Personalmagazin plus 10/2022

personalmagazin.de Arbeitswelten Kreative Lernräume Neue Arbeitsplatzkonzepte Identifikationsort Büro 10/2022 Kreative Lernräume Wie das Raumerlebnis die Wissens- bildung unterstützen kann Arbeitswelt Stadt Warum Klimawandel und Verkehrswende die Arbeitskonzepte verändern Arbeitsplatz Büro Wie Gemeinschaftsgefühl und Identifikation gestärkt werden plus personalmagazin plus 10.22 Neue Arbeitswelten Die Macht des Raums

Titelfotos: Katrin Binner, Joachim Grothus, New Work SE; Foto: Peter Granser Editorial 3 Liebe Leserinnen und Leser, die „Macht des Raums“ haben wir als Titel für diese aktuelle Ausgabe unseres „Personalmagazin plus Arbeitswelten“ gewählt. Unter demselben Namen ist jüngst auch die neue New-Work-Order-Studie von Birgit Gebhardt erschienen. In ihr hat die Trendanalystin untersucht, wie zukunftsfähig unsere Arbeitsumgebungen sind. Das scheint zunächst, insbesondere für den Bereich der Büroarbeit, nicht bahnbrechend innovativ – zahlreiche Untersuchungen und Diskussionen beschäftigen sich gerade mit den Veränderungen der Arbeitsplätze, die die Entwicklung zur hybriden Arbeitswelt mit sich bringt. Doch Gebhardt begnügt sich als Antwort nicht mit dem häufig bei diesen Überlegungen genannten Stereotyp des „Büros als Begegnungsort“, das die Mitarbeitenden in die Unternehmensgebäude zurückbringen soll, weil das, so ihre Überzeugung, auf Dauer nicht ausreichen werde, um die Flächen wieder zu beleben. Viel mehr brauchten Büros weitere Alleinstellungsmerkmale, um die neuen Ansprüchen an Performance, Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit erfüllen zu können. Voraussetzung dafür sei allerdings, Arbeitsumgebungen nicht alleine auf ihre physischen Grenzen zu reduzieren, sondern die Raumwahrnehmung auch auf die nun gegebenen überblendeten und virtuellen Realitäten zu erweitern. Welche Macht dem Arbeitsraum in diesen erweiterten Dimensionen zukommt und mit welchen Konzepten Geschäftsführung, HR und Vorgesetzte darauf reagieren können, haben wir gemeinsam mit unserem Kooperationspartner IBA, Industrieverband Büro und Arbeitswelt, auf den folgenden Seiten beleuchtet. Eine inspirierende Lektüre wünscht Katharina Schmitt Redaktion Personalmagazin plus Inhalt 04 Die verpasste Chance der Lernwelt Trendforscherin Birgit Gebhardt über ungenutzte Potenziale des Büros 10 „Wie nach Hause zu kommen“ Produktdesignerin Tilla Goldberg und Professorin Katharina Radermacher diskutieren über Arbeitsplatzgestaltung 16 Büro der Zukunft I BASF Creation Center, Ludwigshafen 20 Hybrides Arbeiten Zahlen und Fakten zur neuen Arbeitswelt 22 Die Stadt als großes Arbeitszimmer Wie sich die Funktionen von urbanen Räumen verändern 30 Vom Büro zum Club Wie Vitra einen Ort der Identifikation geschaffen hat 34 Büro der Zukunft II TWT Digital Group, Düsseldorf 38 Schön, euch zu sehen Ideen für mehr Gemeinschaftsgefühl 42 Der Ruf nach mehr Privatsphäre Das Büro als Ökosystem für unterschiedliche Arbeitsweisen 44 Umzug auch im Kopf Deutschlands erstes „Immune Office“ nimmt seinen Betrieb auf 48 Gemeinsam nach New Work Wie die Kommunikationsagentur Navos den Wandel zur hybriden Arbeitswelt gestaltet 52 Vorschau IBA-Forum 54 Best Workplace Award 56 Was Unternehmen künftig zusammenhält 58 Schlusskolumne Mit Extended Reality gegen Videokonferenzmüdigkeit personalmagazin plus: Arbeitswelten „ Das Büro zum Begegnungsort zu machen, wird zur Wiederbelebung nicht reichen.“ Kooperationspartner:

Arbeitswelten 4 Das Büro als Bühne: erfahrungsreiche Lernwelt, um gemeinsam neue Rollen zu erproben. Foto: Christiane Bertolini personalmagazin plus: Arbeitswelten

Schwerpunkt 5 Die verpasste Chance der Lernwelt Von Birgit Gebhardt Unternehmen, deren Angestellte sich ins Homeoffice zurückziehen, haben das eigentliche Potenzial der Büros vielleicht noch gar nicht erkannt. Würden wir die Flächen endlich in eine menschenzentrierte Lernlandschaft verwandeln, könnten sich Beschäftigte wie auf einer Bühne in verschiedenen Rollen ausprobieren.

Arbeitswelten 6 mobil gearbeitet haben und als die Pioniere der agilen Transformation gelten. Nun sind es leider ausgerechnet diejenigen, die am schwersten zu gewinnen und zu halten sind, die sich physisch vom Büro entfernen. Die Personalentwicklung kann sich also langsam vorstellen, was deren Selbstbestimmung für die Führung, das Anlernen und die Zusammenarbeit im Büro bedeutet. Wie lange sind die den persönlichen oder dem Team zugeordneten Arbeitsbereiche – sogenannte Homezones – noch zentrale Anlaufstelle in den Büros, wenn auch die eigene Homezone bei der Familie zu Hause oder am Urlaubsort bei Freunden genutzt werden kann? Das Real Estate quält die neue Unplanbarkeit der Belegungsdichte. Nachhaltigkeitsauflagen scheinen leichter umsetzbar als die Abstimmung von Auslastung mit Bewirtschaftung. Die Faustformel hier: In größeren Unternehmen werden Mietflächen um etwa ein Drittel reduziert und Desksharing eingeführt oder die bereits existente Sharingquote angehoben. Smarte Buchungssysteme übertragen den Angestellten die Aufgabe, sich mit dem verfügbaren Platz zu arrangieren. Ein Argument, um ins Büro zu kommen, ist das nicht. Im Gegenteil: Die Mitarbeitenden können sich ihres Arbeitsplatzes zu Hause sicherer sein als im Büro. Haben Real Estate und Personalentwicklung überhaupt gemeinsame Lösungsansätze, um den Bürobesuch wieder attraktiv zu machen? Oder geht es bei den Maßnahmen, die derzeit in vielen Unternehmen getroffen werden, eher um die gebaute Effizienz der Organisation? Dann hätte unter dem Stichwort „agile Transformation“ am Ende doch nur jeder für Man könnte denken, Organisationen seien auf dem richtigen Weg. Gerade erst wurde die Arbeitsorganisation transformiert: Zusammenarbeit sollte dynamisch und transdisziplinär in Projektteams erfolgen. Damit Prozesse agiler vonstatten gehen konnten, wurden die Büros flexibilisiert. Auf Open Spaces, offenen Bürolandschaften, sollte alles möglich sein – vor allem Kommunikation und Wissensaustausch. Doch jetzt, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt ihren Homeoffice-Wunsch äußern, stellt sich eine provokante Frage wie von selbst: Wurden die Arbeitskräfte bei diesen Planspielen vergessen? Sicherlich wurden sie nicht im Sinne von Coaching zu Methodenskills und Befähigung zur Selbstorganisation vergessen. Vernachlässigt wurde vielmehr die Frage, inwiefern die räumliche Gestaltung einen spürbaren Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer leisten kann. Denn eigentlich könnte sie das. Wurde dem Arbeitsraum zu wenig zugetraut? Definitiv ja und ich vermute aus mehreren Gründen. 1. Jeder nutzt Raum für seine eigenen Zwecke Die Mitarbeitenden tun es, die Personalentwicklung tut es und das Corporate Real Estate tut es auch. Bei den Mitarbeitenden scheint sich eine neue Faustregel abzuzeichnen: Je selbstorganisierter, qualifizierter und freier in der Wahl des Arbeitsorts sie sind, desto seltener findet man diese Personen im Büro. Das Bild bestätigen insbesondere ITler, die schon vor der Pandemie viel Neue Metaphern für ein Büro als Lernwelt Die Grafik untergliedert Wissensarbeit auf einer Achse zwischen den Polen „konzentrieren“ (links) und „kollaborieren“ (rechts). Die mittigen Haupttätigkeiten gilt es durch eine stimulierende Umgebung assoziativ zu verstärken, wobei vertikal zwischen geplanter und spontaner Tätigkeit unterschieden wird, um auch informellen Austausch zu gestalten. Die zugewiesenen Orte dienen dazu, der jeweils erwünschten Arbeitsabsicht ein räumliches Motiv zur Inspiration zur Seite zu stellen. BIBLIOTHEK SPA DENKZELLE GARTEN fokussieren auftanken abschotten spazieren konzentrieren erholen geplant spontan Kommunikationsintensität

