Einblick Wie Unternehmen Arbeitszeitkonten bestmöglich gestalten Rückblick Die wichtigsten BAG-Urteile in den vergangenen Monaten Ausblick Alexander R. Zumkeller blickt in die Zukunft des Arbeitsrechts personalmagazin Kanzleien 07.25 Kanzleien im Arbeitsrecht Übersicht, Trends, Profile Kanzleien
Premiumpartner
Editorial 3 Kanzleien Liebe Leserinnen und Leser, die neue Regierung steht bei der Frage, wie sie die Rahmenbedingungen für die Unternehmen verbessern kann, vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Dabei ist die Lage der Unternehmen nicht homogen. Während manche Branchen immer noch unter dem Fachkräftemangel leiden, der Unternehmen dazu zwingt, innovative Strategien in der Personalgewinnung und -bindung zu entwickeln, stecken andere Branchen tief in der Krise und haben Restrukturierung und Arbeitsplatzabbau auf ihrer Agenda. Man darf gespannt sein, ob es gelingen wird, die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland so zu gestalten, dass sie den Unternehmen genug Flexibilität geben, in ihrer jeweiligen Situation zu guten betrieblichen, tariflichen und wirtschaftlichen Lösungen kommen zu können. HR wird wie so oft im Cockpit des Wandels sitzen: Die Digitalisierung wird ein Treiber der Transformation bleiben. Gleichzeitig behält das Thema Employer Branding seine Bedeutung. Unternehmen müssen sich klar positionieren, um attraktiv für potenzielle Mitarbeitende zu bleiben. Dabei wird – entgegen dem Trend in den USA – auch die Förderung von Diversität und Inklusion weiter wichtig bleiben. HR-Abteilungen stehen vor der Aufgabe, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Vielfalt nicht nur toleriert, sondern aktiv fördert. HR sieht sich in einer komplexen und dynamischen Arbeitswelt mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Viele davon wird man mit Bordmitteln selbst bewältigen können. Bei anderen Themen, gerade im Bereich Restrukturierung und Personalabbau, wird es nicht selten sinnvoll sein, sich gute Beratung ins Haus zu holen. Die mittlerweile dreizehnte Auflage dieses Kompendiums wird Sie bei der Auswahl eines arbeitsrechtlichen Beraters unterstützen. Viel Spaß beim Lesen! Frank Bollinger Redaktion Personalmagazin Inhalt 04 Arbeitsrecht der Zukunft Was die nächsten vier Jahre bringen werden und vor welchen Herausforderungen die Unternehmen stehen 10 Kulturanalyse und Werteanalyse per KI Unternehmenswerte mit Künstlicher Intelligenz messen 14 Keine Pflicht zur frühzeitigen Jobsuche Freigestellte Arbeitnehmer müssen während der Dauer der Kündigungsfrist nicht aktiv nach Arbeit suchen 18 Wichtigste BAG-Urteile 2024 Eine Übersicht über die wichtigsten Urteile des Bundesarbeitsgerichts 22 Arbeitszeit Wie Unternehmen die Nutzung von Arbeitszeitkonten und Wertguthaben bestmöglich regeln 26 Die Kunst des Kompromisses Was die Betriebsparteien beim Verhandeln betrieblicher Lösungen beachten sollten 28 Kanzleiporträts 30 Advant Beiten 32 Arqis 34 Esche Schümann Commichau 36 Fringspartners Arbeitsrecht 38 Görg 40 Kliemt Arbeitsrecht 42 Menold Bezler 44 SNP Schlawien 46 Seitz 48 SKW Schwarz 50 Impressum personalmagazin Kanzleien 2025 Titel: DAQ „ HR steht in einer komplexen Arbeitswelt vor vielfältigen Herausforderungen.“
4 Kanzleien im Arbeitsrecht
5 Zukunft des Arbeitsrechts Eine neue Bundesregierung ist an den Start gegangen. Von der Vorgängerregierung hat sie etliche ungelöste Probleme geerbt, einige neue Themen werden in Laufe der Legislaturperiode hinzukommen. Was auf die Unternehmen in den kommenden Jahren zukommen wird. Von Alexander R. Zumkeller; Illustrationen DAQ Bitte modern, digital und transparent!
