Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019

training und coaching 36 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 formance in der Regel, um ein schönes sechsstelliges Umsatzergebnis pro Jahr zu erzielen. Der Speaker schafft höhere Um­ satzzahlen, manchmal sogar mit wesent­ lich weniger Aufwand: Aber nur, wenn er grenzgenial auf der Bühne ist, wenn seine Vorträge richtig rocken, einzigartig sind. Wie bei Michael Rossié, Johannes Warth, René Borbonus und einigen wenigen an­ deren Ausnahmetalenten. Die anderen Speaker benötigen hingegen wesentlich mehr Teamleistung, weil sie den oben ge­ schilderten Apparat der ständigen Markt­ präsenz und Neukundengewinnung nur so erreichen. Ich kenne nur ganz wenige 80-Stunden-pro-Woche-Speaker im Be­ reich der Bundesligaredner, die das allein oder mit ganz wenigen Unterstützern schaffen. Bei so einer realistischen Work­ load-Perspektive höre ich ganz oft von Trainern: „Blödes Speaking.“ 7 Kommunikation Dass Speaker mehr und lauter kommuni­ zieren müssen, um gebucht zu werden, ist bekannt. Das liegt auch daran, dass Speaker, die bei Einkäufern oder Speaker- Agenturen anrufen, ob sie denn nicht einen hypergenialen Top-Top-Speaker buchen wollen, in der Regel den Hörer nachgeworfen bekommen. Die Vermu­ tung, dass Speaker, die Telefonakquise nötig haben, schlecht sind, stimmt eben zu oft. Trainer müssen und dürfen das natürlich, denn sie leben vom one-to-one mehr als vom one-to-many. Bei top posi­ tionierten professionellen Trainern sollte zwar das Wiederbuchen und Empfohlen­ werden gut funktionieren, weshalb auch dort inbound besser funktionieren sollte als aktives outbound Marketing. Aber Trainer kommunizieren auch mehr zu HR- und PE-Verantwortlichen direkt, was dort durchaus üblich ist, um auch schnell über die Tiefen der Problemstellungen zu sprechen. Wohingegen Speaker mehr die Entschei­ der aus dem MICE-Markt (Meetings, In­ centive, Conventions and Events) oder direkt die Topentscheider im Unterneh­ men ansprechen. Die sind ganz anders gestrickt, haben weniger Zeit und wol­ len den Speaker finden oder von ihres­ gleichen empfohlen bekommen. Für den einen Gig (Auftritt) braucht es auch keine tiefgründigen Gespräche, sondern es wird ein Vortrag von der Stange gekauft, wo ich als Einkäufer im Wesentlichen nur si­ cher sein will, dass er funktioniert und rockt. Dazu kommt die Erwartung, dass der Vortrag ein wenig „customized“ wird – was aber am Ende kaum jemand ver­ misst, wenn der Vortrag trotzdem begeis­ tert. Welche Kommunikation führt nun zu Buchungen für Speaker? Es sind im Wesentlichen fünf Säulen: a) Speaking Teilnehmer hören den Speaker, sind be­ geistert, vielleicht sogar Fans und fragen an. Das sollte die Hauptschiene sein, wenn der Vortrag funktioniert und die Speaker-Maschine rollt. b) Publizieren Also das Verteilen von relevantem, neu­ gierig machenden Content jeder Art in den relevanten Märkten. Erfolgreiche Speaker bringen mindestens alle zwei Jahre ein Fachbuch heraus, veröffentli­ chen monatlich einen Presseartikel, alle zwei Wochen einen Podcast oder Vlog, jede Woche einen Blog und jeden Tag mehrere Beiträge auf allen wichtigen So­ cial Media- und Zielgruppenplattformen, diskutieren dort fleißig mit und verteilen Geschenke – oder lassen das alles tun. c) Listing Erfolgreiche Speaker generieren zahlrei­ che Kontakte mit double-opt-in-Erlaubnis zum Kontakt, organisieren sie in Com­ munities und beglücken diese mit indi­ vidueller und/oder automatisierter Kom­ munikation über Mailingstrecken: Von Geschenken über günstige Einstiegsan­ gebote bis hin zum hochpreisigen Inten­ sivangebot. Plus dem wiederkehrenden Impuls zur Empfehlung: Denn treue Fans empfehlen gern. d) Veranstalten Professionelle Speaker veranstalten sich regelmäßig selbst. In Form von größeren, günstigen „Kennenlern“-Events online wie offline über mittelbepreiste, schon sehr wertvolle Intensiv-Retreats bis hin zu tage- und wochenlangen Mastermind- oder Up-close-and-personal-Gruppen. Wenn diese Angebotspalette aufeinander aufbaut und sich Stufe für Stufe verkauft, erzeugt das konstante Inbound-Nachfrage nach Events, aber in Folge auch Anfragen für Vortragsbuchungen in den beteiligten Unternehmen. e) Netzwerken & Kooperieren Das sind die Königsdisziplinen des Spea­ kermarketings, denn kaum ein Speaker kann die nötige Marktdurchdringung dauerhaft alleine erzeugen, schon gar nicht am Anfang. Daher haben Speaker ein konsequentes Kontaktmanagement mit entsprechender Profisoftware. Sie su­ chen sich zu ihren Projekten stets Partner, die nicht im Wettbewerb stehen und die gesuchte Zielgruppe schon haben. Und sie kooperieren mit anderen Speakern gleicher oder höherer Ebene, um sich gegenseitig zu unterstützen. Zu diesen intensiv gepflegten Kooperationspartnern gehören natürlich auch die zahlreichen Event- und Referentenagenturen, die als Fans und Botschafter automatisch Anfra­ gen generieren. Da Speaker von der beeindruckenden Bühnenwirkung leben, ist nicht erst seit Web 2.0 das Kommunizieren und Posi­ tionieren über Videos Schwerpunkt der Profis. Videoplattformen wie Youtube lie­ fern daher wertvolle Inbound-Marketing­ beiträge. Die wenigen megatalentier­ ten Ausnahmen, die zur erfolgreichen Speaker-Marke eine Abkürzung nehmen konnten, sind Vorbild, zählen aber nicht als Benchmark. Fast alle dürfen diese Lei­ ter von unten besteigen und werden mit hoher Professionalität, Konsequenz und Fleiß zu selfmade Topspeakern. Speaking ist kein Sprint, sondern ein Cross-Coun­ try-Lauf. Erfolgreiche Läufer würden sagen: „Tolles Speaking“. Wenn Sie als Trainer nach diesem Arti­ kel das Gefühl haben, dass der Preis, ein erfolgreiches Speaking aufzubauen, zu hoch für Sie ist, wenn Sie diesen Preis für fünf bis sieben Jahre Aufbauarbeit einer Speaker-Marke nicht bezahlen wollen, ist das ganz und gar okay. Sagen Sie ein­ fach „Blödes Speaking“ und genießen Sie weiterhin den wunderschönen Beruf des Trainers, Beraters oder Coachs mit all sei­ nen Annehmlichkeiten, die es gibt, wenn Sie professionell und kundenorientiert arbeiten. Ignorieren Sie die, die suggerie­ ren, dass Speaking die Krönung und das allein seligmachende in der Experten­ landschaft sei. Schlechte Speaker haben wir mehr als genug. Das Leben ist auch ohne Speaking sehr lebenswert. Viel Er­ folg und Spaß dabei. Siegfried Haider R

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