wirtschaft und weiterbildung 10/2019

R wirtschaft + weiterbildung 10_2019 35 Wer kennt sie nicht, die „Linkshirner“ und „Rechtshirner“, die schon in Tausen- den von Präsentationen erwähnt wurden. Plakativ sind die beiden Typen schon – und so praktisch. Wir Zuhörer lieben Ein- teilungen, die bekannt klingen, in denen man sich geborgen fühlt und mit denen es sich arbeiten lässt. Suche die Wahrheit hinter den Dingen Gerade in einem Change-Prozess ist das ein nicht zu unterschätzender Wohl- fühlfaktor, der auch dazu verleitet, die Rechts/links-Einteilung unkritisch zu akzeptieren. Schließlich gilt: Jeder Red- ner und jede Führungskraft kann sich leicht merken, dass man die Kreativen, die „Rechtshirner“, nicht mit der „lang- weiligen“ Zahlen-Daten-Fakten-Herange- hensweise hinter dem Ofen hervorlocken kann. Beliebt sind die zwei „Hirn-Typen“ auch, wenn es darum geht, prototypische Kunden mit einschlägigen Tricks zu ver- führen. Dabei stellt sich oft die Frage, wie der Kunde tickt und welche Gehirnhälfte wohl seine Kaufentscheidung letztlich motivieren wird. Auch wenn es weh tut: Redner und Berater tun gut daran, sich von diesem speziellen Rechts/links-My- thos zu verabschieden. Denn das ist wirk- lich nur ein Mythos, wenn auch ein sehr hartnäckiger. Dr. Boris Nikolai Konrad, promovierter Neurowissenschaftler und mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport, räumte in seinem Vortrag bei der GSA (Buchtipp: „Alles nur in meinem Kopf“) mit der Relevanz der vermeintlich dominanten Gehirnhälften auf. Für ihn hat diese pau- schale Einteilung keinerlei Aussagekraft. Entstanden ist sie aus wissenschaftli- chen Methoden, mit denen sich unter- suchen lässt, welche Gehirnregionen bei bestimmten Aufgaben aktiver sind als andere. Im MRT zeigt sich nämlich, dass etwa bei einer logischen Aufgabe nach allen Berechnungen ein Bild eines Gehirns mit einer rot markierten Region in der linken Gehirnhälfte herauskommt. Dann fühlt sich der Laie (und selbst der Wissenschaftler) leicht versucht zu den- ken: Aha, genau dort findet also Logik statt! In Wahrheit gibt es im Gehirn wäh- rend der Untersuchung jedoch viel mehr Aktivität – nur konnte die im Versuch nicht differenziert genug markiert wer- den, weil einfach zu viele Vergleiche und statistische Methoden im Spiel waren. Folgestudien haben schließlich diesen Irr- tum schnell aufgedeckt, aber das falsche Bild „Logik = linke Gehirnhälfte“ war aus den Köpfen (und aus dem Internet) fortan trotz aller Bemühungen nicht mehr wegzubekommen. „Darum also ist die weitverbreitete (und verlockend einfache) Schlussfolgerung über die dominanten Hirnhälften Unsinn und eine unzulässige Verallgemeine- rung“, betonte Konrad in seinem Vortrag. „Vielmehr ist Differenzierung gefragt.“ Es stimmt laut Konrad durchaus, dass manche Funktionen in einer Gehirn- hälfte dominanter sind. So liegt etwa das Sprachzentrum bei Rechtshändern fast immer in der linken Gehirnhälfte. Aber Autoren und Kreativschreiber benut- zen deshalb die linke Gehirnhälfte nicht mehr als die rechte. Denn natürlich hat die Natur es darauf angelegt, dass wir alle unser gesamtes Gehirn möglichst gleichmäßig und nicht nur einen Anteil oder eine Prozentzahl unserer Kapazität nutzen. Das wäre nämlich pure Energie- verschwendung – verbraucht doch das Gehirn (es hat nur einen zweiprozentigen Anteil am Körpergewicht) satte 20 Pro- zent unserer verfügbaren Energie. Vor noch mehr Unsinn eindringlich gewarnt Doch die Mär von den Rechts- und Links- hirnern ist nicht die einzige, die durch Vortragssäle und Seminarräume geistert. Als ähnlich beliebte Mythen bezeichnet Boris Nikolai Konrad die Geschichten rund um den „Marshmallow-Test“, die Bemerkung, dass Einstein in der Schule in Mathematik ein Versager war und die Aussage, dass wir Menschen unser Ge- hirn nur zu zehn Prozent nutzen und diese Quote durch diverse Trainingsme- thoden gesteigert werden kann. Falsch beantwortet wird laut Konrad auch oft die Frage, ob es unterschiedliche Lern- typen gebe: visuelle, auditive oder kin- ästhetische Typen? Welche Lernmethode kann uns also helfen, unser individuelles Gehirnpotenzial zu entfalten? Ein blühen- der Markt von Ratgebern verstellt uns den Foto: Prostock-studio / AdobeStock

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