Schwerpunkt 7 sich selbst gebaut: Corporate Real Estate für eine optimierte Flächenbewirtschaftung und HR für eine verschlankte Personalwirtschaft. 2. Wir operieren vernetzt, aber haben nichts verstanden Was soll nun auf den agilen Flächen passieren, wenn die Arbeit, ihre Inhalte und Medienwerkzeuge buchstäblich zumMenschen wandern und man sich auch zu Hause, in der Innenstadt oder auf dem Land zum gemeinsamen Co-Working treffen kann? Oder wenn wir uns gar nicht mehr treffen müssen, um zusammenzuarbeiten? Wo heute Meetings vom Konferenztisch auf den Monitor und Workshops auf das Miroboard wandern, schlagen wir gemeinsam die Transformationsrolle rückwärts und finden uns alle wieder am Bildschirmarbeitsplatz. Wie erfolgreich war dann die Vermittlung der agilen Zusammenarbeit für die Nutzer? Und wie erfolgreich für das Büro? Die hybride Zusammenarbeit führt es uns vor Augen: Medien erweitern unser Kommunikationsspektrum, doch uns fehlt die Didaktik, um sie in unser natürliches Lernverhalten zu übersetzen. Glauben wir ernsthaft, es macht keinen Unterschied, ob man sich real oder per Namenskurzel auf Kacheln sieht? Automatisch fixieren wir den Bildschirm, glauben, er tauge für jede Arbeit, obwohl diese fokussierte Haltung kreative Ideengenerierung erschwert. Wir differenzieren nicht in unserer Arbeitsabsicht, fügen uns (ergonomisch) den Geräteanforderungen und verfehlen damit Medien erweitern unser Kommunikationsspektrum, doch uns fehlt die Didaktik, um sie in unser natürliches Lernverhalten zu übersetzen. SCHULE ATELIER GOLFCLUB BAUSTELLE WG SPIELPLATZ BAR FORUM vermitteln gestalten austauschen koordinieren erfahren ausprobieren begegnen zusammen- finden lernen kreativ sein vernetzen kollaborieren

Arbeitswelten personalmagazin plus: Arbeitswelten 8 die eigentliche Aufgabe: Unsere zwischenmenschliche Interaktion auch menschengerecht zu gestalten. Am Ende können wir nur die Arbeitsumgebungen bauen, die wir uns vorzustellen vermögen. Wenn wir so weitermachen, wird es nicht viel mehr sein, als ein Gaming-Sessel, aus dem wir in ein fades Metaverse starten. Dabei hat die Digitalisierung uns nicht nur vor komplexe Herausforderungen gestellt, sondern die Lösungswerkzeuge gleich mitgebracht: Technologisch wie methodisch können wir vom Bildschirmarbeitsplatz aufstehen und uns einander zuwenden. Unter dem Stichwort „aktivitätsbasiertes Arbeiten“ gibt es neue Möbel und Medien, die uns in unserer Tätigkeitsausübung ergonomisch-funktional unterstützen wollen. Doch funktional reicht nicht, umMenschen in eine andere Arbeitsverfassung zu bringen. Wer Raum als Führungsinstrument nutzen will, sollte nicht nur die Infrastruktur, sondern den Menschen im Auge haben. Wir sind sinnliche Wesen, keine Maschinen. 3. In der sinnlichen Wahrnehmung liegt unser Vorteil Psychologie, Verhaltens- und Hirnforschung bestätigen, wie stark die weichen, physiologischen und emotionalen Faktoren unsere Denk- und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Biologen haben bewiesen, dass unser Körper permanent mit der Außenwelt kommuniziert, die wiederum unseren Metabolismus wie Hormonhaushalt beeinflusst – und damit unsere (Arbeits-)Verfassung, Stimmung und Gefühlswelt. Wenn wir uns also permanent im Lernräume bewusst gestalten Virtuelle Räume erweitern unser Interaktionsspektrum, digitale Services legen Individuen die Welt zu Füßen. Die Frage nach der User Experience rückt damit auch an den physischen Raum heran. Was ist sein Leistungsversprechen? Wie kann er die Wirksamkeit der Anwesenden erhöhen? Wie kann er sie in ihrer Tätigkeitsabsicht unterstützen? Die folgenden vier Raumkonzepte skizzieren mögliche Handlungsfelder. DER MATERIALISIERTE DENKRAUM Wissensarbeit ist abstrakt. Um das eigene Tun besser „begreifen“ zu können, hilft der assoziative Kontext wie etwa das Labor oder kulturelle Anker wie der Lesesaal in einer Bibliothek. Solche Reminiszenzen lassen sich auf Tätigkeitsabsichten übersetzen und dienen als Gebrauchsanleitung. DER RITUELLE MOTIVRAUM Neue Arbeitsweisen brauchen vertraute Motive, um an gelernte Rituale andocken zu können. Beim Lagerfeuer (Diskussionsrunden), dem Parcours (Stationenlernen) oder der Bühne (Rollenerprobung) definieren Motive die Positionen zueinander. DER FLUIDE IMAGINATIONSRAUM Der Mensch ist nicht nur geneigt zu glauben, was er sieht. Er interagiert auch mit dem, was die Umgebung ihm vorspielt. Mit Blick auf Gaming und das Bespielen erweiterter Realitäten dürften auch Motive und Narrative aus der Fantasiewelt in die reale Arbeitswelt driften, um auch vor Ort unseren Interaktionsraum spielerisch zu erweitern. DER SELBSTREFERENZIELLE RAUM Wir lassen uns von der Umwelt inspirieren und benutzen sie auch, um uns selbst darin zu inszenieren. Die Visualisierungstools in sozialen Medien verlangen nach Animation und Kulisse in der realen Welt. Wenn wir so weitermachen, wird unser Arbeitsplatz nicht mehr viel mehr sein als ein GamingSessel, aus dem wir in ein fades Metaverse starten.

