wirtschaft und weiterbildung 9/2019
wirtschaft + weiterbildung 09_2019 29 Produktentwicklung kann das Workshop- Ergebnis lauten: Hier sollten wir das agile Arbeiten forcieren, weil sich außer den Anforderungen der Kunden auch die technischen Möglichkeiten von uns und unseren Kunden rasch ändern. Zudem sollten wir die Zusammenarbeit unserer Produktentwickler außer mit dem Ver- trieb auch mit unserem Kundendienst beziehungsweise dem Service forcieren, zum Beispiel durch entsprechende inter- disziplinäre (Entwickler-)Teams, denn die Service-Mitarbeiter bekommen bei ihren Kundenbesuchen am ehesten mit, • was unsere Kunden an unseren Pro- dukten und Problemlösungen schätzen oder nicht, • wo bei ihnen neue Bedarfe entstehen und • in welche Richtung bei ihnen die Ent- wicklung geht. Im Vertrieb kann das Analyseergebnis zum Beispiel lauten: Unsere Vertriebs- mitarbeiter sind schon sehr agil im Markt unterwegs. Jedoch sollten wir über Infor- mationssysteme nachdenken, die die Au- ßendienstler mit qualifizierten Marktda- ten versorgen, damit sie noch agiler und zielgerichteter bei ihrer Arbeit vorgehen können. Zudem sollte unser Finanz- und Controlling-Bereich über neue Finanzie- rungsmodelle nachdenken, da viele un- serer Zielkunden Finanzierungsprobleme haben, und unsere Verkäufer anschlie- ßend darin schulen, wie sie diese, wenn das Ja zum Auftrag daran hängt, den Kunden schmackhaft machen können. Die obigen Ausführungen sollen zeigen: Wenn es um das Thema „Agile Skalie- rung“ geht, ist es wenig sinnvoll, die be- treffenden Methoden sozusagen mit der Gießkanne über die gesamte Organisa- tion auszugießen. Dafür sind sowohl die Aufgaben der Bereiche, als auch deren Ausgangsvoraussetzungen zu verschie- den. Vielmehr gilt es, ein abgestimmtes Gesamtkonzept zu entwerfen, das aus- gehend vom übergeordneten Ziel – „Wir wollen als Unternehmen agiler am Markt agieren, damit wir auch mittel- und lang- fristig erfolgreich sind“ – die Arbeit in den einzelnen Bereichen sowie ihre Koopera- tion gezielt entwickelt. Hierbei können agile Arbeitsweisen und -methoden eine unterschiedliche Rolle spielen. Fallstricke bei agilen Change-Projekten umgehen Wenn die einzelnen Bereiche oder agilen Teams in einem Change-Prozess eigenver- antwortlicher und selbstbestimmter agie- ren, besteht die Gefahr, dass in der Orga- nisation neue Wissensinseln entstehen. Deshalb sollten die Unternehmen sich auch mit der Frage befassen, wie sie dafür sorgen, dass das von den agilen Teams gesammelte (Fakten- und Erfahrungs-) Wissen weitergegeben wird. Zudem be- steht die Gefahr, dass in der Organisation ein Wildwuchs entsteht. Also sollte das Unternehmen für das nötige Alignment sorgen. Es sollte unter anderem sicher- stellen, dass sich die einzelnen Teams bei ihrem Handeln an der gemeinsamen Vision orientieren und sich bei Entschei- dungen zum Beispiel fragen: Welche Kon- sequenzen hat unsere Entscheidung für die Gesamtorganisation? Diese Frage ist auch nötig, um zu vermeiden, dass neue Silos entstehen. Im Arbeitsalltag die nötige Balance zwi- schen einerseits einem weitgehend eigen- ständigen und -verantwortlichen Han- deln und andererseits der erforderlichen „Gemeinwohlorientierung“ zu halten, ist in größeren Organisation, in denen die Leistung arbeitsteiliger als in einer Gara- genfirma erbracht wird, oft nicht leicht. Deshalb sollten Unternehmen, wenn sie in Bereichen oder Teams agile Arbeits- weisen einführen, ihren Mitarbeiter zum Beispiel sogenannte Agile Coachs als Be- rater und Unterstützer zur Seite stellen. Diese dürfen jedoch keine Greenhorns beziehungsweise Evangelisten sein, die die agilen Methoden als „Allheilmittel“ präsentieren. Sie müssen vielmehr das Alltagsgeschäft ihres jeweiligen Gegen- übers kennen und verstehen, um auch ein Gespür dafür zu haben, • was agiles Arbeiten im jeweiligen Kon- text konkret bedeutet, • wo seine durch den organisationalen Rahmen gesteckten Grenzen sind, die es eventuell durch Veränderungen auf der Struktur-, Kultur- oder Prozess ebene zu durchbrechen gilt. Oder an- ders formuliert: Agilität bei der Strate- gieumsetzung zeigt sich gerade darin, dass beim Umsetzen der Strategie auf der Bereichs- oder Shopfloor-Ebene nicht nach Schema F verfahren wird, sondern die jeweiligen Rahmenbedin- gungen beachtet werden. Das passende Framework wählen Für die „Agile Skalierung“ selbst, also das Einführen der agilen Methoden, wer- den im Markt verschiedene Frameworks, sprich Konzepte angeboten, zum Bespiel LeSS, Scrum@Scale und SAFe. Diese liefern jedoch alle keine Blaupause für das gesamte Unternehmen. Dass in der gesamten Organisation agile Strukturen geschaffen und agile Arbeitsweisen einge- führt werden, ist bei größeren Unterneh- men, die im Gegensatz zu vielen Start- ups keine reinen Entwicklungsorganisati- onen sind, jedoch auch meist nicht nötig. Unverzichtbar ist es jedoch, dass be- reichs- und hierarchieübergreifend ein gemeinsames Grundverständnis dafür geschaffen wird, warum ein agiles Ar- beiten sowie eine interdisziplinäre und crossfunktionale Zusammenarbeit für das Entwickeln und Realisieren inno- vativer, komplexer Problemlösungen in einer von rascher Veränderung geprägten Welt nötig sind. Eine entsprechende Un- ternehmens- und Führungskultur gilt es zu entwickeln. Dies gelingt nur mit einer tatkräftigen Unterstützung durch die Un- ternehmensspitze. Dr. Daniela Kudernatsch Dr. Daniela Kudernatsch ist Managing Director der Unter nehmensberatung Dr. Kudernatsch Consulting & Solu tions, Straßlach bei München. Sie hält unter anderem Seminare zum Thema „Hoshin Kanri – Policy Deployment – der effektive Strategieumsetzungspro zess“. Dr. Daniela Kudernatsch Fußsteinerstraße 3 82064 Straßlach bei München Tel. 08170 92233 www.kudernatsch.com AUTORIN
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