wirtschaft und weiterbildung 10/2019

titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 10_2019 lichkeitsentwicklung gehören dazu. In unserer Kultur sind Menschen eher un- geübt darin, über ihre tief verborgenen Bedürfnisse zu sprechen. Sehr schnell gelten wir als bedürftig und dieser Begriff ist leider immer noch eher negativ kon- notiert. Wie oft erlebe ich Kollegen, die sich of- fenbar nicht bewusst sind, wie inkongru- ent und wenig authentisch sie wirken. Die Folgen: Sie langweilen ihr Publikum, es kommt keine gute Beziehung zustande und damit auch nicht die positive Atmo- sphäre, die ein wirksamer Lernprozess braucht. All das ist immer dann der Fall, wenn dem Trainer nicht bewusst ist, wel- che einengenden Glaubenssätze er über sich, sein Publikum oder das Thema in vielerlei Form von sich gibt und dass sich eigene ungeklärte Anliegen unbewusst im Training Raum nehmen. Trainer muss den „Raum für Neues“ schaffen Unsere Authentizität wird immer dann besonders auf die Probe gestellt, wenn unerwartete Ereignisse eintreten und sich das auf die eigene Befindlichkeit auswirkt. Eine gute Trainerpersönlichkeit muss in der Lage sein, diese Gefühle be- wusst einzuordnen und so zu balancie- ren, dass die Trainingsgüte nicht nachtei- lig beeinflusst wird. Auch wenn Trainer den üblichen Trainingspfad verlassen und auf Tagungen ungewöhnliche Wege gehen, ist ihre Authentizität gefordert. Sie springen ins Wildwasser und müssen etwas Neues tun. Dabei zeigen sie sich als Mensch (gewollt oder ungewollt), denn sie können weniger planen und vor- hersehen. Es gibt ein Bild, das den Umgang mit dem Neuem gut veranschaulicht: Ange- nommen, das Neue ist ein Drache! Aus diesem Ungeheuer machen wir in unserer modernen Welt einfach etwas „Ungeheu- erliches“. Ich mag das Bild des Drachens in diesem Zusammenhang sehr, weil viele Menschen das Neue erst einmal negativ bewerten. Wie begegnet eine souveräne Trainerpersönlichkeit einem „Drachen“? Sie soll ihren Auftraggeber ja weiterbrin- gen und dafür entweder eine Lösung an- bieten oder den Menschen dabei helfen, selbst eine Lösung zu finden. Der Trai- ner muss also die Kunst beherrschen, mit dem Ungeheuerlichen umzugehen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie das geschieht – hier eine Übersicht über die klassischen Formen (nach Robert Dilts) des Umgangs mit dem „Drachen“: • Die Unschuld – sie weiß von nichts. • Der Waise – wird vom Drachen über- wältigt. • Der Märtyrer – wird vom Drachen ver- folgt. • Der Wanderer – geht dem Drachen aus dem Weg. • Der Krieger – bekämpft den Drachen. • Der Zauberer – akzeptiert und transfor- miert den Drachen. Es braucht also eine Persönlichkeit (Zau- berer), die Wandlungsprozesse schon durchgestanden hat. Diese Persönlichkeit kann einen Raum öffnen, in dem andere Menschen arbeiten können, um ihren ei- genen Umgang mit dem Ungeheuerlichen zu lernen. „Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren“, hat André Gide einmal gesagt. Da braucht es Seefahrer, Nautiker, Lotsen, die mit den Menschen vorangehen und gemeinsam mit ihnen Konzepte entwickeln. Faktenlernen geht heute einfach. Die digitalen Tools sind diesbezüglich ein wahrer Segen – bewahren sie uns doch vor zu viel unnötigem Training. Die Prä- senzseminare werden zukünftig kürzer und pointierter sein. Mikrotrainings eta- blieren sich mehr und mehr, also müssen die Trainer schneller einen guten Rahmen schaffen und halten. Blended-Learning- Konzepte sind Standard. Trainer sollten einen sicheren Ort schaffen, an dem Men- schen etwas erleben, was sie motiviert, und etwas denken, tun und ahnen, was sie womöglich bisher noch nicht im Blick- feld hatten. Sie müssen also einen ganz besonderen Raum schaffen. Ich spreche hier vom Raumöffnen, Raumhalten und Raumschließen. Es geht um einen Raum, in dem andere Menschen ihre eigenen Erfahrungen ma- chen können. Dafür braucht es die Reife und die Erfahrung, das so hinzubekom- men, dass dieser Raum sicher und ermög- lichend ist. Wir müssen ahnen, wissen und kennen, was darin alles erlebbar sein kann. Und natürlich bringen die Teilneh- menden ihre eigenen Erfahrungen mit – die sie in diesem Lern-Raum weiterentwi- ckeln. Selbstverständlich spreche ich hier von einem echten Raum, also von dem Trainingsraum, in dem das Lernen oder die neuen Erfahrungen stattfinden. Dies kann auch ein anderer Ort sein als der Seminarraum im Tagungshotel. Und dann gibt es ja auch noch einen ei- genen, inneren Lernraum. Dazu gehören unsere Assoziationen, Gedanken und Erfahrungen. Im Folgenden ist aber der konkrete Trainingsraum gemeint. Die Rolle der Trainerpersönlichkeit beschreibt Karlfried Graf Dürckheim in diesem Zu- sammenhang folgendermaßen: „Stellen Sie sich einen leeren Raum vor, in dem nichts ist. An Ihrer Weise, durch diesen Raum zu gehen, verwandeln Sie ihn ent- weder in einen Stall oder in eine Kirche.“ Barbara Messer R Barbara Messer (Jahrgang 1962) arbeitet seit 1996 freiberuflich als Trainerin. Messer wurde insbesondere durch die Ent- wicklung gehirngerecht aktivierender Präsentations- und Trainingsmetho- den bekannt. Kürzlich ist sie von Han- nover nach Hamburg umgezogen. Barbara Messer Groß Borsteler Straße 40 22453 Hamburg Tel. 01577 5758727 www.barbaramesser.de AUTORIN Buchtipp. Barbara Messer: Wir brauchen andere Trainings – wie wir Menschen wei- terbilden können, Gabal Verlag, Offenbach 2019, 200 Seiten, 29,90 Euro

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