6 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Die bevorstehenden Herausforderungen im Arbeitsrecht – sind die alten. Nur schwieriger umzusetzen. Von den beiden „Parteien der Mitte“ hat sich gefühlt die konservativere von beiden des Arbeitsrechts entledigt und die andere bekommt – schon wieder, möchte man sagen – das Bundesarbeitsministerium. Von 146 Seiten Koalitionsvertrag sind netto 1,5 Seiten dem Arbeitsrecht gewidmet. Und wir lesen da reichlich wenig. Prognose für das Arbeitsrecht: Stagnation Keine Frage: Themen wie „Wir wollen die Sanitärinfrastruktur auf Park- und Rastplätzen auf Bundesautobahnen mit kostenfreiem Zugang ausbauen“ und „Wir werden das Statusfeststellungsverfahren zügig im Interesse von Selbstständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter machen, zum Beispiel auch mit Blick auf die Auswirkungen des Herrenberg-Urteils. “ – sind sicherlich wichtig ja, aber sie nehmen im Koalitionspapier nahezu so viel Platz ein wie das gesamte Arbeitsrecht. Hier rund 300.000 Berufskraftfahrer im Fernverkehr, dort 235.000 Scheinselbstständige, aber was ist mit den 46 Millionen Erwerbstätigen? Das Arbeitsrecht scheint der neuen Bundesregierung keine Herzensangelegenheit zu sein. Oder doch? Vielleicht gerade wegen der wenigen Ausführungen im Koalitionsvertrag? Womöglich wollte man sich nur nicht binden? Das wäre eine pfiffige Idee, wenn man denn auch eine Vorstellung hätte, woher dann die Mehrheiten kommen sollen. Die Befürchtung ist, dass nicht viel passieren wird auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und grundlegende Veränderungen ausbleiben werden. Was kommen wird Zu einigen Themen allerdings haben die Koalitionspartner Vereinbarungen getroffen, auf die wir uns schon einmal einstellen können: Mindestlohn: Die Gewerkschaften haben sich argumentativ mit der „Kaufkrafttheorie“ durchsetzen können: „Die Entwicklung des Mindestlohns muss einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten.“ Vielleicht macht der konservative Koalitionspartner hier gerne mit, weil er weiß, dass von jedem zusätzlich verdienten EUR doch vor allem die Sozialversicherung bedient wird und dann eine nicht unerhebliche Sparrate folgt. Vielleicht also pfiffig. Herausforderung für die Unternehmen: Eher nur am Rande – eine Reihe von Branchen wird unter der Erhöhung des Mindestlohns extrem zu leiden und wenig Überlebenschancen haben. Wer ohnehin weiß, dass er nicht überleben wird, muss sich allerdings auch keinen Herausforderungen mehr stellen – Entschuldigung für diesen Sarkasmus, aber anders kann man das kaum betrachten. Tariftreue: „Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen werden wir auf ein absolutes Minimum begrenzen.“ Nun, dann müsste schon ein gänzlich anderes Gesetz kommen als der letzte Entwurf der Ampelkoalitionäre. Was ist „der“ Tarif? Insbesondere bei nicht bundeseinheitlichen Vergütungstarifen? Bei Sanierungstarifverträgen, Überleitungstarifverträgen, Haustarifverträgen? Letztere sind alles gültige Tarifverträge, mit meist viel Mühe haben es die Sozialpartner geschafft, hier Unternehmen und Beschäftigte in den Tarif zu bringen – soll nun etwa der im Land des Vergabeverfahrens geltende Tarif der alleinseligmachende sein? Das wäre grob kontraproduktiv! Zudem ist es eine Binsenweisheit, dass Tarifbindung nur durch attraktive Tarifverträge, nicht aber durch gesetzliche Zwangsmaßnahmen erreicht werden kann. Dafür müsste der Gesetzgeber massiv deregulieren, oder zumindest massiv Öffnungsklauseln einführen, um den Tarifpartnern Luft zum Atmen zu lassen. Denn merke: „Tarif“, das ist nicht nur Geld! Aber vielleicht täusche ich mich, in Zeile 1879, weit weit vom Arbeitsrecht entfernt, kann man Modernes Arbeitsrecht lässt den Vertragspartnern und Betriebsparteien mehr Spielräume und muss daher massiv dereguliert werden.
