Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019
wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 21 geburtlichen epigenetischen und hormo- nalen Einflüsse sind besonders wichtig, denn sie bestimmen denjenigen Grundbe- standteil der Persönlichkeit, mit dem wir auf die Welt kommen – auch Tempera- ment genannt.“ Dieses Temperament sei „angeboren“ im Sinne von „bei Geburt vorhanden“. Ab dem Alter von 12 bis 14 Jahren habe sich eine Persönlichkeit herausgebildet, die sich nur noch in Grenzen verändern lasse. Selbst wenn jemand von sich aus den Willen (!) habe, sich zu verändern, wird das laut Roth nur in sehr begrenz- tem Maße möglich sein. Menschen hätten oft leider nur eine geringe Einsicht darin, was die Knackpunkte und Engpässe ihrer Persönlichkeit seien und auf welches kon- krete Ziel sie sich hin verändern sollten. Persönlichkeit an vier limbische Ebenen gekoppelt Wer sich als „Weichensteller in eigener Sache“ betätigen wolle, müsse beachten, dass das Ausmaß der Veränderbarkeit von seiner bislang ausgebildeten indivi- duellen Persönlichkeit abhänge. So seien „dynamische“ Menschen von ihrer Per- sönlichkeit her veränderungsbereiter als „vorsichtige“ Menschen. Menschen verändern sich am leichtesten, wenn die Veränderung nicht zu tief in die Substanz ihrer Persönlichkeit vordringt. Deshalb lohnt es sich, sich grundsätzlich einmal mit der Entwicklung der Persön- lichkeit zu befassen. Die Entwicklung von Psyche und Persönlichkeit ist an vier sehr unterschiedliche, aber eng miteinander verbundene „limbische“ Ebenen gekop- pelt. Sie heißen: 1. untere limbische Ebene (… auf der die lebenserhaltenden Systeme angesiedelt sind. Die Ebene definiert aber auch unser Temperament, mit dem wir auf die Welt kommen. Sie legt Persönlichkeitsmerk- male wie Offenheit, Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität, Vertrauen/ Misstrauen, Umgang mit Risiken, Pünkt- lichkeit, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein fest. Durch Erfahrung oder Erziehung ist diese Ebene kaum zu beeinflussen.) 2. mittlere limbische Ebene (die durch die erste Sozialisation im Rahmen der früh- kindlichen Bindungserfahrung charakte- risiert ist. Es ist die Ebene unbewusster, nicht erinnerbarer emotionaler Konditio- nierung. Frühkindlich werden elementare Emotionen wie Furcht, Freude, Glück, Ekel … mit individuellen Lebensumstän- den verknüpft.) 3. obere limbische Ebene (Ebene des be- wussten sozialen Lernens. Unsere weitere Sozialisation soll uns befähigen, unsere privaten Interessen mit denen der ande- ren Gesellschaftsmitglieder in Einklang zu bringen. Hier werden relevante Per- sönlichkeitsmerkmale festgelegt: Macht- streben, Dominanz, Empathie, Verfol- gung von Zielen, Kommunikationsbereit- schaft.) 4. sprachlich-kognitive Ebene (die uns in die Lage versetzt, detaillierte Kommuni- kation einschließlich der Selbstdarstel- lung und der Rechtfertigung des eigenen Handelns zu betreiben. Die Ebene verän- dert sich ein Leben lang durch sprach- liche Interventionen.). Über die Veränderungsbereitschaft und die Verhaltensrelevanz lässt sich Fol- gendes sagen: Die untere limbische Ebene (Temperament) hat den stärksten Einfluss auf unser Verhalten, ist aber am wenigsten veränderbar. Die mittlere limbische Ebene hat ebenfalls großen Einfluss auf unser Verhalten. Verände- rungen sind schwer zu erreichen – und wenn, dann nur durch das Ansprechen individueller, emotionaler Motive und durch langfristiges Einüben neuer Verhal- tensweisen. Die obere limbische Ebene hat nur einen geringen Verhaltensein- R Buchtipp. Gerhard Roth: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern, Klett-Cotta, Stuttgart im Oktober 2019, 463 Seiten, 25 Euro
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