Schwerpunkt 9 BIRGIT GEBHARDT ist Trendexpertin mit Fokus auf der Entwicklung der Arbeitswelt. Im Auftrag des Industrieverband Büro und Arbeitswelt e. V. (IBA) erforscht sie neue Modelle des vernetzten Wirtschaftens und Arbeitens. Ihre Erkenntnisse aus Experteninterviews, Beratungsprojekten und Reisen werden in der Studienreihe „New Work Order“ publiziert. Bereits 2016 formulierte Gebhardt in der New-WorkOrder-Studie „Kreative Lernwelten“ die Chance der Lernwelt als neuen Auftrag für das Büro. Zur diesjährigen Orgatec, der internationalen Leitmesse für moderne Arbeitswelten, erscheint ihr Special „Die Macht des Raums“. Gebhardt berät Unternehmen wie Swisscom Immobilien, Xing oder die Lufthansa Group. Zuvor war sie Geschäftsführerin im Trendbüro. Hier und Jetzt verorten, sollte uns das Anregung und Argument genug sein, die reale Umwelt stimulierender zu gestalten. Unsere Sinne reagieren bei erhöhter Aufmerksamkeit oder neuen Erfahrungen (Lernen) auf zahlreiche Umgebungsfacetten, die das Gehirn mit abspeichert. Das beginnt schon mit der gegenwärtigen Lichtfarbe beim Lösen einer Aufgabe. Hat die sich nach einer Pause durch den Sonnenstand verändert, brauchen wir etwas länger, um wieder hineinzukommen, als bei gleichem Farblichtspektrum, denn Lichtfarben steuern unser Zeitempfinden. Das Wissen darüber legt die Lernerfahrung in unsere beziehungsweise die Hände der Umgebung: Soll sie uns die Wiederaufnahme erleichtern oder wollen wir die Aufgabe noch einmal unter anderem Licht mit mehr Abstand betrachten? Wir kommunizieren unweigerlich mit Räumen, spüren ihre Wirkung auf uns, passen uns an oder beginnen in ihnen zu handeln. Der kognitive Neurologe Colin G. Ellard vertritt die These, dass Gebäude in uns Anpassungsbestrebungen auslösen und verweist auf unsere Spiegelneuronen zur Empathiefähigkeit, wenn wir Freude oder Leid im Gesicht einer Person nachempfinden. Es kann also auch ein wertschätzender Raum zum Gefühl des Wertgeschätztseins beitragen. Und es muss uns nicht wundern, dass uns im typischen Drei-Bund-Büro (Anm. d. Red.: Standardflächenstruktur für Büros, bei der die Arbeitsflächen um zwei Flure und eine Mittelzone für Serviceflächen wie Küche, Lager, Kopierraum erweitert sind) nicht das Herz aufgeht, wenn wir raumbildend so unter unseren Möglichkeiten bleiben. Wenn also wir Menschen von Natur aus geneigt sind, mit unserer Umgebung zu assimilieren, und in der Wahl dieser Räume mehr Freiheiten haben, werden Mitarbeitende den Raum aufsuchen, in dem sie sich den größten Support, funktional wie emotional, erhoffen. Bietet die Lernwelt (und die in ihr Agierenden) schon ein assoziatives Abbild der Lernverfassung oder Arbeitshaltung, die der Neuankömmling einnehmen will, fällt ihm der Switch in die Arbeits- oder Gesprächshaltung leichter. Vor allem in flexiblen Strukturen und bei einer freien Entscheidung, wie und wo man arbeiten möchte, werden Vorbilder, Rituale und Symbolik zu wichtigen Mustern, um sich selbst effizienter zu orientieren und zu organisieren. 4. Arbeitsräume können die Selbstwirksamkeit erhöhen Die Idee, unsere Handlungsabsicht stärker mit Metaphern aufzuladen, begrenzt sich dabei nicht auf gebaute Umgebungen. Unsere Vorstellung von Raum entsteht über die Interaktion mit der Außenwelt. Wir vernetzen uns in Kommunikationsräumen und bilden gedankliche wie territoriale Bezugspunkte aus. Via Interaktion mit digitalen Tools, sozialen Medien und Interfaces visualisieren wir unsere Vorstellungsräume, simulieren, was real sein könnte (digitaler Zwilling) und materialisieren Gedankengerüste (3D-Druck). Die räumlichen (wie auch zeitlichen) Übergänge von der Kommunikations- in unsere Kohlenstoffwelt überlagern sich und werden als Blended Learning gestaltbar. Mit den erweiterten Welten, wie sie beispielsweise Navigationsgeräte uns zu Füßen legen, erweitert sich auch unser Zutrauen. Einzige Hürde auf der neuen Spielwiese ist unsere körperliche Begrenztheit. Unser Körpergefühl sagt uns, dass wir im GamingSessel liegen, während uns die virtuelle Abenteuerwelt suggerieren will, dass wir fliegen. Blickten wir jetzt auf unsere Füße, könnte uns übel werden, weil unser Gehirn von gegensätzlichen Raumeindrücken irritiert wird. Unsere Wahrnehmung sucht nach Wahrheiten. 30 bis 40 Millisekunden Zeitversatz zwischen Lippenbewegung und Ton genügen ihr, um festzustellen, dass ihr etwas vorgespielt wird. Das bedeutet auch: Je mehr Sinneseindrücke sich abrufen und je kongruenter sich die Puzzleteile zu etwas Bekanntem zusammenfügen lassen, umso schneller können wir die Situation meistern. Grundlegende Werte wie Sicherheit und Vertrauen lassen sich daher am besten über physische Begegnungen und informelles Kennenlernen aufbauen. Die Natur des Raums – die Anteile physischer Realität versus digitaler Interaktion – sind entscheidend für unseren jeweiligen Eindruck. Im Körperlichen finden wir Rückhalt in Gewissheiten. Im Virtuellen begeistern uns neue Motive und spielerische Interventionen. 5. Das Büro als Bühne zur Selbsterprobung Der Fokus „Raum“ bedient zwei Servicegedanken, die das Büro als Lernwelt zusammenfassen könnte: den Kommunikationsraum, der Zeiten und Realitäten überwindet. Und den physischen Begegnungsraum, in dem Menschen ihre Grenzen untereinander überwinden. Jede dieser Richtungen nimmt uns mit auf eine User Experience. Die Chance für das Büro wäre nun beide Realitäten als Blended Learning wie auf einer Bühne erlebbar zu machen: So wie heute jede digitale Karte die Welt um den Standpunkt des Individuums aufbaut, so ähnlich müssen wir uns die künftige Erwartung an die Arbeitswelt vorstellen: „Die Möglichkeiten zu Füßen gelegt, und das Geländer zur Zielerreichung hier im Angebot!“ Wo die Transformation verlangt, dass wir uns permanent in neuen Rollen ausprobieren, findet sich mit der Probebuhne der Resonanzraum, um sich gemeinsam an Neues heranzuwagen. Die Bühne schafft Flexibilität und Sichtbarkeit: Sie ermuntert zu „freien Stücken“, indem sie die Akteure ins Licht setzt. Die Chance dieser Lernwelt liegt in der multisensorischen User Experience, als besonderer Lernerfahrung und ihrem Narrativ, das Teil der Unternehmenskultur sein könnte. Das Büro ist hier im Vorteil: Je mehr Sinne adressiert werden, umso reicher der Eindruck. Je positiver sie angeregt werden, umso nachhaltiger die (Lern-)Erfahrung. Erst dann funktioniert Raum als Befähiger, Vermittler und Verwandler.