7 Zukunft des Arbeitsrechts Herausforderung für die Unternehmen: Beim Thema Zeiterfassung sind die Herausforderungen schwer einzuschätzen. Es ist zu hoffen, dass der riesige Gestaltungsspielraum, den die Rechtsprechung des EuGH eröffnet, wahrgenommen wird – etwa durch die Herausnahme bestimmter Personengruppen (Leitende Angestellte, außertariflich Beschäftigte, Reisende, HomeofficeBeschäftigte – alles rechtlich möglich). Und dass in der Tat geringe technische Anforderungen gestellt werden. Wird das alles bedacht, sind Aufwände und Kosten sehr überschaubar und auch für KMU ohne Weiteres zu stemmen. Wenn nicht, können KMU das vielleicht nicht stemmen und erhalten (wieder einmal) einen Wettbewerbsvorteil gegenüber größeren Unternehmen – das ist dann für sich genommen eine Herausforderung! Ausweitung der Arbeitszeit: Ein ohne Frage wichtiges Thema. Und natürlich würde es mich freuen, wenn die Koalitionäre meinen Vorschlag aus 2023 aufnehmen: teilweise und befristet abschmelzende Erlasse auf SVBeiträge, die aus Arbeitszeiterhöhungen („Wiedereinstieg“) stammen sowie Begünstigung von RV-Einzahlungen. Aber schade, den Koalitionären fällt leider nur ein: „steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen“. Herausforderung für die Unternehmen: Sollten sich Unternehmen an dem Teufelswerk „Prämie“ beteiligen, wäre das katastrophal. Wie sollen Beschäftigte, die heute Vollzeit arbeiten oder im Rahmen von tariflichen Quotenregelungen auch über Vollzeit, noch bei Laune gehalten werden, wenn andere eine Prämie für Arbeitszeitsteigerung erhalten? Dieser Idee liegt mehr Einfalt denn Einfall zugrunde! Mehr Regulierung in der Betriebsverfassung: Als hätten wir gerade dafür nicht schon ein hinreichend überreguliertes Regelwerk im BetrVG, kommt nun noch „Für die steigenden Herausforderungen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt wollen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen“ hinzu, ergänzt durch „Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln.“ Herausforderung für die Unternehmen: Hier sind die Herausforderungen nur schwer einzuschätzen. Vielleicht werden wir eine Anhebung der Arbeitszeit für Betriebsräte und HR-Kollegen benötigen, am besten doch mit Prämien? Irgendwann kommen wir in den Bereich der rechtlichen Unmöglichkeit, weil es nicht mehr genug Labour Relations Fachleute gibt, die die Bedarfe im Unternehmen abdecken können. Eigentlich eine nette Idee: Unterlassen der Mitbestimmungsrechte wegen tatsächlicher Unmöglichkeit. Online BetrVG: Endlich gehen die Koalitionäre mit der Zeit und haben sich vorgenommen: „Wir ermöglichen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten“. Außerdem soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. lesen: „Durch Öffnungs- und Experimentierklauseln in neuen und bestehenden Gesetzen sowie durch Reallabore und Abweichungsrechte werden wir die Innovationskraft Deutschlands fördern “. Vielleicht ist das gemeint? Herausforderung für die Unternehmen: Wenn der Gesetzgeber nicht eine einfache Formel findet wie „tariftreu im Sinne des Gesetzes sind Arbeitgebende, die innerhalb ihres Unternehmens einen fachlich einschlägigen im Tarifregister registrierten Tarifvertrag qua Tarifbindung für ihre gesamte Belegschaft zur Anwendung bringen; zur Anwendung gebracht wird ein solcher Tarifvertrag für nicht tarifgebundene Arbeitgebende, wenn zumindest (i) Eingruppierungen erfolgen und (ii) Vergütungen und (iii) soweit vorhanden durchschnittliche Leistungszulagen vergütet werden, und zwar pro rata der dort festgelegten zur tatsächlichen Arbeitszeit“, ist die Chance, dass