wirtschaft und weiterbildung 10/2019
wirtschaft + weiterbildung 10_2019 27 signifikant positiven Zusammenhang zum Unternehmenserfolg. In der Praxis wird die Faktorbezeichnung „purpose- clarity“ dann dahingehend interpretiert, dass es nicht nur auf einen klaren Unter- nehmenszweck ankomme, sondern dass dessen Kommunikation und Verbreitung erfolgskritisch sei. Dies ist eine mögli- che Interpretation, die Autoren sind in den Versuchen der Plausibilisierung der Ergebnisse deutlich vielfältiger und vor- sichtiger. Individuelles Sinnempfinden und Produktivität Gartenberg und Kollegen wählen als Ope- rationalisierung von Purpose das indivi- duelle Sinnempfinden der Arbeit. Glück- licherweise ist hier die wissenschaftliche Basis umfangreicher und damit belastba- rer und geht zurück auf das Job-Charac- teristics-Modell aus den 1980er-Jahren, in dem das Sinnempfinden der Arbeit eine entscheidende Variable darstellt. Die un- terschiedlichen Ansätze der Forschung auf Mikro- und Makroebene sind in der Abbildung dargestellt. Der Mikroansatz stellt keinen expliziten Bezug zum Unter- nehmenserfolg her, bleibt auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter und erforscht auch Einflussgrößen auf das Sinnemp- finden, die in der Studie von Gerstenberg und Kollegen nicht untersucht werden. Gemeinsam ist beiden Ansätzen die Ope- rationalisierung über das individuelle Sinnempfinden der Arbeit, womit wir uns eigentlich im Kern der New-Work-Bewe- gung befinden. Aktuell wurden die Forschungsergebnisse von Catherine Bailey systematisch quali- tativ und bezüglich der Konsequenzen von Blake A. Allen quantitativ in einer Metaanalyse zusammengefasst. Zudem liegen zahlreiche experimen- telle Studien vor, die den kausalen Ein- fluss sinnvoller Arbeit auf die Produk- tivität nachweisen. Umfassend ist der Forschungsstand im Oxford Handbook of Meaningful Work dargestellt. Die Au- toren der Meta-Analyse definieren sinn- volle Arbeit beziehungsweise Meaningful Work „as the global judgement that one’s work accomplishes significant, valuable, or worthwhile goals that are congruent work with one’s existential values“. In Kürze hier die wesentlichen Ergebnisse: • Subjektives Sinnempfinden ist ein ei- genständiges Konstrukt und nicht etwa gleichbedeutend mit Zufriedenheit. • Sinnvolle Arbeit hat einen starken Zu- sammenhang mit Engagement, Com- mitment und Arbeitszufriedenheit sowie einen mittelstarken Zusammen- hang mit Performance. • Das Empfinden sinnvoller Arbeit ist ein facettenreiches komplexes Phänomen und nicht ausschließlich oder nur do- minant vom Ziel der Organisation be- stimmt. Persönliches Wachstum und Talentförderung, das Leben in Über- einstimmung mit persönlichen Werten oder das Erleben sozialer Gemeinschaft sind alternative, gleichbedeutende Sinnquellen. • Das Sinnempfinden ist zum Teil durch Personalentwicklungsmaßnahmen wie Arbeitsgestaltung, Leadership und Be- triebsklima beeinflussbar. Fazit und praktische Hand- lungsempfehlungen Sinnvolle Arbeit fördert die Zufriedenheit der Beschäftigten und wirkt auf perso- nalwirtschaftliche Zielgrößen. In diesem Sinne steht der aktuelle Trend zum „Pur- pose“ in einer langen Tradition nicht nur der empirischen Personalforschung, son- dern auch der New-Work-Bewegung und ist keineswegs eine reine Management- mode. Der unmittelbare Nachweis des Zusammenhangs zum Unternehmenser- folg ist wie bei allen strategischen Maß- nahmen schwierig, aber meines Erach- tens auch entbehrlich, wenn der Einfluss auf die individuelle Produktivität nachge- wiesen ist. Die Einflussfaktoren auf das individuelle Sinnempfinden der Arbeit sind vielfältig, interdependent und komplex. Wer eine isolierte Initiative ergreift, den Unter- nehmens-Purpose zu definieren und in Workshops in die Organisation zu tragen, wird nicht den gewünschten Erfolg er- zielen. Zudem sollten Praktiker vor der Implementierung der von Beratern oder Ratgebern empfohlenen HR-Maßnahmen prüfen, warum gerade diese unter der Überschrift Purpose gefasst werden. Autonomie zu fördern, Hierarchien abzu- bauen, sich von autoritären Führungssti- len zu verabschieden oder eine Vertrau- enskultur zu schaffen, sind zweifelsohne sinnvolle Empfehlungen. Allerdings waren sie das auch schon, bevor der Pur- pose-Begriff überhaupt existierte. Fragen zum Sinnempfinden sollten in Mitarbei- terbefragungen integriert werden. Interne Analysen (People Analytics), die auch gezielt Unterschiede im Sinnempfinden zwischen Beschäftigten oder Abteilun- gen im Unternehmen berücksichtigen, können dann den Zusammenhang zu personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen prüfen und entsprechende Maßnahmen begründen. Heiko Weckmüller Purpose und sinnvolle Arbeit Wissenschaft. Forscher versuchen in erster Linie, das „individuelle Sinnempfinden“ zu erfassen. Es hat durchaus einen messbaren Einfluss auf die individuelle Produktivität. Quelle: Prof. Dr. Heiko Weckmüller Forschung Mikroebene: New Work – Sinn der Arbeit gemeinsame Basis Forschung Makroebene: Corporate Purpose Einflussfaktoren/ Maßnahmen Produktivität (individuell) Einstellungen (individuell) Sinnempfinden der Arbeit (aggre- giert Unterneh- mensebene) Unternehmens- erfolg Individuelles Sinnempfinden der Arbeit
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