WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 40/2019

AUS DEN VERBÄNDEN Fotos: PHOTOHOUSE DANIELA SCHWORM Klimaschutz vs. Bezahlbares Wohnen: „Das funktioniert einfach nicht mehr“ Wilhelmshaven – Rund 250 Teilnehmer, prägnante politische Botschaften und ein deutliches Lob des niedersächsischen Bauministers Olaf Lies (SPD) prägten den Verbandstag des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Nie- dersachsen und Bremen (vdw) Anfang September 2019 in Wilhelmshaven. „Ohne diesen starken Verband hätte es den Erfolg im Bündnis für bezahlbares Wohnen nicht gegeben“, unterstrich Lies. vdw-Verbandsdirektorin Dr. Susanne Schmitt und die Vorstände der beiden traditionsreichen Wilhelmshavener Woh- nungsgenossenschaften betonten zum Auftakt des Verbandstages bei einem Pressegespräch die unterschiedlichen Ent- wicklungen in wachsenden Ballungsräu- men und strukturschwachen Gebieten. Schmitt hob zudem hervor, „dass der Rückgang der Fertigstellungszahlen beim Wohnungsbau in Niedersachsen besorg- niserregend“ sei. Den Abwärtstrend führt sie auf eine Fülle investitionshemmender Faktoren zurück: hohe Baukosten, fehlen- des Bauland, lange Planungs- und Geneh- migungszeiten und ausgeschöpfte Kapa- zitäten in Bauindustrie und Bauhandwerk. Investitionshemmer und Kostentreiber Zudem kennen die Baupreise nur eine Rich- tung: aufwärts. „Am gravierendsten sind die Kostensteigerungen beim Ausbau der Gebäude“, betonte Schmitt und verwies auf immer strengere Vorschriften. Oft müss- ten für einen Quadratmeter Wohnraum in den niedersächsischen Ballungsräumen und im Land Bremen mehr als 4.000 Euro investiert werden. Auch deshalb haben die vdw-Mitgliedsunternehmen ihren Schwer- punkt 2018 nicht beim Neubau, sondern bei Modernisierung und Instandhaltung gesetzt. Insgesamt investierten sie mehr als 1,2 Milliarden Euro, davon knapp 640 Millionen in die Sanierung bestehender Gebäude – ein neuer Höchststand. Elektromobilität und Nachbarschaften Bei einer interdisziplinären Fachtagung appellierte Dr. Klaus-Dieter Clausnitzer vom Fraunhofer Institut in Bremen beim Thema Elektromobilität an die Branche, die Chancen der neuen Technologie nicht zu verspielen. Er empfahl der Woh- nungswirtschaft, sich auf Länderebene unter anderem für eine bessere Förde- rung von Ladestationen in Mietobjekten einzusetzen. Cordula Fay , Referatslei- terin Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung beim Spitzenver- band der Wohnungswirtschaft GdW, gab einen Überblick über die erfolgreiche Arbeit der Wohnungsunternehmen in Quartieren, warnte aber zugleich davor, sich mit dem Erreichten zufriedenzu- geben. Interessiert nahm sie einen Vor- schlag von Martin Fischer , Geschäfts- führer der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege Niedersachsen, aus dem Publikum auf, der im Sinne des Bündnisses für Wohnen ein „Bünd- nis für gute Nachbarschaften“ vorschlug. Dieter Wohler , Vorstand der Wilhelms- havener Wohnungsgenossenschaft Spar + Bau, berichtete beim Neubauprojekt „Wiesbadenbrücke“ von langen Vorarbei- ten, vielen Gesprächen, komplizierten Gründungsarbeiten und kleinteiliger Bau- schuttentsorgung. Zum Abschluss gab Reno Schütt , Geschäftsführer der GEWO Nordhorn, einen Einblick in das soge- nannte Asbestkataster, mit dem das Unternehmen sowohl die Belastung der Bestandswohnungen als auch den Stand der Sanierungsarbeiten detailliert doku- mentiert. „Unsere Mitgliedsunternehmen wissen, dass Menschen Wohnungen brauchen, die ihren Bedürfnissen entsprechen und die sie im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten auch bezahlen können“, betonte Verbands- direktorin Dr. Schmitt. Sie sprach sich für eine verstetigte Wohnungsbauförderung, eine Baulandoffensive zugunsten der sozial- orientierten Wohnungswirtschaft, schlan- kere Bauvorschriften, energetische Anfor- derungen mit Augenmaß und neue Regeln für den Mieterstrom aus. Der Wilhelmshavener Oberbürgermeister Andreas Wagner verwies auf die Leistun- gen der beiden örtlichen Genossenschaf- ten. Der Verkauf der kommunalen Gesell- schaft zur Beginn der „Nuller“-Jahre sei hingegen ein schwerer Fehler gewesen. „Auch wir merken jetzt, dass die Entwick- lung von bezahlbaremWohnraum nicht auf Knopfdruck gelingt. Dazu benötigt man einen langen Atem.“ Bauminister Olaf Lies knüpfte daran an und nannte das Baupro- jekt Wiesbadenbrücke als gutes Beispiel, denn das begehrte Grundstück wurde nicht an einen renditeorientierten Investor, sondern eben an eine vor Ort verwurzelte Genossenschaft vergeben. Beim Thema Förderung gehe es jetzt darum, diese nicht nur auf den Neubau zu begrenzen. Viel- mehr müsse die Bestandssanierung unter- stützt werden, um stabile Nachbarschaften durch mittelbare Belegungen fördern zu können. Ronny Meyer , Staatsrat bei der Bremer Bausenatorin, attestierte auch für den Stadtstaat einen Mangel an bezahl- barem Wohnraum. Zugleich sei es zuneh- mend problematisch, Bauland zu entwi- ckeln ohne Anwohnerproteste auszulösen. GdW-Präsident Axel Gedaschko warnte mit Blick auf das Klimakabinett die Bun- desregierung davor, die Anforderungen an Wohnimmobilien in unrealistischer Weise zu verschärfen: „Es macht einen Riesenunter- schied, ob man 80 oder 95 Prozent CO 2 - Einsparungen verlangt.“ Gemeinsam mit demMieterbund werde die Wohnungswirt- schaft weiterhin darauf hinweisen, dass sich bezahlbares Wohnen und unangemessene Vorgaben zur Energieeffizienz von Wohnge- bäuden nicht vertragen. „Das funktioniert einfach nicht mehr“, sagte Gedaschko. Beim abschließenden Festvortrag appel- lierte der Soziologe Harald Welzer , rech- ten Tendenzen in der Gesellschaft offen- siv entgegenzutreten. Die offene, liberale Gesellschaft, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, sei eine „historische Leistung“. Umso mehr stelle sich die keineswegs triviale Frage: „Woher kommt bloß diese schlechte Laune?“ Wel- zer sprach in dem Zusammenhang von einer „Konsensverschiebung in der Gesell- schaft“. Viele Leute hielten die Zukunft für etwas zu Vermeidendes. Aber stattdessen müsse es doch heißen: „Die Zukunft ist etwas zu Gestaltendes.“ (dür/schi) 6 40/2019 GdW-Präsident Axel Gedaschko warnte eindrücklich vor überhöh- ten energetischen Anforderungen an sozial orientierte Vermieter. vdw-Verbandsdirektorin Dr. Susanne Schmitt mit Prüfungsdirek- tor Gerhard Viemann, dem Verbandsratsvorsitzenden Andreas Otto, dem Bremer Staatsrat Ronny Meyer, dem niedersächsischen Bauminister Olaf Lies und GdW- Präsident Axel Gedaschko (v. l.)

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