wirtschaft und weiterbildung 9/2019
titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 09_2019 bisherige Zusammenarbeit mit der Bun desagentur gestaltet sich jedenfalls ko operativ und gut.“ Unterschiede bei der Auslegung des Gesetzes In den Schlagzeilen der letzten Zeit war die Bundesanstalt für Arbeit weniger wegen des neuen Gesetzes, sondern vielmehr wegen unerfreulicher Perso nalquerelen. Nachdem Valerie Holsboer vom Verwaltungsrat ihres Amtes als BA- Vorstand enthoben wurde, gab auch der stellvertretende Vorsitzende des BA-Ver waltungsrats, der Arbeitgeberfunktionär Peter Clever, der in der Presse als Draht zieher der Absetzung von Holsboer galt, sein Amt auf. Haben die Personalquerelen die Umset zung des Qualifizierungschancengesetzes etwa behindert? „Das hat nichts mit der Resonanz auf das Qualifizierungs chancengesetz zu tun“, meint Christian Ramm, Vorsitzender der Geschäftsfüh rung der Agentur für Arbeit Freiburg. Dass das Qualifizierungschancengesetz gemächlich anlaufe, findet er normal. „Die Arbeitgeber müssen erst einmal mitkriegen, dass sie da neue Fördermög lichkeiten haben. Sie haben auch noch ihr Kerngeschäft und deshalb kann es dauern, bis sie tatsächlich einen Antrag stellen.“ Der Weiterbildungsexperte Ru dolf Kast fordert dagegen: „Die Agenturen für Arbeit müssen viel mehr für die För derungsmöglichkeiten werben und über die Wirtschaftsverbände Unternehmer, Geschäftsführer und Personalverantwort liche informieren.“ In der Praxis bestünden große regionale Unterschiede bezüglich des Informations flusses. Nicht alle Agenturen nähmen ihre Informationspflicht gleichermaßen inten siv wahr. Auch die Genehmigungspraxis unterscheide sich stark: Ein und dieselbe Förderung werde mal genehmigt und mal abgewiesen. „Das Qualifizierungschan cengesetz lässt sehr viel Interpretations spielraum bei der Frage, inwiefern beruf liche Tätigkeiten durch Technologien er setzt werden können oder ob Beschäftigte in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind“, sagt Kast. „Wir haben es hier mit Ermessensbegriffen zu tun, die der unterschiedlichen Auslegung durch die Agenturen für Arbeit Tür und Tor öffnen.“ Dies wäre aus seiner Sicht ak zeptabel, wenn es eine Weisung gäbe, die Förderungsmöglichkeiten großzügig aus zulegen – und so dem Gesetz zu einer hö heren Verbreitung und damit zum Durch bruch zu verhelfen. Ansonsten hätte man die Fördervoraussetzungen klarer und eindeutiger klassifizieren müssen. Aus Kreisen der Bundesagentur für Ar beit war inoffiziell zu erfahren, dass hier ein hoher administrativer Aufwand dagegenspricht. Jeder Sachbearbeiter musste bisher bei ähnlichen Gesetzen eine Ausführungsbestimmung von 70 bis 80 Seiten durcharbeiten. Beim Qualifizie rungschancengesetz sei die Ausführungs bestimmung auf sieben Seiten gekürzt worden. Mehr Freiheit bei der Auslegung führe jedoch zumindest teilweise zu einer restriktiven Vergabepraxis nach dem Motto: Wer weiß, wie viele Anträge noch kommen werden. Im Zweifel für den Antragsteller Christian Ramm möchte in der Agentur für Arbeit in Freiburg den gesetzlichen Handlungsspielraum maximal ausschöp fen. Natürlich gäbe es Mitnahmeeffekte, die man vermeiden müsse, aber prinzi piell entscheide man im Zweifel für die Antragsteller. „In Freiburg haben wir aktuell mehr als 100 Anfragen über das Qualifizierungschancengesetz. Nicht alle werden wir darüber fördern können, aber wir prüfen auch, ob andere Förderungs möglichkeiten infrage kommen.“ Für wei tere Anträge seien aktuell noch genügend Mittel vorhanden, sodass dies keinen Grund darstelle, bei der Antragsbearbei tung zurückhaltend vorzugehen. Wenn alle Stricke reißen, sei immer noch eine Umschichtung von anderen Agenturen möglich. Wie wichtig der Bundesregierung die Ver knüpfung von Digitalisierung und Weiter bildung ist, unterstrich sie mit ihrer im Juni 2019 veröffentlichten „Nationalen Weiterbildungsstrategie“. Die Weiterbil dungsstrategie beinhaltet sowohl gesetz geberische Initiativen als auch konkrete operative Maßnahmen des Bunds, die in zehn Handlungszielen verpackt sind (siehe Zusammenfassung auf der gegen überliegenden Seite). „Bei der Weiterbil dung mangelt es nicht am Geld“, warnt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der arbeits- und sozialpolitische Spitzenverband der gesamten deutschen Wirtschaft, vor wei teren möglicherweise unüberlegten Sub ventionen. Man müsse vor allem die Wei terbildungsbereitschaft erhöhen. Die BDA kritisiert alle Vorschläge aus der Politik, die darauf abzielen, Weiterbil dung stärker in staatliche Strukturen zu zwängen. „Die Betriebe in Deutschland sind mit Abstand die größten Bildungsan bieter. Sie investieren Jahr für Jahr über 33 Milliarden Euro in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten – das ist fast das Dop pelte des Haushalts des Bundesbildungs ministeriums“, ließ der Arbeitgeberver band wissen. Er konnte sich mit seiner Forderung durchsetzen, auf ein Recht auf Weiterbildung zu verzichten. Auch will die BDA keine Entwicklung hin zu weni gen großen Bildungsanbietern mit Millio nenumsätzen. Die differenzierte Weiter bildungslandschaft sei richtig und wich tig. Sie gelte es zu erhalten und durch dezentrale Weiterbildungsverbünde un terschiedlicher kleiner und mittlerer Un ternehmen vor Ort voranzutreiben. Staatliche Eingriffe können schnell kontraproduktiv sein Auch der Wuppertaler Kreis meldete sich zur „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ zu Wort. Es sei begrüßenswert, dass die berufliche Weiterbildung als wichtigster Motor für Innovation und wirtschaft lichen Fortschritt erkannt werde und man neben Bund und Ländern auch die Sozial-partner einbeziehe. Doch was zum Beispiel als fehlende Transparenz in diesem Bereich bemängelt werde, sei kein Defizit, sondern das Ergebnis eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen diversen Akademien. Und dieser Wettbe werb stelle passgenaue Maßnahmen für betriebliche Bedarfe bereit. „Staatliche Eingriffe, wie sie mit den hier genann ten Zielsetzungen für mehr Qualitäts sicherung und Transparenz verbunden sind, sind kontraproduktiv und innova tionsfeindlich.“ Stattdessen schlägt der Wuppertaler Kreis vor, sich bei natio nalen Strategien auf die hohe Anzahl der R
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