Verwalter-Brief 6/2020
5 www.haufe.de/immobilien evtl. anwesenden Eigentümern durchgeführt. Dieser Weg ist auch auf die aktuelle Krisenlage anwendbar. Mit der Einladung zur reinen Vollmachtversammlung erhält der Eigen- tümer ausreichend Informationsmaterial zur Tagesordnung, evtl. sogar schon den Entwurf des Protokolls. Er kann sich auf die anstehende Problematik vorbereiten. Diese Versammlung kann auch zu den Ge- schäftszeiten des Verwalters stattfinden. Andere Personen dürfen ja nicht teilnehmen. Ein paar Tage vor der Eigentümerversammlung findet online eine Vorversammlung statt. Zu dieser lädt der Verwalter mit dem Einladungsschreiben ein. Diese Vorversammlung sollte einige Tage vor der Vollmachtversammlung stattfinden. In der Vorversammlung werden die Tagesordnungspunkte besprochen und erläutert. Wichtig ist, dass der Eigentümer die Möglichkeit erhält sich einzubringen und mitzuge- stalten. Die Eigentümerversammlung ist das Willensbildungsorgan der Eigentümer. Die Willensbildung, der Gedankenaustausch und die Dis- kussion darf den Eigentümern nicht genommen werden. Die Online-Vorversammlung sollte ca. 5 Tage vor der Vollmachtver- sammlung stattfinden. Wieso? Nach der Vorversammlung haben die Eigentümer dann noch Zeit, aufgrund der Besprechung in der Vorver- sammlung eine Vollmacht mit oder ohne Weisungen an die Verwaltung zu übermitteln. So wird sichergestellt, dass die Interessen der Eigentü- mer gewahrt bleiben. Welche Programme bieten sich für die Online-Vorversammlung an? Skype: Skype befindet sich seit 2011 im Besitz von Microsoft. Und obwohl Microsoft mit „Teams“ selbst eine kostenpflichtige Konkurrenz- Software für Geschäftskunden anbietet, erhält Skype laufend neue Funktionen. Unter Windows 10 und auch auf anderen Plattformen ist die App vorinstalliert. Besonders großelterntauglich: Videokonferen- zen lassen sich ohne Download und Registrierung starten. Wer mit der leicht angestaubten Optik leben kann, macht mit diesem gut gealterten Klassiker nichts falsch. Maximale Gruppengröße in der Gratisversion: 50 Teilnehmer. Zoom: Das Unternehmen Zoom Video Communications konzentriert sich auf eine Sache: die bestmögliche Software für Videokonferenzen zu entwickeln. Auf den ersten Blick scheint das zu funktionieren. Beim Funktionsumfang hängt Zoom die Konkurrenz ab. Bis zu 100 Teilnehmer können digitale Whiteboards nutzen, ihre Bildschirme freigeben oder mit virtuellen Hintergründen das unaufgeräumte Zimmer verstecken. Offiziell gilt in der kostenlosen Version für Gruppenanrufe ein Zeitlimit von 40 Minuten. Während der Corona-Krise hat Zoom diese Beschrän- kung teilweise ausgesetzt. Genau wie bei Facetime gibt es aber auch hier einen Schönheitsfehler: die Sicherheitslücken und die Zweifel am Datenschutz. Maximale Gruppengröße in der Gratisversion: 100. Weitere geeignete Programme sind mit Sicherheit Microsoft Teams oder Circuit. Probieren Sie die Pro- gramme aus und wählen Sie das geeignete Programm für sich und Ihr Unternehmen aus. Viel Erfolg. Ich gehe davon aus, dass aufgrund der geschilderten Problematik viele Eigentümergemeinschaften dieses Jahr ohne Eigentümerversammlung leben müssen. Der Verwalter wird ggf. nur in den Eigentümergemein- schaften Präsenzversammlungen durchführen können, in denen eine wichtige und zeitnahe Entscheidung getroffen werden muss. Bietet die anstehende WEG-Reform einen Ausweg aus dem Dilemma? Nein, ein Abwarten ist daher nicht hilfreich. Der Referentenentwurf zum Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz sieht eine Änderung in § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG-E dahingehend vor, dass die Wohnungs- eigentümer beschließen können, dass „Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können“. Aber hierzu brauchen wir erst einmal einen Beschluss, und den können wir ja derzeit ohne Versammlung nicht herbeiführen. Wünschenswert wäre, dass der Ge- setzgeber aufgrund der Erfahrungen der aktuellen Lage den Gesetzent- wurf nachbessert und eine richtige „Online-Eigentümerversammlung“ schafft. Technisch lässt sich dies heute gut realisieren. Die Corona-Pan- demie wird die Digitalisierung im Verwalterbüro und in der Gesellschaft deutlich vorangetrieben haben. Beschluss im schriftlichen Umlaufverfahren? Dieser ist in § 23 Abs. 3 WEG geregelt. Er bedarf der Zustimmung aller Wohnungseigentümer. Er hat daher kaum Praxisrelevanz. Es wird wohl eher selten vorkommen, und wenn ja, nur in kleinen Eigentümer- gemeinschaften, dass alle Eigentümer einer Beschlussvorlage zustim- men. Ein Mehrheitsbeschluss ist nicht möglich! Leider löst die anstehen- de WEG-Reform dieses Problem nicht. Versammlung mit vielen Vollmachten Je nach Entwicklung der Krise sind vielleicht in Zukunft Personenan- sammlungen mit bis zu x Personen wieder möglich. Denkbar sind Ver- sammlungen, bei denen wenige vor Ort wohnende Eigentümer an der Versammlung teilnehmen und von den anderen Eigentümern, ggf. mit Weisung, bevollmächtigt werden. Reine Vollmachtversammlung Sie scheint die Lösung zu sein. Der Verwalter lädt zu einer Eigentümer- versammlung mit dem Hinweis ein, dass eine persönliche Teilnahme der Eigentümer aufgrund der aktuellen Lage (Ansammlung von Men- schen) nicht möglich ist und die Eigentümer daher eine Vollmacht, ggf. mit Weisungen, erteilen sollen. Die reine Vollmachtversammlung hat dasselbe Problem wie der Be- schluss im Umlaufverfahren oder die Versammlung mit vielen Vollmach- ten: Ein Meinungsaustausch kann in der Versammlung nicht stattfinden. Kontroverse Meinungen können ebenfalls nicht besprochen werden. Eine Änderung der Beschlussvorlage ist auch nicht wirklich möglich. Es wird die Frage gestellt werden: Werden die Eigentümer in ihren Rech- ten beschnitten? Pragmatische Lösung Diese Problematik muss man meines Erachtens pragmatisch lösen. Wie haben wir in der Vergangenheit vergleichbare Problematiken gelöst? Es wurde zu einer Eigentümerversammlung geladen und wir stellten fest, dass sie nicht beschlussfähig ist. Die Eigentümer wollen zu keiner Zweitversammlung erscheinen. Der Verwalter „spielt“ die Eigentümer- versammlung mit den anwesenden Eigentümern durch und erörtert die Tageordnung. Hiernach erteilen die Eigentümer eine Vollmacht, ggf. mit Weisungen, und die Zweitversammlung wird mit den Vollmachten und Steffen Haase ist geschäftsführen- der Gesellschafter der Immobilien- verwaltung Haase & Partner GmbH in Augsburg und verwaltet rund 2.600 Einheiten. Er setzt sich seit Jahren intensiv mit al- len Bereichen der Immobilienverwal- tung auseinander und ist sowohl ein gefragter Dozent als auch Autor und Herausgeber. DER AUTOR
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