Personalmagazin: Gerade in Schreibtischjobs ist es nicht mehr selbstverständlich, sich täglich im Büro einzufinden. Die neu gewonnenen Freiheiten imHomeoffice wollen viele Beschäftigte nicht mehr aufgegeben. Was können Unternehmen tun, damit eine zumindest tageweise Rückkehr an den Unternehmenscampus attraktiv bleibt? Katharina Radermacher: Ich glaube gar nicht unbedingt, dass die Mitarbeitenden nicht mehr ins Büro kommen wollen. Eher ist der Anspruch, flexibel zu entscheiden, ob man ins Büro kommt oder nicht, gestiegen. Und in diesem Zusammenhang wird es dann sehr negativ bewertet, wenn Arbeitgeber entsprechende Vorgaben sehr direktiv machen oder Meetings nicht hybrid oder unter Berücksichtigung der individuellen Präferenzen ausgerichtet sind. Tilla Goldberg: Dieses geänderte Anspruchsdenken kennen wir tatsächlich von unseren Kunden auch. Viele ihrer BeInterview Katharina Schmitt „ Ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen“ Ein schönes Büro motiviert – so die Theorie. Im Gespräch zwischen Produktdesignerin und Forscherin zeigt sich aber, dass die Wirkung von Arbeitsplatzgestaltung viel weiter geht – und warum teure Ausstattungskonzepte alleine auch zu einem gegenteiligen Effekt führen können. schäftigten haben durch die Lockdowns am eigenen Leib die vielen Vorteile einer anderen Arbeitssituation erlebt, gesehen, dass es funktionieren kann, und verlangen das nun natürlich auch stärker. Und auch die Nachhaltigkeitsdebatte spielt hier mit rein: Niemand muss mehr unbedingt für ein Meeting, das eine Stunde dauert, von München nach Hamburg fliegen – das Gespräch lässt sich auch digital aus dem Büro heraus führen. Noch vor Kurzem war die Perspektive der Arbeit im Büro auf den Schreibtisch ausgerichtet. Er war der Ort im Fokus, den ich zum Meeting, zur Kaffeepause, zum Mittagessen kurz verlassen habe. Und wie wirkt sich das auf die Büroräume und deren Gestaltung aus? Goldberg: Nun sind sehr viele neue Typologien an Arbeitssituationen entstanden, die alle im Office nebeneinanderher Arbeitswelten 10 personalmagazin plus: Arbeitswelten

sollte mit den Mitarbeitenden unbedingt klären, welche Erfordernisse ihre Arbeit inklusive aller Teilaufgaben mit sich bringt und welche Umgebung sie brauchen, um die Arbeit optimal erledigen zu können. Wie viel Kooperation, wie viel Austausch und wie viel informeller Austausch benötigt oder gewünscht wird, ist sicherlich bei den einzelnen Mitarbeitern je nach Persönlichkeit und Aufgabe ganz unterschiedlich ausgeprägt. Gleichzeitig gibt es aber ganz klar auch Unterschiede zwischen Teams oder Abteilungen. Personalmagazin: Kannman diese Unterschiede auffangen? Radermacher: Der Weg, den ich Unternehmen empfehlen würde, wäre, tatsächlich auch diese Unterschiede zuzulassen. Zunächst sollte der Vorgesetzte mit seinem Team klären, welche Dr. Katharina Radermacher lehrt Personalwirtschaft an der Universität Paderborn und arbeitet aktuell an der Forschung zu Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitgeberattraktivität. möglich sein müssen. Dazu müssen wir viel stärker über eine Flexibilität innerhalb der Räume nachdenken – wie können wir unterschiedliche Möglichkeiten der Interaktion oder des Rückzugs schaffen? Mit welcher Technik können wir das unterstützen? Dadurch wird es dann wieder umso attraktiver, ins Büro zu kommen, denn genau das haben die Mitarbeitenden zu Hause nicht – abgesehen davon, dass viele noch nicht mal einen optimalen Arbeitsplatz im Homeoffice haben. Radermacher: Genau diesen Punkt spiegeln auch unsere Daten der Studie zur Arbeitgeberattraktivität wider: Das Thema Flexibilität ist ganz wichtig in der neuen Arbeitswelt. Und zwar in drei verschiedenen Perspektiven: Zum einen gibt es die örtliche Flexibilität – ich kann selbst entscheiden, ob ich zu Hause oder im Unternehmensbüro arbeiten möchte. Dann gibt es innerhalb des Büros die räumlich-strukturelle Flexibilität, bei der Mitarbeitende zwischen unterschiedlichen Räumlichkeiten, beispielsweise für konzentriertes Arbeiten, für Zusammenarbeit, für informellen Austausch, wechseln. Und die dritte Perspektive – und diese ist laut unseren Erhebungen über alle Zeiträume von 2019, 2020 und 2022 hinweg die Wichtigste für Beschäftigte – ist die zeitliche Flexibilität. Flexibilität in den verschiedenen Dimensionen ist eindeutig eines der wichtigsten Gestaltungsmerkmale für einen attraktiven Arbeitsplatz. Goldberg: Die Entscheidung, ins Büro zu gehen, wird inzwischen bei den meisten Mitarbeitenden sehr bewusst getroffen, um dort in Austausch zu kommen, weil mit dem Team bestimmte Projekte anstehen oder vielleicht auch, weil gerade eine hohe Sehnsucht danach besteht, zufällig an der Kaffeemaschine zu sehen, was die anderen tun. Diese Erfahrungen fehlen im Homeoffice. Wie passen in diese Veränderungen die Menschen, die am liebsten alleine arbeiten, sich auch nicht austauschen wollen, aber trotzdemnicht imHomeoffice arbeiten wollen oder können? Radermacher: Aus Personalersicht würde ich sagen, eines der wichtigsten Schlagworte ist hier Partizipation. Man 11 Schwerpunkt

Arbeitskonzepte gebraucht werden und verwirklicht werden sollen. Erst wenn das geklärt ist, schaut man auch auf den höheren Ebenen darauf. Denn nur so wird den Beteiligten auch die Sinnhaftigkeit dieser Konzepte klar. Und am Ende muss natürlich noch mal kommuniziert werden, warumman sich für bestimmte Konzepte entschieden hat. Goldberg: Das ist ein wichtiger Punkt, der auch in allen unseren Change-Management-Analysen immer wieder bestätigt wird: Die schönsten Arbeitsplätze und die beste Ausstattung laufen ins Leere, wenn die Partizipation im Prozess nicht stattgefunden hat. Die Menschen werden nicht glücklich, wenn ihnen die Raumkonzepte aufoktroyiert werden. Häufig unterscheiden sich die über Partizipation entstandenen Konzepte gar nicht so sehr von dem, was das Unternehmen sowieso vorhatte … Goldberg: Das stimmt. Trotzdem ist der Prozess unglaublich wichtig, damit die Menschen, die dort arbeiten, die Räume zu ihren Räumen machen und sie auch entsprechend nutzen. Es geht dabei auch um die Kommunikation, die stattfindet, und das Involvement in Entscheidungen. Der Mitarbeitende gestaltet seinen Arbeitsplatz so ein Stück mit, hat die Chance, die Angebote mit zu beeinflussen und kann auch seine Persönlichkeit einbringen. Radermacher: Hier sieht man die starke symbolische Wirkung von Architektur: Tatsächlich hat die Frage der konkreten Ausstattung häufig wenig Einfluss auf die Akzeptanz und die Motivation der Beschäftigten. Viel wichtiger ist der psychologische Prozess, der bei der Mitgestaltung abläuft, und was die Mitarbeitenden mit der Ausstattung verbinden: Bei ihnen entsteht ein Gefühl des „nach Hause Kommens“ in die von ihnen nicht nur akzeptierte, sondern auch aktiv gewünschte Umgebung. Und sie erfahren, dass der Arbeitgeber ihre Bedürfnisse ernst nimmt und sich darum kümmert. Trotzdem dürfte die Gestaltung der Büroräume nicht ein basisdemokratischer Prozess sein, bei dem sich jeder seine Kuschelecke einrichtet. Wie gelingt es Unternehmen, ihren Strategien und Zielen durch die Umgebung Raum zu geben? Goldberg: Am Anfang steht immer die Frage, wer das Unternehmen ist und was es erreichen will. Marke, Firmenkultur und Unternehmensziele sind hier die entscheidenden Faktoren. Und Gestaltung ist tatsächlich in weiten Teilen kein demokratischer Prozess, dennoch müssen wir in der Beratung immer wieder die Perspektive der Mitarbeitenden einnehmen – über Schulterblicke sozusagen schauen, was die Leute brauchen und was sie begeistert. Wir eröffnen Möglichkeitsräume, um zu sehen, wie die Resonanz bei den Beschäftigten ist, und machen dann darauf basierend ganz konkrete Vorschläge zur Organisation der Arbeitsräume. Ganz viel entsteht bei Mitarbeitenden wie Führungskräften aus einem Bauchgefühl heraus, ohne dass jemand, der nicht Gestalter ist, konkret benennen könnte, warum ein Raum nun besonders inspirierend wirkt, ein anderer konzentriertes Arbeiten unterstützt. Tilla Goldberg ist im Management der Ippolito Fleitz Group und leitet die Bereiche Produktdesign und Brand Spaces. Arbeitswelten 12 personalmagazin plus: Arbeitswelten Foto T. Goldberg: Ronny Schoenebaum

