Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019

wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 49 Aber so gut wie niemand schaut sich die Forschung an ... Ebert: Ja, leider. Das ist genau das Pro- blem. Es fehlt einfach an Schnittstellen der Psychologie zur Wirtschaft. Es gibt nur wenige Plattformen, wo Forschungs- wissen so aufbereitet wird, dass es auch diejenigen verstehen, die nicht selbst tief in der Forschung stecken. Man müsste daher oft viele Studien lesen, um heraus- zufinden, wie etwas denn nun wirklich ist. Und da greifen viele eben lieber auf eine dieser Bullshit-Geschichten zurück. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Psychologieprofessor Uwe Kanning mit seinem Youtube-Kanal „15 Minuten Wirt- schaftspsychologie“, der sich vor allem mit der Forschung zur Personalauswahl beschäftigt. Das Schwierige ist, dass Forscher bei einfachen Aufbereitungen immer gleich sagen, so stimmt das nicht. Das ist alles viel differenzierter. Da haben sie natürlich auch recht. Aber die Frage ist doch: Was darf man ein Stück weit vergröbern und ist trotzdem nicht falsch? Denn genau das brauchen wir, um wir- kungsvoll gegen den Bullshit ankämpfen zu können. Aber kann es für so etwas wie Organisationsentwicklung überhaupt valide Forschungsergebnisse geben? Ebert: Kaum, denn dafür ist das Feld zu schwammig und zu sehr Kunst statt Wis- senschaft. Aber es hilft einem natürlich trotzdem, wissenschaftsbasiert zu den- ken. Da sehe ich vor allem ein Problem bei Vertretern der neueren Systemtheorie à la Holacracy. Jeder, der sich ernsthaft mit Philosophie beschäftigt hat, weiß, dass das keine sinnvolle Position ist. Da werden Sachen erzählt, bei denen es ei- gentlich schon seit Jahrzehnten einen Konsens gibt, dass sie nicht stimmen. Zum Beispiel stimmt es nicht, dass die Geschichte nicht vorherbestimmt ist, sondern die Zukunft offen ist. Oder die abstruse These, dass sich die Religion künftig mit der Wissenschaft vermählen wird. Aber Holacracy-Gründer Brian Ro- bertson oder Frédéric Laloux sehen Un- ternehmen als lebendige Organismen, die mit „evolutionärer Energie“ ausgestattet einer „höheren Berufung“ folgen. Damit offenbaren sie eine esoterische Weltsicht, die mit der Evolutionstheorie unvereinbar ist. Aber kaum jemand hinterfragt das. Besonders beliebt ist auch die Quantenphysik ... Ebert: Das ist ein schönes Thema, weil man es ganz klar als Bullshit identifi- zieren kann. Das begegnet mir am häu- figsten in der Aufstellungsarbeit. Da be- haupten viele, dass es so etwas wie ein wissendes Feld gibt, das über Quanten- verschränkungen eine Fernwirkung hat. So wird dann derjenige, der in der Auf- stellung eine Position übernimmt, Teil eines metaphysisch wissenden Feldes. Alle Menschen, die etwas von Quanten- physik verstehen, halten das für Blödsinn. Aber der Bullshit funktioniert wunderbar, weil sich kaum ein Zuhörer wirklich mit dem Thema auskennt und man daher als Speaker, Trainer oder Organisations- aufsteller auch keine Angst haben muss, dass jemand das infrage stellt. Dabei ist das einfach nur Quantenquark. Wie kann ich denn ohne großen Aufwand herausbekommen, wie vertrauenswürdig eine Aussage ist? Ebert: Zunächst einmal sollte man gegen- über besonders unglaublichen Behaup- tungen immer ein gesundes Misstrauen haben. Unglaubliches ist leider oft auch unglaubwürdig. Für einen schnellen Bullshit-Check kann man das Stichwort bei der Internetsuche mit Worten wie „Mythos, Kritik, umstritten, widerlegt, enttarnt, falsch“ eingeben. Manchmal wird man fündig. Aber natürlich zeigen die Suchmaschinen auch viel Fragwürdi- ges an. Hier sind drei Filter sinnvoll: • Ist die Aussage plausibel und die Argu- mentation logisch und durch nachvoll- ziehbare Fakten gestützt? • Ist die Quelle vertrauenswürdig und sind Autor und Medium für zuverläs- sige Recherche bekannt? • Ist die Aussage in Fachkreisen akzep- tiert? Gibt es faktengestützte Zweifel? Manche Mythen wurden bereits von der Skeptikerbewegung zusammengetragen, einem internationalen Netzwerk für die kritische Auseinandersetzung mit Pseu- dowissenschaft. Aber leider ist es nicht immer einfach, eine realistische Einschät- zung zu einer Aussage zu bekommen und nicht alle Trainingsmythen und -irrtümer sind aufgeklärt und dokumentiert. Hat sich in den letzten Jahren in der Trainerszene etwas verändert? Ebert: Nein, ein Trainer muss heute ebenso wie früher überzeugen. Haupt­ sache, die Teilnehmer sind begeistert. Was morgen ist, ist egal. Ich erlebe nicht, dass sich bei der Evaluation in den Unter- nehmen strukturell etwas verbessert hat. Ihre Prognose? Ebert: Mein Eindruck ist schon, dass Menschen wie Donald Trump und Boris Johnson so schräg sind in ihrer Art von permanentem Bullshit, dass es zumin- dest in Europa eine wachsende Gegenbe- wegung gibt. Ich beobachte so etwas wie eine Reaktanz als Reaktion auf diese Ne- gativentwicklung und immer mehr sagen sich: Es reicht nicht, wenn jemand etwas im Brustton der Überzeugung behaup- tet, viel wichtiger ist, dass es auch wahr ist. Aber vielleicht ist das auch nur mein Wunschdenken. Interview: Bärbel Schwertfeger Buchtipp. Axel Ebert, Christoph Wirl: „Bullshit Busters. 21 Irrtümer und Mythen aus Vorträgen, TV und Büchern“, Goldegg Verlag, Berlin 2017, 222 Seiten, 20 Euro „Wenn die Forschung eine Geschichte nicht belegt, kann sie dann trotzdem für die Zuhörer nützlich sein? Gibt es sinnvollen Unsinn?“

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