hier eine praxistaugliche Regelung gefunden wird, gering. Für nicht tarifgebundene Unternehmen wird es eine interessante Aufgabe, wie sie zu Eingruppierungen finden – wenn nicht durch Tarifbeitritt. Und woher sie die Tarifverträge bekommen – wenn nicht durch Tarifbeitritt (ja, im Tarifregister, aber das ist zumindest ausgesprochen mühselig). Arbeitszeit: Eine Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes wird wohl jetzt irgendwann kommen. „Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zur konkreten Ausgestaltung werden wir einen Dialog mit den Sozialpartnern durchführen.“ Ich möchte hinzufügen, bitte nicht nur zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern des gesamten Privatlebens und Berufs. Offenbar wurde erkannt, dass die Richtlinie deutlich mehr Flexibilität zulässt als das heutige Arbeitszeitgesetz – gut so, wenn hier Regelungen gefunden werden. Herausforderung für die Unternehmen: Die Unternehmen stehen vor riesigen Herausforderungen, wenn das wirklich kommt. Bestehende Betriebsvereinbarungen zu ändern, ist vielleicht noch der kleineste Teil. Arbeitszeitsysteme anzupassen, neue Arten der Zusammenarbeit zu finden, wenn nicht in gleichen Zeiträumen gearbeitet wird, Verständnis bei den Beschäftigten zu finden, die „ihre“ individuelle Arbeitszeit sehen, aber nicht die betrieblichen Belange, sind alles schwierige Unterfangen. Mag sein, dass das, was wir heute kennen (Montag und Freitag im Homeoffice) nur ein Beginn war. Arbeitszeiterfassung: Angst macht der Satz “Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen.“ Wenn es unbürokratisch werden soll, weshalb werden dann für KMU Übergangsfristen benötigt? Die sind unnötig und reine Klientelpolitik: es ist nicht völlig unbekannt, dass insbesondere in KMU selten Betriebsräte vorhanden sind, die über die Einhaltung der Arbeitszeit wachen.
8 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Herausforderung für die Unternehmen: Die Herausforderung besteht hier darin, gemeinsam mit den Betriebsräten das richtige Maß zu finden an virtuellen und Präsenzsitzungen. Da bin ich zuversichtlich! Digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften: „Wir ergänzen das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe um einen digitalen Zugang, der ihren analogen Rechten entspricht.“ Herausforderung für die Unternehmen: Ich werde nicht müde zu sagen, dass das eine Kostenfalle ohne Ende ist: 46 Millionen Erwerbstätige erhalten vier Mal im Jahr eine E-Mail der Gewerkschaft, nutzen hierfür fünf Minuten zum Lesen und fünf Minuten zur Diskussion mit Kollegen – selbstverständlich während der Arbeitszeit. Jedes Unternehmen mag selbst ausrechnen, wie viel weniger Produktivität und wie viel mehr Kosten einzustellen sein werden! Steuerbegünstigung der Gewerkschaftsmitgliedschaft: „Wir machen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver.“ Das kann sinnvoll sein. Konsequent wäre dann aber wohl, das Streikgeld der Steuerprogression zuzuführen. Sonst könnte es eine interessante „Bruttofür-Netto“ Entgeltumwandlung werden. Herausforderung für die Unternehmen: Hier keine. Muss auch mal gesagt werden dürfen. Was fehlt im Koalitionsvertrag? An „was wir brauchen“: Hier fehlt ein enormer Katalog – ob er je auf die Verhandlungstische der Koalitionäre kommen wird? Fangen wir mit dem Entfall aller Schriftform-Erfordernisse und aller „Aushang“pflichten (in Papierform) an. Gehen wir weiter zur Modernisierung des Tarifvertragsgesetzes, dort den Wegfall der Einreichungspflicht mehrerer „Abschriften“ an eine Vielzahl von Landestarifregistern. Es bräuchte Erleichterungen