Können Sie uns für eine solche Wirkung der Büroräume Beispiele geben? Goldberg: Es gibt ein paar Faktoren, die fast immer funktionieren. Beispielsweise ist das Thema „Grün“ sehr positiv besetzt: Kommen Menschen in einen Raum, in dem viele Pflanzen sind und ganz offensichtlich gut gedeihen, merkt man sofort, dass hier ein gutes Klima herrscht. Das wirkt auch implizit auf die Wahrnehmung des Arbeitsklimas. In Räumen, in denen Licht und Luft sind, fühlt man sich fast automatisch wohl. Wir haben zu diesem Thema sogar schon einmal eine Studie gemacht und darauf basierend verschiedene Objekte wie zum Beispiel grüne Raumteiler und schwebende Pflanzen, die ihr eigenes Licht mitbringen, kreiert. In Zeiten des Desksharings, wo die persönlichen Gegenstände abends weggeräumt werden, ist es sehr wichtig, über solche Integrations- oder Identifikationsobjekte wie auch Farbigkeit, Texturen, Licht oder besondere Akustik eine besondere Bindung und Nähe zum Raum beim Mitarbeitenden entstehen zu lassen. Wie kann man aber bei diesem Prozess die Unternehmenskultur abbilden? Radermacher: Klassische Kulturmodelle bestehen immer aus drei Ebenen: Unsichtbar ist die unterste Ebene der Grundannahmen und Weltanschauungen. Doch schon teilweise sichtbar ist die nächste Ebene der Normen, Werte und Leitbilder. Darüber stehen die sichtbaren Artefakte, wie zum Beispiel Strukturen, Verhaltensweisen und Rituale. Bei diesen beiden Ebenen bietet sich die große Chance, auch neue Konzepte und Transformationen sichtbar zu machen. Architektur ist ein ganz wichtiges Artefakt, sie bestätigt, dass die Transformation als zunächst theoretisches Konstrukt ernst gemeint ist. Wer einen Wandel im Unternehmen erreichen möchte, muss auch Rituale ändern. Dazu kann beispielsweise auch gehören, dass Vorgesetzte ihre geliebten Einzelbüros verlassen und auch in die Fläche gehen oder aus dem Homeoffice heraus arbeiten. Goldberg: Die Büroarchitektur und die Büroausstattung bestärken die Glaubwürdigkeit der Kultur und können auch ihre Veränderungen sichtbar machen. Man kann sich viele großartige Unternehmenswerte auf die Fahne schreiben, doch wer täglich in diesem Unternehmen arbeitet, muss die Wahrhaftigkeit dieser Werte auch spüren und erleben. Dabei muss jedoch klar sein, dass die Bürogestaltung immer nur die Bühne für die gelebte Unternehmenskultur ist. Doch wenn hier die Symbiose stimmt, ist schon viel gewonnen. Das führt zu einer hohen Identifikation der Menschen mit dem Unternehmen und dem, was sie tun. Neu gestaltete Büroräume ähneln sich häufig sehr. Wird denn so die eigene Unternehmenskultur noch bewusst? Goldberg: Es gibt sehr gute Bürokonzepte und auch Ausstatter, die für alle Bedürfnisse eine Lösung haben, sodass man das Unternehmen komplett mit diesem Design einrichten kann. Fatal ist, wenn das Büro dann genau so aussieht wie das Bürogebäude nebenan. Denn dann bleibt das Branding auf der Strecke – obwohl alles sehr schön aussieht. Gute Berater können hier einen diametral anderen Weg gehen, um die Eigenheiten des Unternehmens, das was die Unternehmenskultur prägt, erlebbar zu machen. Sie arbeiten die Identität des Unternehmens heraus und können diese als einzigartig und merkfähig sichtbar machen, „Mitarbeitende werden nicht glücklich, wenn ihnen Raumkonzepte aufgezwungen werden. Die beste Ausstattung läuft ins Leere, wenn keine Partizipation stattgefunden hat.“ Tilla Goldberg, Ippolito Fleitz Group 13 Schwerpunkt

