wirtschaft und weiterbildung 9/2019
wirtschaft + weiterbildung 09_2019 33 von Kindern, Aufnahme eines Pflege- kindes oder schwere Krankheit – die Le- benslinien der Teilnehmer nahmen in den zwei Jahren des Projekts viele Wendun- gen. „Zunehmend wechseln sich heute Phasen von hohem beruflichem Engage- ment mit familiär motivierten Auszeiten und beruflicher Neuorientierung ab“, so Bittlingmaier. Die Konsequenz für Perso- nalentwicklung: Es gilt, berufliche Wei- terbildung noch individueller und flexi- bler an verschiedene Lebensentwürfe anzupassen. Während für den Wieder- einstieg klassische Bildungsmaßnahmen und Lösungen für familiäre Situationen gefragt sind, dürften Mitarbeiter mit neuen Aufgaben in einer sich wandeln- den Arbeitswelt im Coaching ein passen- des Begleitinstrument finden. Entscheidend scheint auch der persön- liche Freiraum für Entwicklung zu sein. „Wer Stärken ausbaut, statt vermeintliche Schwächen auszumerzen, fördert viel eher echte Entwicklungssprünge“, meint Torsten Bittlingmaier. Menschen könnten ihre Fähigkeiten besser nutzen, wenn sie ihren Neigungen folgen könnten. „Daraus entsteht ein viel größerer – auch betriebli- cher – Nutzen“, so Bittlingmaier. „Die alte Idee, Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen, indem man sie nötigt, sich die Ziele des Unternehmens zu eigen zu ma- chen und die persönlichen Ansprüche in deren Dienst zu stellen, hat ausgedient“, konstatiert Mario Kestler. Es gehe nicht darum, wessen Why das Wichtigere sei, sondern um das Ausloten und Verhan- deln auf Augenhöhe, wie eine optimale Überlagerung der jeweiligen Ansprüche erreicht werden könne – in Karrierefragen und insbesondere in der Weiterbildung. Umwege erhöhen Ortskenntnis Allerdings erfordert dies ein Umdenken von Personalentwicklern und Führungs- kräften: weg von der auf eine bestimmte Stelle oder Position ausgerichteten An- passungsqualifizierung hin zu einer po- tenzial- und stärkenorientierten Förde- rung. Personalentwickler müssten dafür gemeinsam mit den Mitarbeitern die Ziele festlegen. Dies könnte nach Meinung der Projektverantwortlichen zu einer höheren Stimmigkeit von persönlichen Leitlinien und beruflichem Kontext führen. Zumin- dest im Projekt Smile führte es zu einer größeren Verbundenheit, wenn Arbeit- geber Mitarbeiter von ihrer „Weiterbil- dungsunmündigkeit“ befreiten. „Der per- sönliche Erfolg der Projektbeteiligten lag nicht im Erreichen eines konkreten Ziels, sondern in dem zurückgelegten Weg und den dabei gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen“, findet Mario Kestler. Die in Unternehmen zumeist noch übli- che Praxis von jährlichen Mitarbeiterge- sprächen und Zielvereinbarungen erwies sich im Projekt Smile als unbrauchbar. Innerhalb eines Jahres ereigneten sich zu viele ungeplante Veränderungen. Die Projektteilnehmer reagierten sehr flexibel, wenn die Ziele nicht mehr passten. Sie mussten sie neu justieren oder gänzlich verwerfen und neue ansetzen. „Einfach nur eisern an einmal gesetzten Zielen festzuhalten, schlicht der Zielerreichung wegen, ergibt keinen Sinn. Inwiefern wir das Ziel erreichen, trifft nur eine Aussage darüber, ob man auf Kurs geblieben ist“, erläutert Torsten Bittlingmaier. Das bisher übliche „lineare“ Vorgehen werde des- halb besser zu einem „Planung – Umset- zung – Neuorientierung“ bei permanen- ter Kontrolle, ob die gesetzten Ziele wei- terhin erreichbar oder überhaupt noch sinnvoll seien. Die Projektinitiatoren hatten es noch einmal klassisch mit Quartalsreporting versucht: Alle drei Monate fragten sie die Teilnehmer: Was habt Ihr Euch vorge- nommen und was ist aus Euren bisheri- gen Zielen geworden? Sie mussten einse- hen: Derart stringente Ziele gehen an der Realität vorbei. Die Teilnehmer kamen nicht von A nach B, sondern landeten bei C. Hatten sie damit ihr Ziel verfehlt? „Ziele taugen in der persönlichen Ent- wicklung nicht mehr als Referenzgröße. Es braucht eine Alternative: Entscheiden- der Faktor, ob Weiterbildung Menschen wirklich weiterbringt, sind ihre Learnings und Erkenntnisse bezüglich der Frage: Passt das, was ich tue, besser zu mir?“, erklärt der Geschäftsführer der Haufe Akademie. Entwicklung erleichtern be- deute auch, mit Menschen zu entdecken, wofür diese brennen. Wer die passende Rolle finde, erlebe weniger Reibungsver- luste. Deshalb sei ein neuer Maßstab für Weiterbildung, ob Menschen im System Familie und Beruf gefestigter sind als vor- her und eine gute Balance finden. Letztlich erkennen Unternehmen den Er- folg ihrer Weiterbildungsinitiativen auch am Thema Fluktuation: Wenn jemand länger im Unternehmen bleibt und sich dort entwickelt, ist das Shared-why – die Schnittmenge von persönlichem und or- ganisationalem Sinn – höchstwahrschein- lich gelungen. So waren am Ende des Pro- jekts trotz der Freiheit zur Neuorientie- rung alle schon anfangs fest angestellten Teilnehmer noch bei ihren Unternehmen – zumeist in neuer Funktion. Stefanie Hornung Kick-off. Zu Beginn des „Smile“-Projekts malen die Teilnehmer Bilder, wie sie sich ihre individuelle Entwicklungsreise vorstellen.
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