16 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 gezwungen werde. Gegenüber potenziellen Arbeitgebern äußerte er bereits vor einem Vorstellungsgespräch, dass er im Kündigungsschutzprozess gegen seinen bisherigen Arbeitgeber klage und dort weiterhin arbeiten wolle. Das BAG stellte klar, dass eine bloß „formale“ Arbeitssuchendmeldung nicht ausreicht, wenn der Arbeitnehmende die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit aktiv verhindert. Da er selbst die Ursache für das Ausbleiben von Vermittlungsangeboten gesetzt hatte, konnte er sich nicht auf die Untätigkeit der Arbeitsagentur berufen. In einer solchen Konstellation sei nach dem Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast erforderlich. Darüber hinaus betonte das BAG: • Ein Arbeitgeber sollte dem gekündigten Arbeitnehmenden aktiv konkrete Stellenangebote benennen. Es genügt nicht, sich pauschal auf die allgemeine Arbeitsmarktlage oder eine niedrige Arbeitslosenquote zu berufen. • Im Annahmeverzugsprozess muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er dem Arbeitnehmenden geeignete Stellenangebote übermittelt hat. Der Arbeitnehmende ist verpflichtet, sich im zumutbaren Rahmen mit diesen auseinanderzusetzen und sich darauf zu bewerben. • Der Arbeitnehmende erfüllt seine sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten, wenn er sich arbeitssuchend meldet und den Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nachgeht. Er muss nicht unermüdlich eine zumutbare Arbeit suchen – eine Vollzeit-Bewerbungspflicht besteht nicht. Zumutbare Angebote darf er jedoch nicht grundlos ablehnen. • Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ist nicht zumutbar. Ein etwas geringerer Verdienst stellt hingegen noch keinen Grund dar, ein Angebot abzulehnen. Eine Tätigkeit mit einem Nettoverdienst unterhalb des Arbeitslosengeldes I ist jedoch nicht zumutbar. • Die neue Beschäftigung darf nicht mit den Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis kollidieren. Eine gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßende Tätigkeit wäre daher unzumutbar. • Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung allein genügt nicht, um böswilliges Unterlassen auszuschließen. Zusätzliche Umstände müssen hinzukommen, die eine ernsthafte Arbeitsaufnahme erkennen lassen. dies in der erforderlichen Gesamtabwägung berücksichtigt. Erfolgt die Meldung bei der Agentur für Arbeit jedoch fristgerecht und nimmt der Arbeitnehmende die Vermittlungsangebote wahr, kann ihm in der Regel keine vorsätzliche Untätigkeit vorgeworfen werden. Im Prozess muss er darlegen, welche Vermittlungsvorschläge ihm unterbreitet wurden und welche Bemühungen er daraufhin unternommen hat. Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte (LAG) bewertet die Umstände solcher Fälle unterschiedlich. Beispielhaft sind folgende Entscheidungen zu nennen: • Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30.9.2022, Az. 6 Sa 280/22) forderte zur Aufrechterhaltung des Annahmeverzugslohns sowohl qualitativ als auch quantitativ angemessene Bewerbungen. In dem konkreten Fall schrieb der Arbeitnehmende während eines vierjährigen Kündigungsschutzverfahrens 103 Bewerbungen in insgesamt 29 Monaten – rechnerisch weniger als eine Bewerbung pro Woche. Dies hielt das Gericht für unzureichend. Da der Arbeitnehmende in diesem Zeitraum ohne Beschäftigung war, hätte er Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle entfalten müssen. Zudem wurde eine gewisse Individualisierung der Bewerbungsschreiben gefordert und die Rückmeldung auf Rückfragen der potenziellen neuen Arbeitgeber als notwendig erachtet. Anderenfalls sei von einem böswilligen Unterlassen auszugehen. • Das LAG Köln (Urteil vom 27.4.2023, Az. 8 Sa 793/22) entschied, dass es grundsätzlich ausreicht, wenn der Arbeitnehmende den Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nachgeht. Eine weitergehende Pflicht zur eigenständigen Bewerbung bestehe nicht. Entscheidend sei lediglich, dass der Arbeitnehmende nicht „sehenden Auges“ untätig bleibt, wenn realistische Aussichten auf eine zumutbare Beschäftigung bestehen. • In einer späteren Entscheidung stellte das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.7.2023, Az. 10 Sa 871/21) klar, dass ein böswilliges Unterlassen nicht angenommen werden kann, wenn sich der Arbeitnehmende arbeitssuchend meldet und den Vermittlungsangeboten konkret nachgeht. Da es Aufgabe der Agentur für Arbeit sei, zumutbare Stellen zu vermitteln, müsse der Arbeitnehmende über die Arbeitslosmeldung hinaus keine besonderen Anstrengungen zur Suche nach einer Ersatzbeschäftigung unternehmen. Diese unterschiedlichen Urteile zeigen, dass die Bewertung böswilligen Unterlassens stark vom Einzelfall und der jeweiligen gerichtlichen Auffassung abhängt. Konkretisierung der Arbeitnehmerpflichten Das BAG hat mit Urteil vom 7.2.2024 (Az. 5 AZR 177/23) diese Rechtsprechung weiter präzisiert. Im entschiedenen Fall bezog der Arbeitnehmende nach einer Sperrzeit zunächst Arbeitslosengeld I, unternahm jedoch während dieser Zeit keine eigenständigen Bewerbungsbemühungen. Zudem lehnte er Stellenangebote der Agentur für Arbeit ausdrücklich ab, indem er erklärte, er würde sich nur bewerben, wenn er dazu KERSTIN WECKERT ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partner bei Baker Tilly in Deutschland. Sie berät Arbeitgeber in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts sowie im Dienstvertragsrecht und vertritt Unternehmen regelmäßig in Kündigungsschutzprozessen.
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