Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020

titelthema 20 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 04. Die persönliche Entwicklung der Menschen mündet selten in Unternehmens erfolge. 05. Die erfahrenen Führungs- kräfte lassen die Weiter- bildung über sich ergehen. R Boris Grundl will die Wirksamkeit der Personalentwicklung (PE) deutlich erhö- hen und liefert Denkanstöße, wie sich die PE aus seiner Sicht neu erfinden sollte. Seiner Beobachtung nach zeigt es die ak- tuelle Corona-Krise besonders deutlich: Bei finanzieller Enge wird in den Unter- nehmen sofort eingespart, auf was man leicht verzichten kann. Grundl: „Viele kürzen als Erstes das Weiterbildungsbud- get. Die Entwicklung des Mitarbeiters in der bisherigen Form ist nicht systemre- levant. Kein Need-to-have, sondern ein Nice-to-have.“ Dieses fehlende Wert- schätzung lasse sich schon seit mehreren Jahren und über mehrere Krisen hinweg beobachten. Raus aus der Sackgasse Hinter der Personalentwicklung steht für Grundl grundsätzlich eine „wunderbare Idee“: Es geht um das Freisetzen aller zur Verfügung stehenden menschlichen Leistungspotenziale in einem Unterneh- men. Dazu gehört zum Beispiel, dass Dis- kriminierung ausgeräumt wird und dass Vielfältigkeit anerkannt und genutzt wird. Das alles ist wichtig, um den Unterneh- menszweck zu erfüllen und dabei jedem Menschen zu helfen, der beste Mensch zu werden, der er sein kann: starke Men- schen, starke Ergebnisse, starke Unter- nehmen. „Dieser Idee folge ich aus tiefs- tem Herzen“, betont der Grundl. Aber die PE habe sich durch ein „schwaches Selbstverständnis“ in eine Sackgasse ma- növriert und stecke dort fest. Sie habe sich zu sehr auf die „Bestätigung des Selbstwerts“ der Mitarbeiter konzentriert: „Du bist gut, so wie du bist!“. Das habe früher Sinn gemacht, aber aus der „Bestätigung des Selbst“ wurde die len können. Doch es gibt leider immer noch viel zu viele Mitarbeiter, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Sie wollen das Lob des Chefs für sich allein und tun alles dafür, dass ausgerechnet ihre Vorschläge sich in den Diskussions- runden durchsetzen. Solche Menschen sind viel zu sehr mit sich beschäftigt und deshalb für agile Teams nicht zu gebrau- chen. Die Aufgabe der künftigen PE sollte es laut Grundl sein, solchen Menschen zu helfen, ihre „Selbstfunktionalität“ zu erhöhen. Sie sollten trainieren, ihr En- gagement und ihre Kompetenz zu erhö- hen. Außerdem sollte man ihnen Dinge wie „Prioritäten setzen“ oder „Entschei- dungen treffen“ auf hohem Niveau bei- bringen. Kompetent fürs Homeoffice? Ein anderes Beispiel: Ein Unternehmen will, dass im Homeoffice effektiv gear- beitet wird. Diesen Wunsch erfüllen auf „Bestätigung des Status quo“. Immer we- niger ging es um geistige Anstrengung und geistiges und mentales Wachstum, sondern primär darum, den Menschen so zu bestätigen, wie er jetzt ist. Damit er sich gut und am Arbeitsplatz wohlfühle. Die mental anstrengendere Entwicklung der (Führungs-) Persönlichkeit wurde immer mehr verdrängt. Grundls Forderung nach mehr „geistiger Reife“ und „mentaler Stärke“ (um über persönliches Wachstum zur Erreichung von Unternehmenszielen zu kommen) mag etwas nebulös formuliert sein, aber folgendes Beispiel zeigt, worum es dem Inhaber des Grundl Leadership Instituts geht: Der Vuca-Welt wollen viele Unter- nehmen mit agiler Führung begegnen. Dazu müssen sich selbst organisierende Teams aufgestellt werden, die schnell auf Marktveränderungen reagieren kön- nen. Die Teammitglieder müssen sich alle einem gemeinsamen Ziel unterordnen und sich quasi selbstlos die Bälle zuspie- 06. Trotz Weiterbildung lernen es viele Teammitglieder nicht, agil zu arbeiten. Boris Grundl. Zur Digitalisierung seiner Seminarinhalte hat er sich im heimischen Trossingen ein TV-Studio eingerichtet. Foto: Martin Pichler

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