Wirtschaft und Weiterbildung 11/12 2020

menschen 16 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2020 INTERVIEW. Martin Seiler ist seit Januar 2018 Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG. Während der Corona-Pandemie bekam er die Leitung des Krisenstabs seines Arbeitgebers übertragen. Vom „Personalmagazin“ wurde er jetzt zum „Chief HR Officer“ (CHRO) of the Year 2020 gewählt. Stefanie Hornung und Reiner Straub befragten den Personalvorstand der Deutschen Bahn zu seiner Arbeit. Die Bahn startete im letzten Jahr eine Rekrutierungsoffensive. Wie hat sich das Recruiting in der Corona-Krise verändert? Martin Seiler: Das Recruiting ist bei uns ein gigantischer Pro- zess. Pro Jahr bewerben sich circa 400.000 Menschen bei der Bahn. Während des Lockdowns standen wir – wie andere Unternehmen auch – vor der Situation: Wie machen wir das denn jetzt? Wir haben innerhalb von 14 Tagen den kompletten Prozess von der Bewerbung über das Vorstellungsgespräch bis hin zum Onboarding vollumfänglich digitalisiert – das ist eine fantastische Leistung unserer Recruiting-Teams zusammen mit unserer IT! Dadurch konnten wir in dieser Zeit in einer ähn- lichen Größenordnung einstellen wie unter herkömmlichen Rahmenbedingungen. Wir haben dieses Jahr bislang 22.500 Einstellungszusagen gemacht, davon sind 4.700 Ausbildungs- verträge. Und wir werden die 25.000, die wir uns für dieses Jahr zum Ziel gesetzt hatten, definitiv schaffen. In welchen Bereichen stellen Sie die neuen Mitarbeiter ein? Seiler: Wir konzentrieren uns sehr stark auf die operativen Be- rufe: Lokomotivführer, Stellwerksmitarbeiter, Gleisbauer – die klassischen Bahn-Berufe also. Aber auch im Bereich Digitalisie- rung und IT werden wir einstellen. In der Laudatio hat die Vorjahresgewinnerin ihre Brücken- bauerfunktion hervorgehoben, die Personaler immer wieder zu erfüllen haben. Sie müssen unterschiedliche Interessen „Die Krise ist eine große Chance für HR“ zusammenbringen. Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wie viel Konfliktfähigkeit braucht eigentlich ein CHRO? Seiler: Für Arbeit von HR-Verantwortlichen ist ein Begriff wich- tig: Nachhaltigkeit. Wir haben keine Einzelentscheidungen zu treffen, sondern leben in einer Langzeitbeziehung mit den Be- teiligten. Deswegen ist es wichtig, verlässlich und nachhaltig zu arbeiten, und dem Gegenüber auch bestimmte Freiräume zu geben – gerade in einer Sozialpartnerschaft. Konfliktfä- higkeit hat mehr Dimensionen als nur hart oder weniger hart zu verhandeln. Konfliktfähigkeit bedeutet Brücken schlagen – zwischen Themen, zwischen Einheiten, zwischen Generati- onen. Die Bahn ist ein Traditionsunternehmen und wir wollen diese Tradition wahren – und gleichzeitig die Transformation vorantreiben und das Unternehmen in die Zukunft führen. Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die dreißig, vierzig, fünfzig Jahre dabei sind, mit viel Erfahrung und Fachwissen. Und jetzt stellen wir pro Jahr 25.000 neue Mitarbeiter ein. Da können Konflikte entstehen. Wir als Personaler sind gefragt, Jung und Alt zusammenzubringen – eben Brücken zu schlagen. Hat der CHRO in der Corona-Krise an Bedeutung gewonnen? Seiler: Ich bin davon überzeugt, dass die Krise eine große Chance für die HR-Funktion ist. Denn die Veränderungen, die wir jetzt sehen, sind so groß und kommen so schnell, dass es uns auch wirklich braucht, um diese Transformation zu gestal- ten. Wir sind jetzt gestärkt, aber wir müssen diesen Freiraum, Foto: Melanie Werner Martin Seiler. Der Personalvorstand der Deutschen Bahn (Mitte) bei seiner Auszeichnung zum „CHRO of the Year 2020“ am 30. September 2020 in Berlin.

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