sodass der Mitarbeitende schon beim Öffnen der Eingangstür, wenn er ins Gebäude tritt, spürt: Hier ist es einzigartig, und ich gehöre hier hin. Radermacher: Das Einzigartige, zumindest für die Mitarbeiter, die bereits in diesem Unternehmen sind, kann aber auch die Art und Weise ausmachen, wie diese Ausstattung – die vielleicht tatsächlich so in anderen Unternehmen vorgefunden wird – mit der Unternehmenskultur verknüpft und in Abläufe und Verhaltensweisen integriert wird. Das Nutzungskonzept, die gelebten Rituale und Verhaltensweisen machen den großen Unterschied aus. Und genau dies kann jedes Unternehmen für sich gestalten. So gibt es vielleicht Unternehmen, die die große Austauschebene ritualisiert dafür nutzen, dass der Chef für die Teamsitzung Kuchen mitbringt. So etwas prägt und schafft Identität, auch wenn es vom Design her die gleiche Austauschebene wie beim Nachbarn ist. Sind diese Entwicklungen moderner Arbeitsplätze eigentlich wirklich schon üblich? Oder sprechen wir von wenigen Vorreitern im Bereich der Wissensarbeiter? Radermacher: Natürlich haben in erster Linie die großen Unternehmen das entsprechende Umfeld und die finanzielle Ausstattung, um eine auch räumliche Transformation anzugehen. Was wir sehen, ist, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen sich noch gar nicht darüber im Klaren sind, wie sie ihre Arbeitsumgebung nutzen und verbessern können. Ich bin neulich von einer IHK gebeten worden, über den Zusammenhang von Arbeitgeberattraktivität und Arbeitsplätzen zu sprechen. Da habe ich gemerkt, dass das Thema zwar grundsätzlich bei allen Unternehmen angekommen ist, aber viele Unternehmen noch keine konkrete Vorstellung davon haben, wie sie Arbeitsplätze dazu nutzen können, die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Was ist mit den Beschäftigten im Homeoffice? Gehen an diesen diese Effekte vorbei? Radermacher: Wir sehen an unseren Daten, dass auch Mitarbeitende, die hauptsächlich im Homeoffice arbeiten, sich wieder mehr bemerkbar machen wollen. Ein Anhaltspunkt dafür ist, dass bei diesen Leuten das Thema Karriere wieder eine wesentlich höhere Bedeutung bekommt. Unternehmen müssen sich also bei hybriden Konzepten auch Gedanken machen, wie die Beschäftigten, die nicht vor Ort sind, auf dem Radar bleiben, wie ihre Erfolge sichtbar werden. Da sieht man, wie stark ein Arbeitsplatzkonzept, HR-Praktiken und Unternehmenskultur zusammenhängen. Das heißt, wenn an einem Rad gedreht wird, muss auch an anderen Stellen Bewegung stattfinden, um kompatibel zu sein. Frau Goldberg, sind denn bei Ihren Beratungen zur Arbeitsplatzgestaltung die Mitarbeitenden imHomeoffice noch im Fokus? Goldberg: Auf jeden Fall. Vor allem denjenigen, die flexibel arbeiten, gilt ein starkes Augenmerk. Denn genau sie wollen, wenn sie hin und wieder ins Büro kommen, nicht acht Stunden konzentriert und schalldicht am Einzelarbeitsplatz sitzen. Ihre Gründe, ins Büro zu kommen, sind Meetings oder Workshops. Möglich ist auch, dass alle Teammitglieder wegen konkreter Projektphasen über einige Wochen intensiv in Präsenz zusam- „ Alle Konzepte, auch die der Personaler, gehen in Richtung einer ständigen Anpassbarkeit. Ohne diese Flexibilität werden Unternehmen heute nicht mehr länger erfolgreich sein können.“ Katharina Radermacher, Universität Paderborn Arbeitswelten 14 personalmagazin plus: Arbeitswelten

menarbeiten. Das könnte auch digital funktionieren, aber man weiß ja, dass es live sehr viel mehr Spaß macht. Hinzu kommt, dass auch die Leute im Homeoffice „connected“ sein müssen. Die technische Ausstattung in den unterschiedlichen Räumen muss so gestaltet sein, dass alle zusammenarbeiten können, unabhängig davon, wo sie gerade sitzen. Hier ist noch viel Luft nach oben, bis alles so integriert ist, dass man wirklich den Eindruck schafft, dass alle Teammitglieder live dabei sind. Da wird noch sehr viel Neues erfunden werden müssen. Und wenn genau diese Entwicklungen stattgefunden haben – wie sehen dann die Büros der Zukunft aus? Goldberg: Was man absehen kann, ist, dass sich alles weiter stark verändern wird. Unter dem Eindruck der Agilität scheuen sich heute schon die großen Unternehmen, Arbeitsplätze für die Ewigkeit zu konzipieren. Viele wissen nicht, ob sie diese übernächstes Jahr noch brauchen. In diese Richtung geht auch der Trend, dass Firmen Gebäude nur noch anmieten und nicht mehr kaufen, um sich den ständigen Veränderungen schnell anpassen zu können. Das alles ist nicht mehr auf lange Lebensdauer angelegt. Die Möbel und Raumtypologien müssen dementsprechend flexibel sein. Das geht so weit, dass es manchmal schon ein bisschen wehtut, wenn man merkt: Alles hat ein bisschen zu wenig Bestand. Auf der anderen Seite ist das auch gerade das interessante. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass nicht alles – auch nicht die Arbeitsmodelle und die Arbeitgeber – für immer bleiben. Radermacher: Auch die Konzepte und Ansätze aus Personalsicht gehen in Richtung einer ständigen Anpassbarkeit. Das betrifft Arbeitsmethoden wie Agilität, die Organisationsentwicklung, die ganz klar zum sich ständig verändernden, sich selbst findenden und lernenden Unternehmen geht und auch die Arbeitsplatzkonzepte. Alles muss durch die extremen Rahmenbedingungen, in denen sich unsere Weltwirtschaft aktuell befindet, dynamisch bleiben können. Ohne eine solche Flexibilität werden die Unternehmen auf Dauer nicht erfolgreich sein können. Wie entwickeln sich denn die Produktionsbetriebe in dieser Hinsicht? Hier lässt sich mit Sicherheit nicht alles flexibel gestalten, aber auch hier gibt es Verwaltungsräume und Kantinen – sind das auch Themen für Büroeinrichter? Goldberg: Bei den meisten Projekten unserer Kunden in diesem Bereich handelt es sich tatsächlich um die klassischen Büroarbeitsplätze. Aber natürlich haben viele solcher Firmen auch Produktionsbereiche, und die gebaute Firmenkultur, für die wir zuständig sind, sollte auch hier sichtbar sein. Also versucht man, Merkmale dessen, was für die Büroarchitektur entwickelt wurde, in allen Bereichen des Unternehmens sichtbar zu machen. Ein großer Faktor sind hier beispielsweise die Firmenrestaurants, in denen sich die Beschäftigten aus den ganz unterschiedlichen Bereichen aufhalten Radermacher: In diesen Bereichen ist die Signalwirkung ein ganz wichtiger Faktor. Das Essen mag auch am alten Tisch genauso gut schmecken, aber das Zeichen, dass der Arbeitgeber in die Mitarbeitenden investiert, rückt hier noch mal ganz stark in den Mittelpunkt. Außerdem gibt es auch in diesen Bereichen viele gestalterische Möglichkeiten. So kann man beispielsweise überlegen, wie man Räume und Wege legt, damit Mitarbeitende sich häufiger begegnen. Auch die Lage von Kantinen und Pausenräumen kann einen Einfluss darauf haben, ob Mitarbeitende aus der Produktion und Verwaltung sich regelmäßig begegnen. Goldberg: Das ist auch eine Form der Architekturorganisation. Unsere Aufgabe ist es auch zu inszenieren, dass Menschen sich treffen und erleben können – und das ist weit bedeutender als der perfekte Arbeitsplatz mit seinen ergonomischen Anforderungen oder seiner technischen Ausstattung. Gut vernetzt trotz räumlicher Distanz: Das Gespräch zwi- schen den beiden Expertinnen fand per Video statt. Moderiert wurde es von PersonalmagazinRedakteurin Katharina Schmitt (im Foto rechts oben). 15 Schwerpunkt

16 Büro der Zukunft I

17 BASF Creation Center Eigentümer BASF Wohnen + Bauen GmbH Nutzer BASF SE | Creation Center Sitz Ludwigshafen am Rhein Fertigstellung 2019 Architektur Humpert & Kösel-Humpert Innenraumgestaltung Just/Burgeff Architekten Fläche 1.000 m² auf 2 Etagen Beschreibung Designer, Ingenieure und Simulationsexperten der BASF entwickeln im Creation Center für und mit Kunden Hochleistungskunststoffe. Das zweistöckige Gebäude wurde auf dem Dachplateau eines ehemaligen Luftschutzbunkers errichtet. Fotos: Katrin Binner

2,00m x 0,8m 2,00m x 0,8m 1,8m x 0,8m 1,8m x 0,8m 1,8m x 0,8m 1,8m x 0,8m 1,6m x 0,8m 1,6m x 0,8m 1,6m x 0,8m 1,6m x 0,8m Arbeitswelten Das Creation Center gehört zum Unternehmensbereich „Performance Materials“ der BASF. Hier können Kunden Materialien sowohl analog als auch digital – mit neuesten Visualisierungstools und Simulationstechniken – erkunden und an Workshops teilnehmen, in denen von der ersten Idee bis zur Lösung zusammengearbeitet wird.

