wirtschaft und weiterbildung 9/2019
training und coaching 48 wirtschaft + weiterbildung 09_2019 vor kurzem in einem Interview gesagt: Algorithmen sind gut im Verstehen von Mustern und Korrelationen. Wenn ein erkanntes Muster stabil ist und nicht diskriminiert, braucht es auch nicht immer eine erklärbare Kausalität. Antes: Das ist einer der dümmsten Sätze, die ich seit langem gehört habe. Was heißt Algorithmen verstehen Korrelatio- nen? Das ist inhaltsleer und zeigt, dass er nicht verstanden hat, wovon er redet. Das kann ich nur so hart sagen. Denn Korrela- tionen allein sagen gar nichts aus, weil es eben so viele und oftmals schwer erkenn- bare „Spurious Correlations“ gibt. Und dagegen sind die Maschinen völlig hilflos. Eine weitere Aussage von ihm ist, dass man nicht unbedingt eine Theorie braucht, sondern den Erfolg eines Verfahrens – zum Beispiel bei der Personalauswahl – am Ergebnis messen kann. Man schaut also zum Beispiel, ob die mit Algorithmen ausgewählten Bewerber schneller Karriere machen. Antes: Dann muss man auch Studien haben, die genau das sauber zeigen. Da kommt man stets schnell auf den wun- den Punkt: Wie sind die Gruppen gebil- det worden, die man vergleicht. Denn die müssten möglichst randomisiert sein und man müsste das zeitgleich und pa- rallel untersuchen, um die massive Ver- fälschung durch andere Faktoren zu re- duzieren oder idealerweise sogar auszu- schließen. Wenn man mal vor drei Jahren eine Studie ohne maschinelle Selektions- mechanismen gemacht hat, kann man das nicht mit einer aktuellen Stichprobe von Bewerbern vergleichen, die mit Algo- rithmen ausgewählt wurden. Der Selekti- onsbias ist der Killer vieler Studien. Es gibt bereits Anbieter, die behaupten, ihre Programme können errechnen, welche Mitarbeiter demnächst kündigen werden. Antes: Das sind Prognosen. Dazu gibt es in der Wissenschaft einen bösen Spruch: R Wer ist Professor Gerd Antes? Das Cochrane-Netzwerk ist benannt nach dem britischen Arzt und Epidemiologen, Sir Archibald Leman Cochrane. Dessen Überlegungen zur Überprüfung von Therapien in Studien und die Aufbereitung dieser Ergebnisse in syste- matischen Übersichten waren der Ausgangspunkt für die Gründung von Cochrane im Jahr 1993. In den vergange- nen Jahrzehnten ist daraus ein globales unabhängiges Netzwerk von klinischen Forschern, Ärzten, Methodikern, Angehörigen der Gesundheitsfachberufe und Patienten entstanden, das die wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem verbessern will. Antes ist Mitinitiator des 1998 gegründeten „Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin“, für das er später auch als Vorstand fungierte. Das Leitbild des Vereins ist geprägt durch ein kritisch-wissenschaftliches Denken und die Ori- entierung am Patientennutzen. Im Jahr 2012 ernannte ihn die Medizinische Fakultät der Universität Freiburg zum Honorarprofessor. Heute ist der 70-Jährige als Gastwissenschaftler am Institut Evidenz in der Medizin der Universität Freiburg und am Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am Kli- nikum der Universität München tätig. In seinen Vorträgen und Artikeln prangert Antes vor allem den unkritischen Umgang mit Big Data im Gesundheitswesen an und plädiert dafür, die Grundsätze guter Wissenschaft nicht über Bord zu werfen. Antes gilt unter Experten als ein Freund der kla- ren Worte. In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zei- tung“ schrieb er, dass hinter der missbräuchlichen Nutzung Hintergrund. Professor Gerd Antes war bis 2018 Direktor des deutschen Cochrane Zentrums am Institut für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik am Universitätsklinikum in Freiburg im Breisgau. Gerd Antes. Der 70-Jährige arbeitet noch als Gastwis- senschaftler an der Uni Freiburg. von Daten ein sehr viel bedeutenderes Problem stehe: die Annahme, dass große Datenmengen stets besser seien als wenige Daten und dass Datenanalysen letztlich zur Lösung jedes Problems führten. Im „Ärzteblatt Baden-Württem- berg“ prangerte er im Juni 2019 an: „Die fundierte Tech- nikfolgenabschätzung ist mutiert zu einer Ideologie, die nicht hinterfragt, sondern umgesetzt werden muss.“ Auf der „Skepton“, einer Konferenz für kritisches Denken, refe- rierte Antes im Mai 2019 zum Thema „Gute wissenschaft- liche Praxis und Evidenz versus Big Data und künstliche Intelligenz – Partner oder Gegner?“ Die Konferenz wurde von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP e. V.) veranstaltet.
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