Verwalter-Brief 6/2020
7 www.haufe.de/immobilien Deutschland-Umfrage gehen daher 85,4% der Teilnehmer davon aus, dass viele Eigentümerversammlungen auf einen späteren Zeitpunkt im Jahr 2020 verschoben werden. 8. Die WEG-Reform – eine Chance für Verwaltungen der Zukunft Wenn die behördlichen Verbote aufgehoben sind und öffentliche Einrich- tungen wieder im Regelbetrieb arbeiten, alle Eigentümer in räumlicher Nähe leben und für die Gegend keine nennenswerte Ansteckungsge- fahr mehr gilt, dürfte wenig gegen die Durchführung einer klassischen Eigentümerversammlung sprechen. Denkbar sind auch – eventuell als erster Schritt – Versammlungen mit einem zahlenmäßig begrenzten Teilnehmerkreis, der von den nicht anwesenden Eigentümern mit Wei- sung bevollmächtigt wird. Doch wann diese Voraussetzungen überall im Lande gegeben sein werden, weiß niemand. Ob wir im kommenden Jahr oder irgendwann anders eine 2. Welle der Corona-Epidemie erleben werden, auch nicht. Es ergibt daher Sinn, aus den Erfahrungen der vergangenen Monate zu lernen und die zukünftige Handlungsfähigkeit von Eigentümergemein- schaften zu sichern. Rein virtuelle Online-Eigentümerversammlung Online-Eigentümerversammlungen sollten zumindest als eine Möglich- keit im Gesetz verankert werden. Bislang sieht der Gesetzentwurf keine reine virtuelle Eigentümerversammlung vor. Möglich sein soll jedoch künftig die Online-Teilnahme an der Präsenz-Eigentümerversammlung, solange die Mehrheit der Eigentümer dem zustimmt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 WEMoG). Viele Verwaltungen und Eigentümer haben im Zuge der Corona-Pandemie notgedrungen in Sachen Digitalisierung aufgerüstet. Die technischen Voraussetzungen sind damit in der Regel gegeben, die Akzeptanz in der Bevölkerung ist zudem deutlich gestiegen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dieses Format nicht nur schnell organisiert ist, sondern auch mit einer höheren Teilnahme dem Grund- gedanken der WEG-Reform – der Stärkung der Gemeinschaft und der Eigentümerversammlung als zentralem Willensbildungsorgan – in be- sonders hohem Maße entspricht. Umlaufbeschluss Ergänzend bietet sich die WEG-Reform an, um das sinnvolle Instrument der Umlaufbeschlüsse zu stärken, indem das Quorum auf eine 2/3- Mehrheit herabgesetzt wird. Darüber hinaus zeigt sich gerade in der aktuellen Krisensituation: Mit einer Ladungsfrist von 2 Wochen können Verwalter gut auch auf geänderte Bedingungen reagieren. 85,2% der Befragten vertreten daher die Auffassung, dass diese Frist so beibehalten und nicht – wie im aktuellen Gesetzentwurf zur WEG-Reform vorgese- hen – auf 4 Wochen verlängert werden sollte. Dies würde auch der zu- nehmenden Tendenz Rechnung tragen, dass Handwerksfirmen die Bindungsfrist ihrer Angebo- te zunehmend verkürzen. wurf sieht zwar vor, dass künftig anstelle der Schriftform die weniger umständliche Textform bei Umlaufbeschlüssen ausreicht, hält jedoch an der Zustimmungspflicht aller Wohnungseigentümer fest. 94,7% der Umfrageteilnehmer befürworten eine Reduzierung des erforderlichen Quorums. Aus Sicht des VDIV Deutschland wäre eine 2/3-Mehrheit eine sinnvolle Größe. Damit könnte der Umlaufbeschluss zukünftig eine grö- ßere Rolle spielen, der treuhänderischen Verwaltung mehr Flexibilität ermöglichen und den Zeit- und Kostenaufwand für die Wohnungseigen- tümer verringern. Als Standardinstrument der Willensbildung beispiels- weise für größere Investitionen ist diese Form der Meinungsbildung al- lerdings kaum geeignet. Es sei denn, die entsprechenden Maßnahmen wurden zuvor hinreichend erörtert. 