeln, das sie motiviert, weil sie ein Teil hiervon sein möchten. Wichtig ist, dass Führungskräfte – gerade in (Markt-)Umbruchzeiten, in denen sich die Paradigmen des Handelns ändern – in einen kontinuierlichen motivierenden Di- alog mit ihren Mitarbeitern treten. Wenn ihnen ihr Storytelling gelingt, erwächst hieraus eine große Handlungsenergie. Gute Fragen und Geschichten gestalten die Zukunft! Wirkfaktor 3: Welches Maß an Kon trolle und Vertrauen ist angemessen? „Lassen Sie Ihre Mitarbeiter los. Ver- trauen Sie ihnen, denn nur dann entfalten sie ihr Potenzial.“ Diesen Appell richten viele Leadership-Coachs an Führungs- kräfte. Er ist per se nicht falsch. Doch sollte das Vertrauen bzw. Loslassen so weit gehen, dass der Mitarbeiter denkt, seine Führungskraft interessiere sich nicht für ihn und seine Arbeit? Selbstverständlich sollten Führungskräfte nicht nach der Maxime „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ verfahren. Auch hier gilt: Die Lösung liegt in der Mitte. Wenn es keine Kontrolle gibt, kann dies beim Mitarbeiter schnell zum Eindruck füh- ren, seine Arbeit wäre dem Chef egal. Kontrollieren Führungskräfte hingegen zu viel, kann dies als Misstrauen erlebt werden und demotivierend wirken. Ohne Kontrolle ist auch kein fundiertes Feed- back möglich. Um ein solches, auch po- sitives, zu geben, muss die Führungskraft sich die Arbeit ansehen und diese wert- schätzend kontrollieren. Erfolgt keine Kontrolle, ist nur ein ober- flächliches „Gut gemacht“ möglich, das weniger Wirkung entfaltet als eine de- taillierte Rückmeldung. Eine der Person, Situation und Aufgabe angemessen do- sierte Kontrolle ist auch nötig, weil ohne jegliche Kontrolle meist über kurz oder lang ein unsoziales Verhalten im Team aufkeimt. Diese Gefahr ist gerade bei virtuellen Teams oder wenn ein Teil der Mitarbeiter im Homeoffice arbeitet, groß, da dann auch die wechselseitige soziale Kontrolle weitgehend entfällt. Einige Mit- arbeiter werden versuchen, diese Situa- tion zu ihren Gunsten auszunutzen und auszuloten, wie weit sie gehen können. Ein solches Verhalten steckt oft Kollegen an und irgendwann haben die Mitarbei- ter, die ihren Job verantwortungsbewusst machen, das Gefühl: Wir sind Außensei- ter. Deshalb sollten Führungskräfte zwar mit Vertrauen führen, aber dennoch eine ad- äquate Kontrolle der Arbeitsergebnisse und Arbeitsweisen ausüben. Diese Kon- trolle darf jedoch nicht auf der inneren Haltung basieren „Ich will die Fehler finden“. Die Handlungsmaxime muss lauten: „Ich will sehen, wie gut er oder sie das gemacht hat.“ Die Kontrolle sollte also auf der Basis eines wechselseitigen persönlichen Vertrauens erfolgen. Doch wie entsteht Vertrauen? Man könnte meinen dadurch, dass eine Führungskraft ihr Team in einem heldenhaften Akt vor Unheil bewahrt. Also dieses zum Beispiel aktuell in der coronabedingten Krisensi- tuation als „lonely heroe“ vor einem Stel- lenabbau schützt. Doch haben Führungs- kräfte in einer Sandwichposition hierzu überhaupt die Macht? In der Regel nicht! Zum Glück zeigt die Wissenschaft: Füh- rungskräfte müssen keine Superhelden sein, um das Vertrauen ihrer Mitarbeiter zu gewinnen. Diese wollen primär spü- ren, dass sie als Individuum mit ihren persönlichen Wünschen und Bedürfnis- sen, Interessen und Neigungen wahr- und ernstgenommen werden. Und es sind letztlich die kleinen Dinge im Ar- beitsalltag, die dazu führen, dass Mitar- beiter ihren Führungskräften vertrauen. Zum Beispiel, dass diese die Namen ihrer Lebenspartner und Kinder kennen, an ihre Geburtstage denken, sich auch mal anlasslos nach ihrem Befinden erkundi- gen. Wenn Mitarbeiter immer wieder spü- ren, dass ihre Führungskräfte sich für sie auch als Mensch interessieren und acht- sam sind, dann vertrauen sie ihnen mehr und mehr. Das erfordert Zeit und eine kontinuierliche Beziehungsarbeit. Ja, die zum Vertrauensauf- und -ausbau erforderliche Beziehungspflege ist Arbeit und erfordert Zeit – und sie sollte gerade in Krisenzeiten, wenn die Nerven von allen ohnehin angespannt sind, nicht in Vergessenheit geraten. Doch sie ist der einzige Weg, um echtes Vertrauen aufzu- bauen. Und nur wenn Vertrauen existiert, sind Mitarbeiter von sich aus motiviert, Verantwortung zu tragen und selbstver- antwortlich zu handeln. Versuchen Sie es als Führungskraft beim Führen mal mit einem Daumenwert von 20 Prozent Kontrolle und 80 Prozent Vertrauen. Mehr Kontrolle ist meist zu aufwendig und de- motivierend. Weniger Kontrolle hingegen kann dazu führen, dass Mitarbeiter das Gefühl haben „Meine Arbeit bzw. Leis- tung wird nicht wahrgenommen“ und einige beginnen, das System auszunut- zen. Was das rechte Maß an Vertrauen und Kontrolle ist, das letztendlich zur höchstmöglichen Selbstverantwortung führt, müssen Sie jedoch in der konkre- ten Zusammenarbeit und im Dialog mit ihren Mitarbeitern selbst ermitteln – auch aufgrund von deren Kontrollüberzeugung und Zeitorientierung. Das ist die eigentli- che Herausforderung bzw. der eigentliche Reiz beim Führen. Joachim Simon Joachim Simon ist Führungskräf- tetrainer und Busines scoach. Im September 2020 erschien sein Buch „Selbstver- antwortung im Unternehmen: Was Sie als Führungskraft dafür tun können“. Mit dem von ihm konzipierten Online- Programm „Egoleading“ können Füh- rungskräfte die Skills trainieren, die sie im digitalen Zeitalter zum Führen von Menschen brauchen. Joachim Simon Kattowitzer Str. 16 38126 Braunschweig Tel. +49531 35624-86 www.joachimsimon.info AUTOR
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