Wirtschaft und Weiterbildung 11-12/2019
aktuell 12 wirtschaft + weiterbildung 11/12_2019 Seit einigen Monaten spürt man, dass viele Berater und Trainer sowie Coachs und Speaker zunehmend nervös werden. Sie klagen zum Beispiel darüber, dass ihre Unternehmerkunden (B2B) immer zöger- licher und zurückhaltender mit der Vergabe von Aufträgen würden – unter anderem aufgrund des Dauerbrenners Brexit sowie der von Donald Trump angezettelten Handelskonflikte und auch der politi- schen Konflikte. Größere Projektaufträge würden die großen Unter- nehmen fast nicht mehr vergeben, da selbst die Unternehmensführer oft nicht wüssten, wohin mit- tel- und langfristig technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich die Reise gehe. Deshalb erhalten jetzt Marketingexperten auch ver- mehrt Anfragen von Beratern, denen sprichwörtlich der Kittel brennt – weil absehbar ist: In drei, vier Monaten sind ihre Auftragsbücher (fast) leer. Also fällt ihnen plötzlich wieder ein „Da gibt es doch so eine Disziplin, die Marketing heißt“ – zumal ohnehin der Monat Oktober angebrochen ist, von dem viele Berater noch glauben „in ihm machen die Unterneh- men ihre Budgets fürs Folgejahr“. Weshalb sie in diesem Monat Jahr für Jahr in eine operative Hektik verfallen. Zweifellos stecken einige Branchen – wie zum Beispiel die Automobil- oder Finanzbranche – in Deutschland zurzeit in einer (Dauer-)Krise. Doch ob die deutsche Wirtschaft in einer Krise steckt, offen gesagt, ich weiß es nicht. Eher scheint es mir ein Umstrukturierungsprozess zu sein, der als Krise empfunden wird und den gewisse Beratergruppen (insbesondere solche, deren Leistungen aus Unter- nehmenssicht „Nice to have“ sind) als „Krise“ erle- ben. Dies schlägt sich auch in den Themen nieder, zu denen die Berater von PR-Unterstützern wie uns gerne Artikel in den Print- und Onlinemedien plat- ziert hätten. Forderte vor drei, vier Monaten noch alle Welt Artikel zu Themenkomplexen wie „Agilität“, „Digitale Transformation“ und „New Work“, so sollen nun alle Experten Artikel schreiben zu Themen wie „Krisenmanagement“, „Turnaround“, „Prozessopti- mierung“ und „Preise verteidigen“. Selbst Klassiker wie Business Reengineering sind plötzlich wieder gefragt. Und lautete vor drei, vier Monaten noch der Tenor der meisten Artikel „die Führung …“, „die Kul- tur …“, „der Mindset muss sich ändern“, so lautet nun der Grundtenor „Die Krise als Chance erkennen und nutzen“. Für PR-Agenturen wie uns, denen ihre Stammkun- den schon seit mehr als 10 Jahren die Treue halten, ist es recht einfach, kurzfristig solche Artikel zu schreiben und in Zeitschriften zu platzieren. Hierfür müssen sie nur in ihren Archiven nachschauen, wel- che Artikel sie 2008 nach Ausbruch der Finanzkrise für ihre Kunden verfasst haben und die passenden Manuskripte etwas aktualisieren. Danach können sie diese erneut Medien zum Veröffentlichen anbie- ten. Das tun auch wir. Die einzige Frage, auf die wir und unsere B2B-Kunden in unseren „Krise-als-Chance- Artikeln“ noch immer keine überzeugende Antwort gefunden haben, ist: Wie vermittelt man den Frauen und Männern, die bei den „krisenbedingten“ Umstrukturierungsmaßnahmen nicht zu den „Survi- vors“ zählen, sondern entlassen werden, glaubhaft, dass die Krise für sie eine Chance ist? Doch dafür sind ja auch nicht die B2B-Berater zuständig, darum kümmern sich nach der Entlassung Berufs- und Kar- riere- sowie Lebensberater – also B2C-Berater. Ist die Krise wirklich für jeden eine Chance? „ „ Bernhard Kuntz Gastkommentar Hurra, die Krise ist da!? Bernhard Kuntz ist der Gründer und Inhaber der Agentur „Die Profilberater GmbH“, Darmstadt, die Bildungs- und Beratungsanbieter beim (Online-)Marketing unter- stützt. Er ist Autor unter anderem der Bücher „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ und „Warum kennt den jeder?“. www.die-profilberater.de
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==