in der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung (vergleichbar der „Personalgestellung“ im staatlichen Bereich). Ganz allgemein wäre deutlich mehr Deregulierung und eine klare Aufgabenzuweisung an die Betriebs- und Tarifpartner nötig. An „was wir trotzdem kriegen“: AI Act, NIS2, Carbon Border Act, Lieferkettengesetz (aufgeschoben ist nicht aufgehoben): überall ist auch mal mehr, mal weniger HR drin. Vor allem aber: Entgelttransparenz. Der Referentenentwurf vom Oktober 2024 hat keine große Bekanntheit erlangt. So richtig und wichtig die Umsetzung der Richtlinie ist, so unumsetzbar war dieser Entwurf eines Umsetzungsgesetzes. Arbeitgebende sollen Bewerbenden das Einstiegsentgelt oder die Entgeltspanne benennen. Das KMU, das wieder einmal ausgenommen werden soll, kann das gut, für Arbeitgebende, die in mehreren Tarifgebieten tätig sind und bei denen nicht von Gewicht ist, wo ein Beschäftigter eingestellt wird, ist das schlicht unmöglich (oder soll in die Stellenanzeige geschrieben werden „wenn Sie in München beginnen, 5.000 EUR, in Frankfurt 4.500 EUR und in Kiel 4.000 EUR?“). „Die Auskunft muss die durchschnittliche Entgelthöhe für das jeweilige Grundentgelt umfassen sowie gesondert … für jeden einzelnen Entgeltbestandteil, den die Gruppen von Beschäftigten erhalten, die die gleiche oder die eine gleichwertige Arbeit wie diese Person verrichten.“ Auch dies zeugt nur wieder von barer Ahnungslosigkeit der Verfasser über die Realität, wie viele Lohnarten es gibt. Bleibt zu hoffen, dass die jetzige Koalition dies besser lösen wird. Und – leider – wir werden mit weiterer, positiv ausgedrückt „Konzentration“, negativ ausgedrückt: Stellenabbau und Betriebsschließungen rechnen müssen. Die Gründe sind vielfältig und nicht unbekannt. Externe Kanzleien versus interne Resourcen Für viele Themen, die den Personalabteilungen bevorstehen, wird der Einbezug externer Kanzleien nicht den gewünschten Effekt einer rationalen Bearbeitung haben. Anders beurteile ich das bei den Themen „was wir trotzdem kriegen“: auf diese Themengebiete können sich Kanzleien spezialisieren und das dann erworbene Know-how gewinnbringend (für beide Seiten) einbringen. Gut tut eine Kanzlei daran, nicht nur rechtliche Fragen abzuarbeiten, sondern Kolleginnen und Kollegen im Entgelttransparenzgesetz beispielsweise mit Vergütungssystemen, in der Recruitingpraxis oder der technischen Umsetzung des Lieferkettengesetzes auszubilden; das ist heute eher seltener der Fall. Theoretische Unterstützung braucht ein Unternehmen hier nicht, sondern klare Anleitung des „wie Umsetzen“. Fazit: Modernes Arbeitsrecht braucht Deregulierung Es hat sich nicht viel getan: Ein modernes Arbeitsrecht richtet sich an den Bedarfen der Zukunft aus, sowohl was die Umgebungsvariablen angeht als auch die Beschäftigten. Modernes Arbeitsrecht muss flexibler werden, einfacher, transparenter und digitaler. Modernes Arbeitsrecht lässt den Vertragspartnern und Betriebsparteien mehr Spielräume und muss daher massiv dereguliert werden – wie auch die Tarifverträge (die heute teilweise gar ganze dicke DIN-A-5-Ordner zu füllen vermögen), um Tariftreue attraktiver werden zu lassen. Die Einführung von Automatisierung und KI muss erleichtert werden und nicht erschwert, wie unter „Weiterentwicklung der Mitbestimmung“ unschwer zu lesen ist. Noch ist diese Handschrift der Koalitionäre nicht zu entdecken. Aber was nicht ist, kann ja noch werden! ALEXANDER. R. ZUMKELLER ist Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB und Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler im Unternehmen.
