titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
10_2011
„Einfluss nur über Kommunikation“
Im Titel Ihres neuen Buchs steht an erster Stelle das
Wort „Unternehmensorganisation“, aber im Inhalt geht
es zu einem großen Teil um die herausragende
Persönlichkeit einer systemischen Führungskraft.
Ist das ein Widerspruch?
Daniel F. Pinnow:
Nein, im Gegenteil. Wir brauchen
moderne Organisationsformen, um mit der Dynamik des
modernen Wirtschaftslebens klarzukommen. Und gleich-
zeitig brauchen wir Manager, die systemisch führen kön-
nen, so dass mit den modernen Organisationsformen auch
eine höhere Performance abgeliefert wird. Nach Niklas Luh-
mann können wir davon ausgehen, dass es nicht mehr um
die Frage geht, wie ich als Manager oder wir als Manage-
mentteam eine Organisation führen, sondern wie sich eine
Organisation heute und zukünftig selbst führt. Komplexe
Systeme sind nicht steuerbar. Das heißt aber nicht, dass
Manager zur Handlungsunfähigkeit verdammt wären. Sie
können zwar nicht steuern, aber Impulse in das System
geben, um es indirekt in Bewegung und anpassungsfähig
zu halten.
Kann das eine Führungskraft überhaupt leisten?
Pinnow:
Ja, denn eine systemisch denkende und han-
delnde Führungskraft übt ihren Einfluss nicht mehr hie-
rarchisch aus, sondern über kommunikative Prozesse.
Dazu braucht sie eine hohe kommunikative Kompetenz.
Außerdem muss sie in der Lage sein, an ihre Organisa-
tion anzudocken. Das gelingt mir nur, wenn ich als Per-
son meine inneren Muster kenne. Erst dann bin ich in der
Lage, die Muster anderer zu erkennen und Impulse in eine
bestimmte Richtung zu geben. Systemische Führung heißt,
man führt nicht von oben über die Hierarchie, sondern man
führt von innen heraus – zum Beispiel, indem eine syste-
misch denkende und handelnde Führungskraft die Bezie-
hungen der Menschen im System managt.
Könnte man nicht gleich ganz auf Führung verzichten?
Pinnow:
Nein, das funktioniert auch nicht. Zugegeben,
auf den ersten Blick erscheint der systemische Führungs-
ansatz widersprüchlich. Einerseits führt ein System sich
selbst, auf der anderen Seite braucht ein System aber
auch eine Führung, weil die ganzen basisdemokratischen
Ansätze nicht funktionieren. Meine Antwort, warum Füh-
rung nötig ist, lautet: Eine Führungskraft gibt Orientierung
Interview.
Daniel F. Pinnow, Geschäftsführer der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft
(Überlingen/Bad Harzburg), sprach mit „wirtschaft+weiterbildung“ über sein neues Buch
„Unternehmensorganisation der Zukunft. Erfolgreich durch systemische Führung“ (Campus
Verlag, 2011) und die Herausforderungen moderner Manager.
und sie trifft Entscheidungen! Sie wird sich dabei in Zukunft
nicht mehr auf eine Hierarchie stützen. Die ideale Orga-
nisationsform wird in Zukunft dezentral und nicht hierar-
chisch sein. Bei Goretex geht man zum Beispiel davon aus,
dass es bis auf den vom Handelsrecht vorgeschriebenen
Geschäftsführer nur gleichberechtigte Mitarbeiter gibt. Es
gibt eine intensive Kommunikation zwischen diesen gleich-
berechtigten Mitgliedern und in der Folge davon eine hohe
Flexibilität. Zusammengehalten wird das Unternehmen von
einer starken Ideologie und von starken Normen.
Wieviel Schmusekurs steckt eigentlich in systemischer
Führung?
Pinnow:
Systemische Führung bedeutet Einfühlen und
Anregen, aber sie ist definitiv kein Schmusekurs für kon-
fliktscheue Chefs und schon überhaupt kein Laissez-faire-
Stil für Entscheidungsschwache. Der schwierigste und
zugleich wichtigste Teil einer Strategie ist ihre Umsetzung
– und die regelmäßige Überprüfung ihrer Realisierung. Um
die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens zu erreichen
und es zukunftsfähig zu machen, gilt es, Entscheidungen
zu treffen, Verantwortung zu übernehmen, Leitplanken zu
setzen und die Richtung für die Entwicklung des Systems
zu weisen. Und stellt man fest, dass die angestrebten
nachhaltigen Leistungsfortschritte nicht erzielt werden,
muss nachjustiert werden. Das kann für die anderen oder
die Führungskraft auch schon mal unangenehm sein. Doch
Orientierung geben ist eine zentrale Funktion von Führung,
und dafür braucht es neben emotionaler Intelligenz auch
natürliche, authentische Autorität und ein gesundes Ver-
hältnis zur Macht.
Interview: Martin Pichler
Daniel F.
Pinnow, Chef
der
Akademie
für Führungs-
kräfte der
Wirtschaft