7. Kreative Lösungen mit virtuellen Versammlungen Reine Vollmachtversammlungen bergen ebenfalls das Problem, dass der Meinungsaustausch zu kurz kommt. Denkbar und in den vergan- genen Wochen auch häufiger angewandt ist jedoch ein zweistufiges Verfahren: Die Eigentümer werden unter Wahrung der normkonformen Frist zu einer reinen Vollmachtversammlung eingeladen und erhalten ausreichend Informationsmaterial zur Tagesordnung. Elementar sind klar formulierte, ausführliche Beschlussanträge, hilfreiche Zusatzinfor- mationen wie Angebote und Beschreibungen. In der Einladung wird zudem darauf hingewiesen, dass eine persönliche Teilnahme aufgrund der behördlichen Auflagen nicht möglich ist. Mit demselben Schreiben erfolgt darüber hinaus die Einladung zu einer Vorversammlung, die vor der Eigentümerversammlung online stattfindet. Drei Tage vor diesem Termin erhalten die Eigentümer per E-Mail einen individuellen Zugangs- code oder einen Link. Damit nicht einzelne Wohnungseigentümer aufgrund fehlender tech- nischer Möglichkeiten von der virtuellen Versammlung ausgeschlossen sind, sollte auch eine Teilnahme per Telefon ermöglicht werden. Nichtöffentlichkeitsgrundsatz Für viel Diskussion sorgt derzeit der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz. Die Verwaltung sollte die Eigentümer unbedingt diesbezüglich auf ihre Verantwortung hinweisen. Eigentümer, die an der Versammlung teil- nehmen möchten, müssen dafür Sorge tragen, dass keine weiteren Personen zugegen sind. Das lässt sich mit einem gelegentlichen Kame- raschwenk durch den Raum auch gut dokumentieren. Online-Besprechung der TOPs und Beschluss Online werden dann alle Tagesordnungspunkte im Detail besprochen und erläutert. Alle Eigentümer haben die Gelegenheit, sich einzubrin- gen und sich so eine fundierte Meinung zu bilden. Auf Grundlage der Besprechungen in der Vorversammlung übermitteln die Eigentümer eine Vollmacht mit oder ohne weisungsgebenden Charakter an die Verwaltung. Die Zweitversammlung führt der Verwalter dann mit Voll- machten als Geisterspiel durch. Die gesetzlichen Vorgaben in § 24 Abs. 6 WEG, wonach die Niederschrift vom Vorsitzenden der Eigentümerge- meinschaft – also in der Regel dem Verwalter – einem Wohnungseigen- tümer und dem Vorsitzenden eines gegebenenfalls bestellten Verwal- tungsbeirats unterzeichnet werden muss, birgt eine Rechtsunsicherheit. Liegen die Unterschriften nicht vor, macht das die getroffenen Beschlüs- se anfechtbar. Wenn es die räumlichen Gegebenheiten hergeben, wäre denkbar, dass diese Personen die Eigentümerversammlung unter Wah- rung aller Sicherheitsvorschriften gemeinsam abwickeln. Nicht ausge- schlossen werden kann, dass Eigentümer, die sich zuvor zustimmend zu diesem Vorgehen äußerten, im Nachgang das Verfahren und die Be- schlüsse womöglich anfechten. Auf die genannten Rechtsunsicherheiten lässt sich verständlicherweise nicht jede Verwaltung und nicht jede Gemeinschaft ein. In der VDIV- Martin Kaßler ist seit Oktober 2010 Geschäfts- führer des Dachverbandes Deutscher Im- mo b i l i e n ve r- walter und der DDIVservice GmbH. Der DDIV vertritt mittlerweile mehr als 2.800 professionelle Immobili- enverwaltungen. Die Unterneh- men verwalten dabei über sechs Millionen Wohneinheiten. DER AUTOR
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==