9 Schwerpunkt oder aufhört. Die Kollegen im Office und ihr Feedback dagegen würden auch die eigene Leistung beglaubigen und so den Werkstolz fördern. Gemeinsame Pausen und Flurgespräche schaffen ebenfalls Struktur, bringen Abwechslung und Inspiration. Im Homeoffice droht dagegen nicht nur Vereinsamung, sondern oft auch ein Abgrenzungsproblem. Vor allem aber stelle sich bei vielen Beschäftigten auf Dauer zu Hause eine „Melange aus Dekadenz und Effizienz“ ein. Grünewald hat dafür den Begriff des „Long-Homid“ geprägt: „Drinnen in der wohltemperierten häuslichen Monotonie verpasst man das bunte Leben draußen mit seinen wechselnden Jahreszeiten und Stimmungen. Mitunter gerät man in einen Zustand der Gestalt-Auflösung – vergleichbar mit einem zu langen Aufenthalt in einer körperwarmen Badewanne.“ Die eigene Identität und die der Firma verlören ihre Konturen. Wer bin ich eigentlich? Für wen arbeite ich eigentlich? Was ist der Sinn meiner Arbeit, und was hält uns eigentlich als Unternehmen zusammen? Die Antwort auf solche Fragen werde im Unternehmen tagtäglich erlebt, zuhause aber gerate sie häufig aus dem Blickfeld. Deshalb gelte für einen großen Teil der Mitarbeitenden, dass die Regeln und Formzwänge des Offices für sie eine durchaus positive, stabilisierende Wirkung entfalten. Wobei, so der Psychologe und Marktforscher, das natürlich nicht für alle Beschäftigten gelte: „Alle über einen Kamm zu scheren, ist ein Gerechtigkeitskonzept aus den 70er- und 80er-Jahren.“ Statt allen Mitarbeitenden dieselben Regeln für Präsenz- und Remotetage aufzuzwingen, müsse heute wesentlich genauer individualsiert werden. Das bestätigt Andreas Pfnür: Ob jemand im Homeoffice die ideale Arbeitsumgebung findet oder ob er im Büro zufriedener, damit motivierter und letztendlich produktiver ist, sei, so Pfnür, in erster Linie eine Frage der räumlichen Arbeitsumgebung. Die Forschungsergebnisse hätten sie in ihrer Deutlichkeit tatsächlich selbst überrascht, erklärt der Professor für Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre, doch sie belegten eindeutig, dass die physische Arbeitsumgebung, konkret die Qualität des Arbeitsplatzes, der entscheidende Stellhebel auch für den Stressabbau des Beschäftigten sei. So könne das Homeoffice für denjenigen, der dort optimale Arbeitsbedingungen habe und auch von der Persönlichkeit eher besser alleine arbeite, durchaus auch dauernd die beste Wahl sein – vorausgesetzt, auch die Art der Arbeit erlaube dies. Auch Pfnür rät von einer pauschalen Lösung zur Regelung der Homeofficezeiten ab: „Sie werden mit starren Regelungen immer einen Teil der Beschäftigten unglücklich und unproduktiv machen.“ Gefunden werden müssten also viel eher Konzepte, die der Individualität des Einzelnen Rechnung tragen. Möglicherweise, meint er, könnten das auf individuelle Gruppen zugeschnittene Regelungen sein, das werde die Praxis zeigen. Auch die gemeinsame Mission bindet Es zeigt sich: Das Zurück ins Büro ist gar nicht so einfach – für Führungskräfte ergibt sich ein Dilemma. Auf die Bindungskräfte, die sich nur im Miteinander vor Ort entfalten, können sie nicht verzichten. Doch die mit der Pandemie gewonnene KATHARINA SCHMITT ist Redakteurin beim Personalmagazin und spezialisiert auf die Themen Vergütung, Gesundheit und Neue Arbeitswelten. Flexibilität der neuen, hybriden Arbeitswelt kann ebenso wenig zurückgenommen werden. Man müsse darüber nachdenken, meint Grünewald, wie die in den Corona-Monaten entstandene, stark ausgeprägte heimatliche Verwurzelung auch im Büro ausgebaut werden könne. Das könne gelingen, wenn es die Unternehmen schaffen, wieder Bindung an den Unternehmensort zu erzeugen. Letztlich bedeutet das, Büros und Unternehmensgebäude so zu gestalten, dass bestimmte Tätigkeiten genau dort – am Campus – am besten ausgeführt werden können. Für viele Mitarbeitende, die nicht über optimale Arbeitsbedingungen zu Hause verfügen, sind das stille Arbeitsplätze, an denen sie ungestörter und konzentrierter arbeiten können als im improvisierten Homeoffice. Während an kreativen Projekten gearbeitet wird, bei denen direkte Zusammenarbeit Synergien erzeugen kann, sollten Räume zur Verfügung stehen, an denen schon allein über Gestaltung und Einrichtung „die Kreativität wachgeküsst wird“, wie Grünewald formuliert. Und schließlich sollten als dritte Bereiche Teamräume die Möglichkeit bieten, relativ ungezwungen zusammen – und in Austausch zu kommen. Nicht für jeden, aber für viele könnte der Magnetismus von Campus, Büro und den dort verorteten Teams so tatsächlich wirken. Und Bindungskräfte entfalten, die weit über Behaglichkeit und Spaß im Büro, aber auch über die persönliche Zufriedenheit hinausgehen – die Rede ist von einer gemeinsamen Mission und Unternehmenskultur. In der Befragung zur Kohäsionsstudie äußerte eine wachsende Zahl von Mitarbeitenden den Wunsch nach einer gemeinsamen Aufgabe im Sinne einer Unternehmensmission. In dem Moment, wo man räumlich oder teammäßig nicht mehr gebunden sei, könnte die Mission ein einigendes Band darstellen, ergänzt Grünewald diese Ergebnisse. Die gemeinschaftliche Arbeit an einer Sache, das Kämpfen für ein gemeinsames Ziel schaffe Bindung, Zugehörigkeit und Stolz. Wie das im Idealfall aussehen kann, beschreibt die Lieblingsanekdote Grünewalds aus den Sechzigerjahren: Als John F. Kennedy kurz nach dessen Eröffnung das Raketenstartgelände Cape Caneveral besuchte, traf er auf einen der dort beschäftigten Hausmeister, ausgestattet mit Wischmopp und Eimer. Auf die leutselige Frage des Präsidenten, was er dort mache, antwortete der Hausmeister mit unverholenem Stolz: „Ich helfe, einen Menschen zum Mond zu bringen.“
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==