Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019
menschen 16 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 Unter den Flüchtlingen, heißt es, sind Sie auf tolle Näher gestoßen. Grupp: Fast alle Flüchtlinge haben ja in ihrer Heimat als Näher gearbeitet. Sie bringen sehr schnell 100 Prozent und mehr. Generell sind unsere Flüchtlinge sehr gute Mitarbeiter in der Konfektion. Sie nehmen quasi jeden, der nähen kann? Grupp: Nachdem in Deutschland die jungen Leute immer mehr Abitur machen wollen, kommen sie selbstverständlich da- nach nicht zu uns an die Nähmaschinen. Somit wird jeder, der nähen will, angelernt. Er muss allerdings gewisse Fähigkeiten dafür mitbringen. Bieten Sie Flüchtlingen auch Sprachkurse an? Grupp: Ja. Wir tun das nicht den Flüchtlingen zuliebe, sondern dem Unternehmen zuliebe. Je schneller wir uns verständigen können, desto besser. Wir bezahlen die Kurse. Der Teilnehmer muss 20 Euro beisteuern. Als kleine Motivationshilfe. Was um- sonst ist, ist nichts wert. Meine Tochter hatte die Idee zu einer Kooperation mit der Volkshochschule. Unternehmertum kann man nicht lernen, heißt es im Mittelstand. Was macht für Sie Unternehmertum aus? Grupp: Entscheidungsfreudigkeit, logisches Denken und vor allem konsequentes Handeln. Vor 50 Jahren haben sie Trigema übernommen. Wie sieht Unternehmertun bei Ihnen in der Praxis aus? Grupp: Ich muss mit offen Augen und Ohren durch die Welt gehen! Als ich anfing, haben wir nur Unterwäsche gefertigt. Als mich eines Tages ein Kunde anrief und fragte, ob wir auch T-Shirt fertigen würden, sagte ich nicht nein, sondern habe ihn gebeten, mir einmal einige Muster zuzusenden. So erkannte ich, dass sich das Unterhemd nunmehr auch zum Oberhemd entwickelt hatte und fertigte ab sofort auch T-Shirts. Jetzt - nach 50 Jahre - leben wir in einer Gesellschaft, die alles hat und mit allem versorgt ist. Sie reagierten auf diesen Umstand mit dem Ansatz vom „bedarfsgedeckten Wirtschaften“ und sind so zum Vorreiter und auch zum Vorbild für viele Manager geworden ... Grupp: Der Bedarf an Kleidung ist gedeckt! Die Kleiderschränke sind überall voll, deshalb ist die Textilbranche bei jeder Kon- junkturschwankung sehr anfällig! Wenn der Verbraucher das Einkommen nicht mehr hat, dann spart er als erstes an Klei- dung. Ich muss wissen, dass man unser Produkt, wenn man nicht mehr genügend Einkommen hat, als erstes nicht mehr kauft. Was machen Sie als Textilunternehmer unter diesen Bedingungen anders? Grupp: Ich lebe von Flexibilität und Qualität. Das heißt, ich fahre Produkte zurück, die der Kollege in China auch macht, aber billiger. Oder ich gebe diese Produkte auf. Stattdessen setze ich auf innovative Produkte. So verstehe ich Wachstum. So haben wir schon immer nach dem Prinzip „Grüner Knopf“ produziert und wurden somit als erstes Unternehmen zertifi- ziert! Wir setzen auf permanente Qualitätsverbesserung. Dafür bezahlt der Verbraucher auch gerne einen höheren Preis! „Cradle to Cradle“ (Wiege zu Wiege) ist der Name für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft. Das Prinzip wurde Ende der 1990er-Jahre von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entworfen. Sie haben die deutsche Textilbranche sehr erstaunt, weil sie schon früh mit Braungart zusammenarbeiteten ... Grupp: Im Jahr 2004 rief mich Professor Dr. Michael Braun- gart an, weil er erfahren hatte, dass die Firma Trigema zu 100 Prozent alles in Deutschland fertigt - von der Stoffherstellung über die Ausrüstung (also die Färberei/Bleicherei), die Vered- lung (also die Stickerei/Druckerei) und die Konfektion. Somit konnte Braungart seine Idee der Kreislaufwirtschaft bei uns am einfachsten umsetzen, weil wir alle Produktionsstufen in einem Hause hatten. Schon im Jahr 2006 sprachen Sie vor dem Forum Deutscher Katholiken in Fulda für ein „bedarfsgedecktes Wirtschaften“ aus. Was steckte dahinter? Grupp: Damals wie heute appelliere ich an unsere Vernunft! Wir dürfen in einem Hochlohnland keine Massenprodukte her- stellen, sondern müssen ausschließlich innovative Produkte produzieren. Ich frage mich, ob Sie sich eigentlich in „unserem Wirtschaftssystem“, das Wachstum über alles setzt, überhaupt noch zu Hause fühlen? Grupp: Wir dürfen in einem Hochlohnland Wachstum nicht in der Steigerung der Stückzahlen, sondern in der Steigerung der Wertigkeit der Produkte sehen. Wenn wir immer mehr Trigema. Das Unternehmen (über 1.200 Mitarbeiter und über 100 Millionen Euro Jahresumsatz) hat seinen Sitz in Burladingen. Foto: Trigema
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