wirtschaft und weiterbildung 10/2019
training und coaching 36 wirtschaft + weiterbildung 10_2019 Blick auf die Fakten: Der Kern von Lernen ist immer das intellektuelle Durcharbei- ten der Inhalte. Dabei bedienen wir uns automatisch aller (!) unserer geeigneten Sinne und suchen uns entsprechende Wege, um gut zu lernen. Am Thema Mythen kann man in einigen Fällen auch zeigen, dass Gerüchte und das „Stille-Post-Prinzip“ gekoppelt und mit einem Schuss Unwissenheit angerei- chert sind. Es stimmt zum Beispiel ganz genau, dass Einsteins Leistungen in der Schule in Mathematik mit einer „Sechs“ beurteilt wurden. Das aber lässt völlig außer Acht, dass der Nobelpreisträger seine Schulzeit in der Schweiz verbrachte – und dass dort die Sechs die beste und die Eins die schlechteste Note ist. Zum legendären Marshmallow-Experi- ment gibt es inzwischen auch einige Er- kenntnisse, die die legendäre Botschaft dieses Tests relativieren. Wir erinnern uns: Kinder mussten vor einem Marsh- mallow sitzen und auf einen Erwachse- nen warten. Sie durften die Süßigkeit vor dessen Rückkehr nicht antasten, wenn sie später zur Belohnung mehrere Marshmal- lows bekommen wollten. Das Leben jener Kinder, die auf den sofortigen Verzehr verzichteten, wurde von den Forschern protokolliert. Sie hatten mehr beruflichen Erfolg, ein besseres Sozialverhalten und keine Drogenprobleme – so jedenfalls das Ergebnis der klassischen Experimente des Psychologen Walter Mischel. Der Test, so meinte man, erfasse mit der Fä- higkeit zum Belohnungsaufschub auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Ein Team um den Entwicklungspsychologen Tyler Watts von der New York University überprüfte die berühmten Befunde mit neuen Studien: Jetzt sagt das Durchhal- tevermögen von Vierjährigen nichts mehr über die Leistungen und das Verhalten im Alter von 15 Jahren aus. Beides hat laut Watts dagegen sehr viel mehr mit dem familiären Hintergrund eines heranwach- senden Menschen zu tun. Die basale Impulskontrolle bei Kleinkindern werde überschätzt. Um später im Leben Erfolg zu haben, müsse man als Erwachsener insbesondere auch (dank eines vorbildli- chen Elternhauses und auch dank höhe- rer Bildung) sehr gut strategisch denken können. Dem ursprünglichen Marshmal- low-Test kann man mit etwas gutem Wil- len höchstens entnehmen, dass es einen „lockeren Zusammenhang“ zwischen Willenskraft und Erfolg gibt. Internetadressen, die beim Faktencheck helfen Konrad warnte seine Zuhörer: Wer als Speaker in seinen Vorträgen auch nur teil- weise Schmu erzählt, unterminiert seine eigene Glaubwürdigkeit – und trägt dazu bei, die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche zu untergraben. Was man tun kann und sollte? Konrad gibt die einfa- che Antwort: Check, check und check! Niemand muss in digitalen Zeiten noch falschen Mythen aufsitzen – und seien sie noch so populär. Natürlich birgt das Netz auch Gefahren und hat sicher umgekehrt dazu beigetragen, viele Mythen erst rich- tig bekannt zu machen. Aber Konrad ver- riet auch Seiten, die dabei helfen, Inhalte zu prüfen sowie passende (und korrekte) Studien zu finden und zu zitieren: www.gwup.org Das ist die Website der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“. Sie wurde gegrün- det zum „Zweck von Volksbildung und Verbraucherschutz“. Die GWUP ist die Organisation der Skeptikerbewegung. Auf der Website finden sich aktuelle In- formationen, Studien und Presseartikel zu allen Themen aus dem Grenzbereich der klassischen Wissenschaften sowie ein umfangreiches Archiv dazu. www.Mimikama.at Unter dem Motto „Zuerst denken, dann klicken“ entlarvt die Seite Fake News und unseriöse Kampagnen in den Social-Me- dia-Kanälen, mit denen semilegal Daten gesammelt werden (mit Suchfunktion und Möglichkeiten, Fakes zu melden). www.Snopes.com Das ist eine große Online-Enzyklopädie, die sich zum Ziel gesetzt hat, populäre Legenden und Mythen, vor allem aus dem Internet, zu überprüfen und die Er- gebnisse öffentlich zu machen. Per Such- funktion, in einer „Hot 50“-Liste und in einem umfangreichen Archiv lassen sich die Themen checken. www.Scholar.google.com Suchmaschine, die der allgemeinen Lite- raturrecherche wissenschaftlicher Doku- mente sowie der Suche nach deren Zitati- onen dient. Dazu zählen sowohl kosten- lose Dokumente aus dem freien Internet als auch kostenpflichtige. Hier finden sich Links zu Studien und Artikeln sowie oft rechts im Bild auch die Originaltexte be- ziehungsweise nützliche Abstracts. Interessant ist, dass der berühmte ame- rikanische Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor, Malcolm Gladwell, vor Kurzem über Fehler berichtete, die ihm in seinen Büchern unterlaufen sind. So habe er in dem Bestseller „The Tipping Point“ die sinkende Kriminalitätsrate New Yorks ausschließlich darauf zurückgeführt, dass die Polizei eine strenge Null-Toleranz-Po- litik gegenüber Kleinkriminellen gefahren habe. Es gebe nach neuesten Erkenntnis- sen zehn Gründe für ein Absinken der Kriminalität. Die Polizeistrategie habe wohl keinen entscheidenden Anteil daran gehabt und obendrein habe die Strategie oft genug dafür gesorgt, dass Arme mit unverhältnismäßig hoher Polizeigewalt konfrontiert gewesen seien. Gladwell ruderte auch bei seiner 10.000-Stunden- Theorie ein Stück zurück. Er behauptete, dass man erst einmal 10.000 Stunden geübt haben müsse, wenn man auf ir- gendeinem Gebiet ein bekannter Meister werden wolle. Heute betont Gladwell, dass angeborenes Talent genauso wichtig sei wie brutales Üben. Dr. Petra Folkersma R Buchtipp. Dr. Boris Nikolai Konrad: „Alles nur in meinem Kopf: Die Geheimnisse unseres Gehirns“, Ariston Verlag, München 2016, 256 Seiten, 16,99 Euro.
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