Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019

R wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 25 Auch das zweite Argument hat einen pragmatischen Hintergrund: Wenn man nur eine Lösung verfolgt, zumal wenn sie aus nur einem Gehirn, dem des Chefs, entspringt, dann ist in heißen Umge- bungen die Möglichkeit des Scheiterns relativ hoch. Verfolgt man dagegen viele Lösungsansätze, die von verschiedenen Leuten eingebracht wurden, dann steigen die Chancen auf Erfolg. Alternativen brin- gen Sicherheit! Für erfolgreiche Unternehmensentwick- lung in heißen Umgebungen ist es also unumgänglich, Situationen zu schaf- fen, die eine Fülle an Lösungsvarianten ermöglichen, eine Fülle von Menschen und deren Ideen und Tatkraft einbezie- hen und Vielfalt erlauben, ja fordern. Wir setzen im Evolutionsmodell auf Selbstor- ganisation und damit auf die Herstellung von Fülle, genährt von der Hoffnung, dass daraus wirklich Neues entsteht, welches die Entwicklung des Unterneh- mens erfolgreich voranbringt. Und diese Hoffnung ist bisher niemals enttäuscht worden. Gegensätze haben Lösungspotenzial Gegensätze führen zu Spannungen. Darin sammelt sich Energie. Wenn diese Ener- gie frei wird, verrichtet sie Arbeit. Wir kennen die elektrische Spannung zwi- schen unterschiedlich geladenen Polen, die Maschinen antreibt. Die Gegensätze zwischen Wettbewerbern führen zu neuen Produkten und besseren Prei- sen. Die Widersprüche zwischen the- oretischen Berechnungen und experi- mentellen Ergebnissen haben Einstein zur Relativitätstheorie geführt. Ohne Gegensätze würde sich in der Welt nichts bewegen. Ergo: Gegensätze sind prima! Das gilt natürlich auch in Unterneh- men. Auch dort gibt es Gegensätze, Widersprüche und Konflikte – und zwar zwischen Menschen. Sie äußern sich auf verschiedene Weise: als gesteigerte Konzentration und Aufmerksamkeit, als Ärger und Frustration, als Ungeduld, als Drang zur Flucht und im Extremfall sogar in Form von Hass. Oft empfinden wir sol- che Situationen als negativ, obwohl sie in Wirklichkeit Ausgangspunkte und Ener- giespender für Lösungen und Weiterent- wicklung sind. Es geht also bei der Steuerung von sozia- len Prozessen (letztlich bei der Steuerung einer Unternehmensentwicklung) immer darum, diese Gegensätze klug zu nutzen. Das beginnt mit ihrer Erzeugung, die man nicht dem Zufall überlassen muss. Zum Beispiel kann man durch die Zu- sammensetzung von Teams oder durch bestimmte Reizthemen, auch durch das Verdeutlichen von Herausforderungen und deren Folgen, produktive Spannung herstellen. In interdisziplinären Arbeits- gruppen sind erst die unterschiedlichen Positionen zwischen den Beteiligten Grundlage f r neue Lösungsansätze. Die sorgfältige Beobachtung des weiteren Fortgangs und die Auflösung der Kon- flikte zum geeigneten Zeitpunkt kann zu produktiven Entwicklungen führen. Man muss dabei aber eines unbedingt beach- ten: Kompromisse schaffen zwar eine Zeit lang Ruhe, sind aber nicht produktiv. Sie sind nicht von Dauer, weil ein Kompro- miss eben keine Lösung ist, sondern nur die Einigung auf den kleinsten gemeinsa- men Nenner. In bestimmten Situationen bleibt zwar manchmal tatsächlich nichts anderes übrig als ein Kompromiss, aber man kann immer davon ausgehen, dass der ursprüngliche Gegensatz nach einiger Zeit wieder aufbricht. Prozesse bestimmen Strukturen Ergebnisse entstehen durch Prozesse. Also sind sie für Unternehmen leistungs- entscheidend. Strukturen, also Hierar- chien, die Aufbauorganisation, Gebäude und Raumanordnung, die Budgetvertei- lung, Personalressourcen und so weiter, können Prozesse fördern oder behindern. Im Sinne von Leistung müssen die Struk- turen den Prozessen folgen. Wenn es umgekehrt gehandhabt wird, geht es nicht um Leistung, sondern um Macht. Von den Führungskräften muss gefordert werden, die Bedingungen so zu gestalten, dass Arbeit funktionieren kann. Wir räumen der Ebene der Bedingungen, also den Strukturen, die größte Wirksam- keit ein. Dabei wissen wir natürlich um die Miss- brauchsmöglichkeiten, zumal wir diese in der Praxis oft antreffen. Da werden Strukturen aufgebaut, um Zugriff auf Ressourcen zu sichern, auf Informati- onen und Einfluss. Wir fordern deshalb, Bedingungen nach den Prozesserforder- nissen zu gestalten, die Strukturen den Prozessen dienstbar zu machen! Beson- dere Bedeutung hat dieser Grundsatz bei Organisationsentwicklung. Klassisch wird hierunter die Veränderung der Auf- baustruktur verstanden. Das greift aber zu kurz, denn Aufbaustruktur muss der Ablaufstruktur dienen. Deshalb muss man sich bei Organisati- onsentwicklung zunächst und vorrangig mit Prozessentwicklung beschäftigen. Sind die Prozesse klar definiert? Werden sie definitionsgemäß durchgeführt? Lau- fen sie optimal? Beinhalten sie Redundan- zen (was durchaus nichts Schlechtes sein

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