Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019
titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 fluss und ist durch soziale Interaktionen und Kommunikation veränderbar. Die sprachlich-kognitive Ebene hat von sich aus keinen Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Kombination mit den anderen Ebenen: „Worte allein bewe- gen nichts. Im Change-Prozess sollte man Emotionen und Motive ansprechen!“ Stärkere Veränderungen erreicht man laut Roth nur, wenn man zu den unbe- wussten Motiven der drei limbischen Ebenen vordringt. Das ist möglich, aber dazu muss man diese unbewussten Mo- tive eines Menschen auch hinreichend kennen. Fazit: Wenn man sich ändern möchte, dann sollte man wissen, dass Veränderungen von Merkmalen des Tem- peraments im Erwachsenenalter so gut wie unmöglich sind. Veränderungen früh- kindlicher Merkmale sind später schwer und langwierig und dies muss professio- nell geschehen. Die Veränderungen von Merkmalen, die sich im Erwachsenenal- ter entwickelt haben, sind leichter und oft Gegenstand eines Coachings. Verän- derungen auf der kognitiv-sprachlichen Ebene sind vergleichsweise leicht zu er- reichen, aber berühren die Persönlichkeit nicht. „Was habe ich davon?“ An dieser Stelle wurde Roth gefragt, was denn nun ein Unternehmen tun müsse, um einen Mitarbeiter dafür zu gewinnen, im Rahmen eines Change-Prozesses sein Verhalten zu ändern. Schließlich fordere der Change oft, dass man im Büro auf einen festen Arbeitsplatz verzichte, mit Fremden in virtuellen Teams zusammen- arbeite, schnelle Entscheidungen fällen müsse, keine langfristigen Kontakte auf- bauen könne, keinen Chef mehr als Vor- bild habe, selten eine Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit für das Ganze erkennen könne, keine feste Struktur vorgegeben bekomme, sondern im Gegenteil immer „irgendwie“ agil sein müsse. Roth wies darauf hin, dass sich jeder be- troffene Arbeitnehmer bei einem Change frage: „Was habe ich davon?“ Mitarbeiter zu motivieren, werde vor diesem Hin- tergrund nur gelingen, wenn der direkte Vorgesetzte für jeden seiner Mitarbei- ter die individuelle „Motivationstaste“ (die individuelle Belohnungserwartung) finde. Der Versuch, alle nach einem ein- heitlichen Schema zu belohnen oder mit Strafen zu bedrohen, nutze sich schnell ab und führe in der Regel kurzfristig zum Scheitern von Change-Projekten. Die spezifischen Motive eines jeden Mit- arbeiters zu finden, sei schwer, denn man könne schließlich niemanden direkt nach den ausschlaggebenden unbewuss- ten Motive fragen. Roth warnte: „Men- schen kennen sich selbst viel weniger, als manchmal ein Partner oder Freund das tut.“ Weiter komme man als Führungs- kraft nur, wenn man einen großen Teil seiner Arbeitszeit damit verbringe, mit seinen Mitarbeitern zu reden! Dabei geht es neben dem Inhalt eines Gesprächs ganz besonders auch darum, wie jemand etwas sagt, welche nonverbalen Signale er aussendet. Motive offenbaren sich zum Beispiel über Mimik, Gestik, Stimmfüh- rung, Körperhaltung und ein „stimmiges“ Zusammenpassen von Inhalt und Körper- sprache. Roth hält wenig von den gängigen Dia- gnoseverfahren, um Motive offenzule- gen. Es bleibt den Führungskräften wohl nichts anderes übrig, als das Unbewusste eines Mitarbeiters im Dialog hinreichend (natürlich nie vollständig) zu erfassen. Wichtig sei es zum Beispiel, intrinsisch motivierte Mitarbeiter rechtzeitig zu er- kennen und ihnen statt Geld und Macht besser eigenständiges Arbeiten und die Chance anzubieten, bester Experte auf ihrem Gebiet zu werden. Firmenintern bietet Roth derzeit nach eigenen Anga- ben ein Intervalltraining von dreimal zwei Tagen an, um Führungskräfte im Führen „diagnostischer“ Gespräche zu schulen. Das grundlegende Erkunden der tiefliegenden Motive eines Mitarbeiters ist laut Roth nun einmal die notwendige Vorarbeit, um den Mitarbeiter langfristig und ohne Erschöpfungserscheinungen in einem tiefgreifenden Change-Prozess bei der Stange zu halten. Laut Roth, der mit seinem Bremer „Roth Institut“ ( www.roth-institut.de) v iele praktische Erfahrungen in der Personal- und Unternehmensentwicklung sammeln konnte, werden Führungskräfte derzeit zu wenig auf ihre „eigentlichen Führungs- aufgaben“ vorbereitet, in deren Zentrum die individuelle Persönlichkeit der Mit- arbeiter stehen sollte. Neben fachlicher Kompetenz muss ein Vorgesetzter un- bedingt Vertrauenswürdigkeit und Fein- fühligkeit verkörpern. Außerdem sollte er Wertschätzung für die Mitarbeiter ausstrahlen, die Fähigkeit zu Selbstrefle- xion und Selbstkritik mitbringen und im Umgang mit Begabungs- und Leistungs- unterschieden sowie in Sachen Kommu- nikation und Feedback-Kultur gründlich trainiert sein. Roth warnte: „Eine Führungskraft kann und soll kein Psychotherapeut sein, aber die genannten Fähigkeiten müssen nach- drücklich vermittelt werden, sonst dauert die in der letzten Gallup-Studie offenbarte Misere der Führungskultur in deutschen Unternehmen auf ewig an!“ Martin Pichler R Gerhard Roth. Von den Chefs fordert er mehr „Feinfühligkeit“ gegen- über den Mitarbeitern. Foto: Pichler
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