Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019

training und coaching 48 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 ich statt von einer Atombombe von einer radioaktivitätserhöhenden Defensivwaffe rede, wird sie damit nicht automatisch positiv wahrgenommen. Aber genau diese sprachmystische Nai- vität wird oft auch von forschungsnahen Personen wie zum Beispiel der Beraterin Elisabeth Wehling vermittelt, die erklä- ren, dass man den normalen Menschen mit neuen Worten fast alles verkaufen kann. Frau Wehlings Framing-Ansatz postuliert, dass man durch unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft das Verhalten eines Empfängers beeinflussen kann. Ist das auch falsch? Ebert: Natürlich gibt es Framing-Effekte. Aber sie sind viel schwächer, als es Frau Wehling darstellt. Und sie sind immer vom Kontext abhängig. Das wird auch oft missverstanden. Viele denken, Psy- chologie ist wie Physik völlig kontext­ unabhängig. Aber viele psychologische Effekte sind stark vom Umfeld abhängig. Im Labor reagiert man anders als im wah- ren Leben. Genauso gibt es den Effekt, dass Fake News sich stark in den Köpfen festsetzen und sich nur schwer wieder korrigieren lassen. Aber wir sind dem nicht total ausgeliefert. Wenn man sich die Forschung genauer anschaut, gibt es sehr wohl Möglichkeiten, die Menschen von etwas anderem zu überzeugen. R Drei Beispiele für Bullshit-Geschichten Buchauszug. Im Buch „Bullshit Busters“ haben Axel Ebert und weitere Autoren 21 Geschichten gesammelt, die in Trainings und Vorträgen häufig erzählt werden, aber schlichtweg Unsinn sind. Hier sind drei Beispiele: Beispiel 1: Zehn Prozent Hirnnutzung Was erzählt wird. Wir alle nutzen nur zehn Prozent des Gehirns. Deshalb müssen wir es trainieren. Was stimmt. Die Magnetresonanztomogra- phie zeigt, dass das menschliche Gehirn selbst bei einfachen Tätigkeiten in seiner komplexen Struktur vollständig aktiviert ist. Es scheint keine abgeschalteten Gehirnare- ale zu geben. So sind sogar beim Stillsit- zen auch die Gehirnbereiche aktiv, die der Mensch für Bewegungen benötigt. Nerven- zellen mit Funktionen kommen bei gesun- den Menschen nie dauerhaft zur Ruhe. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil unser Hirn verhältnismäßig viel Energie braucht. Evo- lutionär wäre es nicht sinnvoll, wenn unser Hirn 90 Prozent funktionslosen Ballast durchfüttert. Was bleibt. Nichts. Hirnforscher finden keinerlei Anhaltspunkte für diese Aussage. Für Trainer hat dieser Mythos aber wunder- bare Nebeneffekte. Sie begründen damit ihre eigene Wundermethode, mit der sie das brachliegende 90-Prozent-Potenzial heben. Das ist gleich doppelt dreist. Auf den Zehn-Prozent-Mythos wird noch der eigene 90-Prozent-Erfolgsmythos draufgesetzt. Beispiel 2: Sinnliche Lerntypologien Was erzählt wird. Es ist wichtig, die drei ver- schiedenen Lerntypen anzusprechen: den auditiven, visuellen und kinästhetischen Lerntyp. Sie sind auch Grundlage beim NLP und praktisch, weil Trainer daraus klare Handlungsempfehlungen ableiten können: „Sprechen Sie den auditiven Typen mit Begriffen an, die das Hören betreffen.” Was stimmt. Der Wirtschaftspsychologe Uwe-Peter Kanning wertete 327 Publikati- onen in einer internationalen Forschungs- datenbank aus. Das ernüchternde Fazit: Es spricht nichts dafür, dass es diese Lernty- pen gibt. Sofern überhaupt einmal gering- fügige empirische Zusammenhänge gefun- den wurden, konnten diese nicht repliziert werden. Der Lernforscher Harald Pashler fasst es nach seiner Metaanalyse 2008 so zusammen: „Der Kontrast zwischen der enormen Popularität des Lernstile-Ansat- zes im Bildungsbereich und der Mangel an glaubwürdigen Beweisen für seine Nützlich- keit ist auffällig und störend.” Was bleibt. Nichts. Im Gegenteil: Es bringt offensichtlich keinen Lernvorteil, wenn jemand, der sich etwa als visuellen Typen bezeichnet, mehr visuelles Material zum Lernen erhält. Und was noch verhängnisvol- ler ist: Die Lernforschung hat gezeigt, dass es nachweisbare Methoden zur Verbesse- rung des Lernerfolgs gibt und Menschen am besten mit einer Mischung aus Text und Grafik lernen. Wer trotzdem die Lerntypo- logie-Mythen verbreitet, der verschwendet die begrenzten Bildungsressourcen und narrt seine Zuhörer. Beispiel 3: Übernatürliche Feuerläufer Was erzählt wird. Menschen laufen über glühende Kohlen und beweisen damit sich und anderen, dass Unmögliches möglich ist. Wer das schafft, dem gelingt alles im Leben. Damit das auch klappt, gibt es vor dem Feuerlauf ein aufwendiges Ritual, bei dem die Teilnehmer in tranceähnliche Zustände gebracht werden sollen. Was stimmt. Der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Karl Grammer vom Lud- wig-Boltzmann-Institute for Urban Ethology hat in einem umfangreichen Artikel bereits 1981 zusammengefasst: Trotz kurzfristiger Spitzentemperaturen von 200° C ist ein schadloses Überqueren der Holzkohlenglut ohne Vorbereitungszeremoniell, ohne jegli- che psychophysische Ausnahmezustände, ohne Verknüpfung mit religiösen Glaubens- inhalten, ohne spezielle Gehtechnik und andere Hilfsmittel barfuß in normaler All- tagsverfassung möglich. Die Erklärung liegt in der schlechten Wärmeleitfähigkeit von Holzkohle und menschlicher Haut sowie dem schnellen Gang über das Feuer. Was bleibt. Nichts. Die Behauptung, dass beim Feuerlauf der Geist über dem Körper stehe, ist schlichtweg Unsinn. Der Erklä- rungsansatz der Leitfähigkeit ist mehrfach wissenschaftlich bestätigt. Das Ritual davor, die Trance und die Gruppendynamik, sind vor allem Brimborium. Zusammenfassung: Bärbel Schwertfeger

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