wirtschaft und weiterbildung 10/2019
personal- und organisationsentwicklung 28 wirtschaft + weiterbildung 10_2019 anpassen zu können. Deshalb birgt der Zweck als Motivationsmittel Risiken, Geld hingegen die Möglichkeit, flexibel zu agieren. Es schafft eine bezahlte In- differenz, also eine Gleichgültigkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Zweck. Darin sehe ich einen Vorteil. Also Geld als Motivationshebel. Es gibt zahlreiche Studien, die dem widersprechen. Kühl: Wenn das stimmen würde, könnten Unternehmen, Verwaltung oder Kranken- häuser die Gehaltszahlung an ihre Mit- arbeiter ja sofort einstellen. Das würde ihre Bilanzen deutlich verbessern. Es gibt in Organisationen unterschiedliche Motivationsfaktoren – attraktive Tätig- keiten, sinnstiftende Zwecke, kollegialer Zusammenhalt, mehr oder minder hohe Geldzahlungen. Je nach Typus der Orga- nisation spielen die Motivationsfaktoren unterschiedliche Rollen. Je mehr eine Organisation mit sinnstiftenden Zwecken oder attraktiven Tätigkeiten wuchern kann, desto geringer können Geldzahlun- gen sein. Was ich im Moment beobachte, ist, dass viele Unternehmen und Verwal- tungen in Bezug auf die Sinnhaftigkeit ihrer Zwecke und die Attraktivität ihre Handlungen in einem fast skurrilen Maße überschätzen. Sie kritisieren die sachlich-inhaltliche Komponente der Purpose-Definition, der zufolge der Zweck eine Art Navigationshilfe bietet. Wie sieht es mit der emotionalen Ebene aus? Kühl: Sinn kann sicherlich motivierend wirken. Das zeigen Parteien, Vereine oder Clubs, denen Menschen beitreten, weil sie deren Zwecke und Ziele sinnvoll finden. Dies ermöglicht, Emotionen in einem ungewöhnlichen Maße in Organi- sationen freizusetzen. Der amerikanische Soziologe Lewis A. Coser beobachtet ein solches Verhalten besonders in soge- nannten „gierigen Organisationen“, die danach streben, Mitarbeiter mit all ihren sozialen Bezügen aufzusaugen. Was bedeutet das für eine Purpose- getriebene Organisation? Kühl: Unternehmen haben begriffen, dass Gier in Bezug auf ihre Mitarbeiter funkti- onal sein kann. Das zeigt sich häufig bei Start-ups oder in der Kreativwirtschaft. Etwas überspitzt ausgedrückt – New- Work-Konzepte propagieren tendenziell gierige Organisationsvorstellungen. Das Unternehmen möchte auf alle Ressourcen des Mitarbeiters zugreifen – Kreativität, Eigenverantwortung, Identifikation – und lädt Emotionalität deshalb positiv auf. In dem Moment, in dem Mitarbeiter wirk- lich daran glauben und Purpose nicht nur eine Steuerungsfantasie des Manage- ments bleibt, hat das starke ideologische Züge. Und die Mitarbeiter? Kühl: Im Idealzustand wäre deren Zweck mit dem der Organisation identisch. Das heißt, sie wären bereit, einen hohen per- sönlichen Einsatz zu bringen – und mehr oder weniger kostenlos zu arbeiten – oder sogar dafür zu bezahlen. Wenn wir über eine Purpose-Driven-Organisation in Re- inform reden wollen, dann sollten wir über die TAZ, die Bhagwan-Sekte oder Woher kommt der Hype um die sinngetriebenen Unternehmen? Kühl: Der Purpose greift sicherlich die Sinnsuche der jüngeren Generation auf. Das Bedürfnis ist allerdings nicht neu. Ähnliches ließ sich bereits in den 60er- und 80er-Jahren beobachten. Junge Menschen gründeten politische Basisin- itiativen oder selbstverwaltete Betriebe. Interessant ist, dass das, was damals mit einer antikapitalistischen Konnotation ge- schah, heute in die Strategie von Groß- unternehmen eingesickert ist – und über- nommen und aufgeladen wird. Nun definieren sich Unternehmen als Orte, an denen Menschen täglich Sinn stiften. Was stört Sie daran? Kühl: Auf den ersten Blick klingt das zu- nächst einmal plausibel. Denn ein Unter- nehmen, das Profitmaximierung als ein- zigen Zweck ausgäbe, würde sicherlich Irritationen auslösen. Aber gerade die or- ganisationswissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass ein auf Sinn ausgerich- tetes Unternehmen erhebliche Probleme mit Wandel hat – oder sogar am Purpose zugrunde gehen kann. Eine Zweckverhaf- tung macht Mitarbeiter und damit auch das Unternehmen unflexibel. Können Sie das erläutern? Kühl: Das systemtheoretische Argument gegen einen Verabsolutierung der Orien- tierung am Purpose lautet: Sobald Mitar- beiter sich mit einem Zweck identifizie- ren müssen, schränkt die Organisation selbst ihre Wandlungsfähigkeit erheblich ein. Doch gerade das ist häufig überle- bensnotwendig – sich Umwelteinflüssen „Die Suche nach dem Purpose verleiht sektenhafte Züge“ INTERVIEW/SINNSUCHE. Zu schön, um wahr zu sein: Die Purpose Driven Organization vereint die Träume selbstverwalteter Betriebe, politischer Basisinitiativen und utopischer Lebensgemeinschaften. Und schafft es damit in den Mainstream des Managements. Grund genug für den Organisationssoziologen und Organisationsberater Professor Stefan Kühl, auf die Grenzen des Konzepts hinzuweisen. Foto: David Maupilé
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