PROJEKT LEISTUNGSPHASE PLANINHALT Urheberrecht nach DIN 34 vorbehalten Alle Maße sind am Bau zu prüfen. Bestandsabhängige Toleranzen des Altbaus sind zu berücksichtigen Für Maßfehler haftet allein der Auftragnehmer. Maßunstimmigkeiten sind sofort mit dem Architekten zu Konstruktions- und fertigungstechnische Bedenken sind dem Architekten und der Bauleitung rechtzeitig mitzuteilen und zu begründen. GEWERK LP BAUTEIL GESCHOSS PLANART / PLANINHALT LFD. NUMMER MASZTAB IND BL INDEX DATUM GEZ. BESCHREIBUNG LEGENDE D LAGEPLAN BAUHERR PLANUNG Kaiserstraße 68 60329 Frankfurt am Main º BASF SE Carl-Bosch-Straße 38 67065 Ludwigshafen/Rhein BASF - PM Creation Center Z 15 Karl-Müller-S 67063 Ludwigshafen am UNTERSCHRIFTENFELD ORT, DATUM .......................................................................................... ............................................ ............................................ .......................................................................................... ORT, DATUM UNTERSCHRIFTENFELD ERSTELLUNGSDATUM MASZTAB GEZEICHNET GEPRÜFT N N 2,00m x 0,8m 2,00m x 0,8m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m 1,0m x 1,0m Werkbank Bestand Entwurfsplanung Untere Ebene - 5.Obergeschoss Grundriss 22.09.2016 1:100 tw A - 3 - 0 5 G R - - - 1 0 0 - pr. VOID 19 Rund um das zentrale Atrium (linke Seite, erstes Bild oben), das als Hauptstandort für Zusammenarbeit, Kommunikation und auch für Veranstaltungen dient, sind verschiedene Büros, Besprechungsräume und Werkstätten angeordnet, die auf unterschiedliche digitale und analoge Nutzungsszenarien zugeschnitten sind.

€ 818 € 1.095 € 518 Schornsteinfeger Durchschnittliche monatliche Ausbildungsvergütung in Westdeutschland Maurer Quelle: Bundesagentur für Arbeit, BIBB 20 personalmagazin plus: Arbeitswelten Arbeitswelten Foto links: Westend61 / gettyimages.de; Foto mitte: SanktOberholz / Cedric Schanze; Foto rechts: Maridav / gettyimages.de Smalltalk Facts Hybride Arbeitswelt Quelle: Konstanzer Homeoffice Studie, Befragungszeitpunkt April 2022 Digitale Meetings Präsenzmeetings Teils, teils Welche Meetingform bevorzugen Sie? 43 28 30 Wie finden Meetings überwiegend statt? 48 31 21 Wie sich die Arbeitswelt seit Beginn der Pandemie verändert, hat die Konstanzer Homeoffice- Studie* in mittlerweile 14 Befragungswellen untersucht und in Zahlen festgehalten. Wir haben die wichtigsten Fakten zum Status quo des hybriden Arbeitens zusammengestellt. Digitale Meetings Präsenzmeetings Hybrid * www.polver.uni-konstanz.de/kunze/konstanzer-homeoffice-studie

21 Trends 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Eigener Raum Ein oder mehrere Bildschirme Ergonomischer Schreibtischstuhl Ergonomischer Schreibtisch Headset Quelle: Konstanzer Homeoffice-Studie; Befragungszeitpunkt: April 2022 Quelle: Konstanzer Homeoffice Studie, Befragungszeitpunkt November 2021 67 70 53 43 19 25 10 62 57 Selbstfinanziert Gestellt durch AG Welche Mittel stehen Ihnen für Ihre Homeoffice-Tätigkeit oder für Ihre mobile Arbeit zur Verfügung? WENIG „ZOOM FATIGUE“ Über die Hälfte der in der Konstanzer Homeoffice-Studie befragten Arbeitnehmer empfinden digitale Meetings als sehr effizient (54 Prozent) und wenig belastend (63 Prozent). Dies widerspricht der häufig im Zusammenhang mit Videokonferenzen diskutierten „Zoom-Müdigkeit“. Ein Grund für die eher geringe Zoom Fatigue unter den Befragten könnte sein, dass die technische Ausstattung für Videokonferenzen im nunmehr dritten Jahr der Pandemie überwiegend gut bis sehr gut ist. Nur 17 Prozent bewerteten die technischen Voraussetzungen als mangelhaft. Mehrfachnennung möglich; Angaben in Prozent 31% der Beschäftigten können sich vorstellen, aus der Stadt in Vororte oder ländliche Gebiete zu ziehen und mehr mobil zu arbeiten. 29% der Beschäftigten können sich vorstellen, in Zukunft verstärkt Co-Working-Spaces für ihre mobile Arbeit zu nutzen. 34% der Befragten haben im Rahmen der Mobilarbeit auch die Möglichkeit, vom Ausland aus zu arbeiten. Quelle: Konstanzer Homeoffice-Studie, Befragungszeitpunkt April 2022

22 Arbeitswelten personalmagazin plus: Arbeitswelten Die Stadt als großes Arbeitszimmer

23 Trends Von Stefan Carsten Vor der Verkehrswende steht eine Raumwende. Mit ihr werden sich auch die Funktionen und Möglichkeiten von Räumen und Arbeitsplätzen in den Städten verändern. Ein Zukunftsforscher zeigt, was das für Unternehmen, Stadt- und Büroplanung bedeutet. Unsere Städte werden sich dramatisch verändern müssen, wollen sie nicht im internationalen Wettbewerb abgehängt werden. Der Strukturwandel der Wirtschaft, sich verändernde gesellschaftliche Anforderungen in Bezug auf öffentliche Räume und Mobilität sowie das Streben nach einer nachhaltigen und gesunden Zukunft führen zu einer Neubewertung des Stadtraums und dem Bruch mit althergebrachten Denkmustern. Die neue Perspektive begreift Städte als im Aufbruch befindlich, denn schließlich sind wir nicht mehr im Zeitalter der Industrie, sondern des Wissens, der Kreativität und der Konnektivität. Der Neuauftritt der Städte ist vielerorts schon in Planung. Städteplaner, Architekten, Zukunftsforscher arbeiten gemeinsam an Ideen und Entwürfen von urbanen Quartieren, in denen Freizeit, Dienstleistungen, Erholung und Erwerbsarbeit am selben Ort möglich sind. Gewisse Muster werden dabei erkennbar: Wo heute noch Autos parken, stehen zukünftig Fahrräder, Scooter oder einfach nur eine Bank zum Ausruhen. Wo heute noch Autos im Stau stehen, findet sich zukünftig Platz für Mikromobilität und endlich wieder Einzelhändler, deren Umsätze steigen. Tankstellen werden verschwinden. Stattdessen werden Mobilitätsstationen, Schnellladesäulen oder Kulturprojekte in diese Orte einziehen. Und damit verändert sich auch, wie Unternehmen Städte nutzen und an ihnen teilhaben. In Zukunft gibt es immer weniger monofunktionale Gewerbegebiete, stattdessen werden sich Stadt und Unternehmen immer stärker aufeinander beziehen. Kein Wunder, denn in Zeiten von Fachkräftemangel und VerToyota arbeitet bereits an der Stadt der Zukunft: In der Woven City sollen Mitarbeitende und ihre Familien, Ehepaare im Ruhestand, Einzelhändler, Wissenschaftler und Industriepartner leben. Vor Ort finden zunächst bis zu 2.000 Menschen Platz, deren Zahl im Laufe der Zeit sukzessive ausgebaut werden kann.

