Personalmagazin plus 9/2023

Arbeitswelten personalmagazin plus: Arbeitswelten 6 in den amerikanischen Studien verwendeten Begriff „resignation“, der Rückzug bedeutet, aber nichts mit Frust oder Ermüdung zu tun hat, mit einer zermürbten und demotivierten Belegschaft gleichzusetzen. Homeoffice als Bindungsbelastung Dennoch hatte die viral gehende Mär vom resignierenden Arbeitnehmer etwas Gutes: Die Bedeutung der Mitarbeitendenbindung wurde wieder in Erinnerung gebracht. Zufällig – oder vielleicht auch gar nicht so zufällig – zeitgleich mit den Bemühungen vieler Führungskräfte, ihre remote arbeitenden Beschäftigten doch ab und an wieder ins Büro zu holen. Denn ganz unabhängig vom Drohszenario einer wie auch immer verstandenen Great Resignation zeigen Post-CoronaStudien deutlich, dass weniger eine Erschöpfung aufgrund mangelnder Anerkennung oder Flexibilität, sondern viel eher zu große und vor allem dauernde Distanz Produktivität, Kreativität und eben auch die Bindung zum Unternehmen zerstören können. Die Arbeit im Homeoffice, erklärt auch der Psychologe und Gründer des Rheingold Instituts, Stephan Grünewald, werde zwar vielfach dem Privaten gerecht, bedeute aber auch eine Bindungsbelastung. Denn für einen Großteil der Beschäftigten, die hybrid arbeiten können, ist das Büro längst nicht mehr so attraktiv wie vor der Pandemie. In vielen Unternehmen haben rein wirtschaftliche Überlegungen zur Flächenreduzierung geführt. Warum Büroflächen vorhalten, wenn der Großteil der Beschäftigten sowieso von zuhause oder unterwegs arbeitet? Desksharing-Modelle sind die Antwort auf diese Entwicklung. Doch das hat Nachteile: „Das Homeoffice hat als kollektive Entbindungsmaßnahme gewirkt“, beschreibt Grünewald. Wer jetzt ins Büro komme, erlebe „Vertriebenenproblematik“ – die vor Corona noch im Unternehmen bestehende heimatliche Verortung sei aufgelöst. „Viele Mitarbeitende fühlen sich bei der Rückkehr ins neue Großraumbüro systematisch entwurzelt: Weder ist der angestammte Arbeitsplatz da, noch die Kollegin, neben der man jahrelang saß“, fasst der Psychologe die Situation in vielen Großraumbüros zusammen. Beschäftigte würden sich dann zwar am Schreibtisch wieder zurechtfinden, aber schnell die Erfahrung machen, dass am nächsten Tag wieder alles anders sei. „Wenn sich Beschäftigte jeden Bürotag aufs Neue am Arbeitsplatz einrichten müssen, liegt der Gedanke an einen Unternehmenswechsel nicht weit. Letztendlich entsteht so der Eindruck, man sei sowieso schon ständig auf Reisen oder im Umzug, warum dann nicht auch den großen Umzug in ein komplett anderes Unternehmen avisieren.“ Sechs Faktoren, die Beschäftigte im Unternehmen halten In der Studie „Kohäsion – Die Bindungskräfte von morgen“, die das Rheingold Institut gemeinsam mit Pawlik Consultants herausgebracht hat, werden sechs Faktoren genannt, die Mitarbeitende binden – ans Unternehmen, aber auch an den Unternehmensort: Werkstolz als Stolz auf die eigene Leistung, Flexibilität, Teambezug, Wertschätzung, eine gemeinsame Mission und persönliche Weiterentwicklungschancen. Doch eine Neubetrachtung dieser tiefenpsychologisch ermittelten Faktoren nach der Pandemie habe gezeigt, dass sich deren Gewichtung nun verschoben habe, erklärt Grünewald. So sei zum einen der Werkstolz seit Corona zu einem der stärksten Bindungsfaktoren geworden. Das wird vor dem Hintergrund der Pandemie erklärbar: „Gerade zu Beginn der Lockdowns haben viele Mitarbeitende die Erfahrung gemacht, dass ihre Beschäftigungen im heimischen Umfeld ihnen weit mehr Stolz auf ihr Werk vermitteln können als sie im beruflichen Kontext erleben.“ Verständlich, denn mit der sprichwörtlichen Renovierungswut, die in Deutschland während der Pandemie im privaten Bereich ausgebrochen war, dürften die meisten Beschäftigten sehr viel mehr konkrete Werke geschaffen und Feedback bekommen haben als in der bürotäglichen Hast von Termin zu Termin. Heimische Renovierungen während der Lockdowns haben Beschäftigten mehr Stolz vermittelt als die tägliche Arbeit. Der Anspruch auf Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns ist nun aber geblieben.

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