wirtschaft und weiterbildung 9/2019
training und coaching 46 wirtschaft + weiterbildung 09_2019 künstlichen Intelligenz ausgewertet wer- den. Und wenn man weiter fragt, wie das funktioniert, bekommt man das nächste Schlagwort um die Ohren gehauen: Deep Learning. Und weil der Computer beim Deep Learning alleine lernt, wissen wir nicht, wie es geht. Daher gibt es leider keine Transparenz. Da steht man dauernd irgendwo im definitorischen Niemands- land. Ich habe das schon mal als Trum- pismus in der Wissenschaft bezeichnet. Das, was wir derzeit verstärkt in der Ge- sellschaft sehen wie Aberglaube, Fake- News, Verschwörungstheorien, also alles, bei dem die Ratio ausgeschaltet wird, ist zumindest an den Rändern auch schon in die Wissenschaft eingedrungen. Vieles von dem, was heute versprochen wird, kann einfach nicht funktionieren. Warum nicht? Antes: Der fundamentale Fehler ist die Annahme, man brauche nur riesige Da- tenmengen und der Rest ergäbe sich dann von allein. Das ist einfach nur unglaub- lich dümmlich. Es gibt Arbeiten, die in jüngster Zeit eindrücklich bestätigt wur- den und die zeigen, dass mehr Daten sogar ungünstiger sein können als weni- ger Daten. Wenn ich zum Beispiel eine Befragung vor einer Wahl mache, hängt das Ergebnis eng damit zusammen, wer überhaupt mitmacht. Es gibt also eine Selbstselektion. Das ist zum Beispiel bei der Wahl von Donald Trump der Fall ge- wesen, deren Ergebnis keiner vorherge- sagt hat. Inzwischen gibt es Studien der Harvard University, die zeigen, dass die Ergebnisse einer Befragung nicht besser sind, wenn man die Daten von einem Pro- zent der US-Bevölkerung, also ungefähr 2,3 Millionen Menschen, verwendet als wenn man eine sorgfältig ausgewählte, repräsentative Stichprobe von 500 Men- Im Personalbereich gibt es immer mehr Start-ups, deren Programme mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) die Personal- auswahl oder Mitarbeiterbeurteilung vereinfachen und verbessern sollen. Dabei fällt auf, wie unkritisch die neuen Angebote oftmals hochgejubelt werden. Wie erklären Sie sich das? Professor Dr. Gerd Antes: Digitalisierung ist derzeit ein absoluter Hype, der die normale Kritikfähigkeit bei vielen ein- fach ausschaltet. Das ist natürlich gerade bei Journalisten verheerend. Das Ganze lässt sich auch nicht mehr rational er- klären. Das ist schon fast so etwas wie eine Gehirnwäsche. Digitalisierung ist in- zwischen eine oft sehr stark vom Marke- ting getriebene Ideologie. Dabei werden manchmal Dinge behauptet, die völlig ab- surd und mit theoretischen Grundlagen völlig unvereinbar sind. Ideologie? Aber gerade datenbasierte Verfahren sollen doch in Wirklichkeit vorurteilsfrei sein. Antes: Wir haben doch längst eine religiös anmutende Verehrung von Daten. Man kann zwar lange darüber philosophieren, ob Religion eine Ideologie ist. Auf jeden Fall ist es etwas, was nicht hinterfragt werden kann. Und das ist hier genauso. Was heißt denn eigentlich künstliche Intelligenz? Wenn man nachfragt, hört man, dass die Daten mit Methoden der Künstliche Intelligenz trifft „künstliche Dummheit“ INTERVIEW. Mehr Daten führen nicht immer zu besseren Erkenntnissen, betont Professor Gerd Antes, bis 2018 Direktor des deutschen Cochrane Zentrums. Für den Mathematiker und Biometriker sind Digitalisierung und künstliche Intelligenz inzwischen zur Ideologie verkommen, für die wissenschaftliche Qualitätsstandards über Bord geworfen werden. Antes warnt, die Korrelation von Daten sage alleine überhaupt nichts aus. Foto: Monty Rakusen / gettyimages „Wir haben doch längst eine religiös anmutende Verehrung von Daten.“
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