Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020

titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 • Es braucht Trainer, die sich selbst und andere gerne geistig fordern und in ihrem Leben eine mentale Transforma- tion selbst lebt haben. Die sich in das Potenzial eines Menschen verlieben. Die positiv unbequem fordernd sind. Die sich nicht emotional prostituieren. • Es braucht die Kombination von per- sönlicher Inspiration und ortsunabhän- gigem Lernen - online und offline. • Es bedarf konsequenter Umsetzungs- zeiträume und PE braucht die Möglich- keit, Lernfortschritte zu messen und abzubilden. • Alle Möglichkeiten zur Ausrede sollten im Voraus eliminiert werden – wie man beim Abnehmen den Inhalt des Kühl- schranks auf ein Minimum runterfährt. • Aus der Resilienzforschung wissen wir: Ein Mensch wächst im Leben entweder durch die Bewältigung von Krisen oder durch eine länger anhaltende Sinner- fahrung. Zweiteres gilt es, durch eine sinnvolle Denkschule zu vermitteln. • Es braucht mehr Menschen, die einen positiv zwingen, das zu tun, was man tun könnte. Statt sich also auf die „Bestätigung im Hier und Jetzt“ zu konzentrieren, sollte sich die Personalentwicklung kurz gesagt auf die „Bestätigung für geistiges Wachs- tum“ konzentrieren. Das sei ein kleiner Unterschied mit unglaublich großer Wir- kung und es handele sich um die zukünf- tige Daseinsberechtigung von PE - „damit die Entwicklung des Menschen nicht als Erstes dem Rotstift zum Opfer fällt, son- dern genauso ernstgenommen wird wie die Anschaffung einer Maschine.“ In Zukunft wird es laut Grundl darauf ankommen, zu erkennen, wie sehr der Markenkern „Bestätigung des Status quo“ zur Lähmung der Personalentwick- lung beigetragen hat. Aber ein Aufbruch zu neuen Ufern sei gut möglich: „Zuerst intellektuelles Erkennen, dann emotio- nales Anerkennen, dann mentale Trans- formation“. Der neue Markenkern von Personalentwicklung müsse „Bestätigung durch Wachstum“ heißen. Grundl: „Um zu diesem neuen Markenkern zu kom- men, muss PE einen Prozess durchlau- fen, der Zeit braucht und nicht verordnet werden kann.“ Er selbst bemühe sich, diesen Prozess sichtbar zu machen und beschreibe einen möglichen Weg für die Zukunft. Einen Weg, von dem er wisse, dass er in der Praxis funktioniere und von dem er an- nehme, dass er der deutschen Wirtschaft sehr guttäte. Seine Thesen sieht er als eine Einladung. Das Umsetzen liege jetzt aber in der Verantwortung der vielen Per- sonalentwickler, HR-Manager und Perso- nalchefs in den Unternehmen. Allerdings rechnet Grundl auch damit, aus Teilen der PE-Szene kritisiert zu werden – frei nach dem Motto: „Magst du die Botschaft nicht, diskreditiere den Boten.“ Grundl will sich der Diskussion stellen und sie offen austragen. Martin Pichler R Blick zurück in die Vergangenheit Die Personalentwicklung hat sich im Lauf der Jahre zu sehr auf die „Bestätigung des Selbst“ („Du bist gut, so wie du bist!“) konzentriert. Alle Mitarbeiter sollten Bestätigung erfahren und keine Chefs sollten ihre menschlichen Schwä- chen durch die Erniedrigung anderer kompensieren. Das machte Sinn, sehr viel Sinn sogar! Doch was ist aus diesem Ansatz geworden? Was ist in der Praxis passiert? Aus der „Bestätigung des Selbst“ ist die „Bestätigung des Status quo“ geworden. Immer weniger ging es um geistige Anstren- gung und damit um geistiges Wachstum, sondern primär darum, den Menschen so anzuerkennen und zu bestätigen, wie er jetzt ist, so dass er sich gut fühlt und erst recht am Arbeitsplatz. So drehte sich alles mehr und mehr um posi- tive Gefühle. Das Negative, das mental Anstrengendere, wurde immer mehr verdrängt. Wie ein ungewünschter Gast. Es wurde ausgeladen, was nicht auszuladen geht. So wurde aus dem Wunsch nach Bestätigung die Gier nach guten Gefühlen. Bis zur Einforderung von Bestätigung durch andere. So auf die Art: Wenn es keinen Schatten mehr gibt, bleibt nur noch Hintergrund. Auf der Suche nach einer kraftvollen Daseinsberechtigung sind die Personalentwickler laut Boris Grundl um das Jahr 2000 herum fündig geworden: „In der Analyse der Beschäftigten wurde klar, dass der Mangel an Selbstwert ein ernstes Thema ist.“ Grunds Analyse im Wortlaut: Sonne. Mit dem Ergebnis, dass sich heute immer mehr Menschen durch die Zunahme von Tempo, Komplexität und Transparenz überfordert fühlen, weil sie geistig zu langsam mitwachsen. Die mentalen Filter und Differenzierungsfä- higkeiten sind zu wenig entwickelt. Die Zahl der mentalen Krankheiten steigt ständig, obwohl es noch nie so viele Ent- wicklungsmöglichkeiten für jedes Individuum gab. Diese „Bestätigung des Selbst“, dieses „Recht auf gute Gefühle“, verdichtete sich im Wort „Wertschätzung“. Sie ist im Kern ein sehr wichtiger und wertvoller Begriff. Doch er wurde im Laufe der Zeit zweckentfremdet. In der sozialen Norm bedeutet Wertschätzung „Anerkennung als Mensch“ – eine Form bedingungsloser Anerkennung jenseits von Rollen, Erwartungen und Leistungsansprüchen. Wenn jemand Wertschätzung nicht in seinem privaten Umfeld findet, sucht er sie bei der Arbeit. Aber das ist ein Miß- verständnis, denn Wertschätzung im Unternehmen heißt „Respekt für Ergebnisse“, die das Unternehmen nach vorne bringen. Boris Grundl

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