24 Arbeitswelten nem der Rankings unter den Top Ten zu finden ist. Doch die Transformation ist auch bei uns in einigen Städten bereits in Gange. Die Stadt Heidelberg positioniert sich auch in der internationalen Wahrnehmung sehr prononciert als die Stadt, in der Autos nicht willkommen sind. Die Entscheidungsträger machen dies nicht, weil sie Fahrräder so großartig finden. Sie machen es, um das wirtschaftliche Überleben der Stadt zu sichern. Denn mit dem Umbau der Stadt schafft Heidelberg die Grundlage für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum. In einer wissensbasierten Gesellschaft verändern sich nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Prinzipien, sondern auch die Standortfaktoren. Die Lebensqualität vor Ort wird somit zum ökonomischen Faktor und beinhaltet zuallererst ein gesundes, sicheres und inklusives Umfeld. Paris, Mailand, London oder Brüssel sind die Vorreiter dieser Entwicklung neuer Standortfaktoren. Andere Städte bauen noch Stadtautobahnen. Active Lifestyle ist dank der Coronapandemie zum zeitgenössischen Leitbild vieler Städte avanciert. Das Paradigma ist auf sorgungskrise werden beide, sowohl die Städte wie auch die Unternehmen oder Arbeitszonen, wieder merken, wie wichtig sie füreinander sind. Städte lassen das automobile Erbe hinter sich – langsam Während die mobile Gesellschaft sich über die Jahre und Jahrzehnte stetig verändert hat, ist eins immer gleichgeblieben: Straßen und mit ihnen die autogerechte Stadt. Wir kaufen über das Internet Waren und Lebensmittel, wir bilden uns ein Leben lang weiter und versuchen, uns gesünder und nachhaltiger zu ernähren, führen Konferenzen in vielen Teilen der Welt und dies nahezu parallel. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach immer größer werdenden Autos auf den immer gleichen Straßen ein wesentlicher Teil der verkehrlichen Realität. Aber der Wandel greift bereits um sich, die Verkehrswende zeigt sich immer stärker. Immer mehr Akteure begreifen, dass vor der Verkehrswende die Mobilitätswende kommen muss. Und vor der Mobilitätswende steht die Raumwende. Wie das neue Denken für die Funktionen und Möglichkeiten der Räume einer Stadt aussehen kann, beschreibt Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“: „Einige Städte haben schon früh verstanden, dass es neue Anforderungen zu erfüllen gilt, um sich erfolgreich für die Zukunft aufzustellen – ökonomisch, sozial und ökologisch. Das ist nicht nur eine Frage des Stadtmarketings, sondern auch der baulichen Gestaltung der Städte selbst, die sich in einem ständigen Attraktivitätswettbewerb um Bewohnerinnen und Bewohner, Touristinnen und Touristen sowie um Ansiedlungen von Unternehmen befinden.“ Straßen sind die Repräsentanten einer industriellen Gesellschaft. Sie sind gebaut worden, um die Industrie mit Arbeitskräften und mit Rohstoffen zu versorgen. Parkplätze schafften die Voraussetzung für eine effiziente Logistik in diesem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell – für Menschen und Maschinen. Der männliche Vollzeitbeschäftigte pendelte in diesem Systemmorgens zur Arbeit und kehrte abends zu seiner Familie zurück. Diese Zeiten sind lange vorbei. An den Straßen hat sich trotzdem bislang wenig geändert. Sie sind die historische Gegenwart unserer Zeit und unserer Räume. Die Zukunft liegt heute in Mobilitätsräumen. Die Phasen der Immobilität, hervorgerufen durch die Coronalockdowns, wurden zum Augenöffner: Als der Himmel plötzlich frei von Kondensstreifen, die Luft von Abgasen befreit und sauberer denn je war und als der Lärm der Stadt auf ein Minimum reduziert wurde, zeigte sich deutlich, wie stark die urbane Lebensqualität mit ihrer Mobilität verknüpft ist und welche Bedeutung der öffentliche Raum in diesem Transformationsprozess einnimmt. Active Lifestyles: Städte als Mobilitätsräume Der Wirtschaftsstandort Deutschland leidet unter der Automobilität: Rückgänge im Einzelhandel, eine Gesellschaft im Stau, Luft- und Lärmverschmutzung sind nur einige Aspekte, die eine autoabhängige Gesellschaft verschuldet hat. Nach dem Global Liveability Index 2021 finden sich die lebenswertesten Städte dieser Welt (allen voran Auckland, aber auch Wien oder Zürich) und auch die smartesten Städte (Singapur, Zürich und Oslo) überall, nur nicht in Deutschland, das in kei-

25 Trends Aktivität und Gesundheit ausgerichtet. Vor allem das Fahrrad, aber auch Fußgänger sind dabei im Mittelpunkt. Elektroantriebe sorgen dafür, dass sogar Städte wie zum Beispiel Zürich, die dafür topografisch eigentlich nicht geeignet sind, plötzlich von Radfahrerinnen und Radfahrern entdeckt werden. Eine Stadt, deren Raum aktive und sichere Mobilität fördert – sowohl zu Fuß als auch mit dem Fahrrad – ist sozial erfolgreicher und wohlhabender, die Städter sind gesünder und glücklicher, der Einzelhandel floriert. Während jeder mit dem Auto gefahrene Kilometer die Volkswirtschaft 0,11 Euro kostet, gewinnt sie bei jedemmit dem Fahrrad gefahrenen Kilometer 0,18 Euro und beim Zufußgehen 0,37 Euro. Addiert man diese Werte für die Europäische Union, dann ergeben sich Kosten von 500 Milliarden Euro für das Auto und ein Nutzen von 24 Milliarden beziehungsweise 66 Milliarden pro Jahr für Fahrrad und Zufußgehen. (Diese Werte beruhen auf den Forschungen von Gößling (KostenvergleichAuto-Fahrrad) sowieRajéundSaffrey (TheValue of Cycling). Seamless Mobility: Unabhängigkeit und Flexi- bilität verändern die Mobilität der Beschäftigten Die Generation Z (in diesem Fall definiert als die 18-23-Jährigen) antwortete 2020 auf die Frage des Zukunftsinstituts, was für sie Mobilität bedeutet: „Unabhängigkeit, Flexibilität und Freiheit.“ Für sie ist das aber nicht – wie es viele Jahre bei jungen Menschen üblich war – gleichbedeutend mit einem eigenen Auto. Stattdessen definieren die jungen Menschen damit Flexibilität auch bei der Wahl der Fortbewegung: heute mit dem Fahrrad fahren, morgen mit dem ÖPNV, übermorgen gerne auch mal mit dem Auto. Und in der Woche darauf wieder etwas ganz anderes. Viele Unternehmen reagieren bereits auf die veränderten Ansprüche und bieten anstelle des Dienstwagens vielleicht ein In Zukunft gibt es immer weniger monofunktionale Gewerbegebiete, Stadt und Unternehmen werden sich stärker aufeinander beziehen. Wie wichtig sie füreinander sind, zeigen Fachkräftemangel und Versorgungskrise. Der Metro-Campus ist ein Beispiel moderner Stadtarchitektur, die Arbeit, Freizeit und Leben zusammenbringt.

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