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10 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Von Sarah Brauns Werte: Eine unterschätzte Währung im Unternehmen
11 KI-Analyse von Unternehmenswerten Unternehmen stehen für Werte. Gelebte Werte schaffen Identifikation, fördern Zusammenarbeit und treiben Innovation voran. Doch manchmal stehen die Werte nur in Hochglanzbroschüren und sind im Unternehmen gar nicht präsent. Lässt sich das messen? Ja, sagt ein Startup aus Braunschweig und hat eine Lösung dafür. Unternehmenswerte sind mehr als schöne Worte auf einer Website. Sie bilden die Grundlage für nachhaltigen Erfolg und sind ein entscheidender Faktor für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Mitarbeiterbindung und Innovationskraft. Wo Fachkräfte Mangelware sind und Firmen sich an eine unsichere Weltlage anpassen müssen, sind Werte der Schlüssel, um sich zu positionieren, Orientierung zu bieten und für Mitarbeiter und den Markt attraktiv zu bleiben. Wo Werte Schall und Rauch sind Mit Hochglanzbroschüren und visuell ansprechender Internetpräsenz wollen Firmen eine harmonische Unternehmenskultur vermitteln. Doch wer den Blick hinter die glänzende Fassade richtet, entdeckt häufig eine Realität, die weit von der kommunizierten Vision entfernt ist. Talente, die sich von der Selbstdarstellung eines Unternehmens angezogen fühlen, stoßen schnell auf Diskrepanzen zwischen dem Schein und der gelebten Praxis. Diese Kluft führt zu Enttäuschungen und sinkender Mitarbeiterzufriedenheit. Die Folge sind Mitarbeiter, deren Einsatzbereitschaft sinkt und die sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen. Wer Teammitglieder verliert, muss mit Störungen im Betriebsablauf und dem Verlust von wichtigem Know-how rechnen. Das nagt auf Dauer an der Wettbewerbsfähigkeit. Immer mehr Führungskräfte berichten, dass intensive Maßnahmen wie Zufriedenheitsbefragungen oder Kulturmaßnahmen trotz großer Bemühungen nicht wirksam sind. Häufig fehlt der entscheidende Baustein: eine authentisch gelebte Wertebasis. Wie das bekannte Sprichwort „Culture eats strategy for breakfast“ treffend zusammenfasst: Selbst die ausgefeilteste Strategie hilft wenig, wenn die täglichen Entscheidungen und Handlungen nicht im Einklang mit den kommunizierten Werten stehen. Werte als Erfolgsfaktor – Zahlen, die überzeugen Studien untermauern die Bedeutung von Werten. Eine Untersuchung der Harvard Business School belegt, dass Unternehmen mit klar definierten und konsequent umgesetzten Werten ein bis zu 50 Prozent höheres Betriebsergebnis erzielen können. Ergänzt wird dies durch Ergebnisse der Harvard Business Review, die von einer 20 Prozent höheren Mitarbeiterzufriedenheit in solchen Unternehmen berichten. Deloitte liefert in einer Studie die Erkenntnis, dass starke Werte die Innovationskraft um 30 Prozent steigern können. Diese Zahlen sprechen für sich. Sie zeigen, dass Unternehmenswerte mehr sind als symbolische Leitlinien. Sie stellen ein strategisches Asset dar, das – sofern es authentisch gelebt und systematisch in die Unternehmensstrategie integriert wird – konkrete Wettbewerbsvorteile zu generieren vermag. Auf diese Weise wird die Wirkung einer wertebasierten Unternehmenskultur klar messbar: Nicht auf vagen Gefühlen basierend, sondern auf handfesten Daten, die das Engagement im Unternehmen und damit den Erfolg nachhaltig steigern. Warum authentische Werte Unternehmen erfolgreicher machen Deshalb ist die authentische und konsequente Umsetzung von Werten im Unternehmen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Dabei ist es wichtig, dass die erklärten Werte im täglichen Miteinander spürbar werden – sei es im Umgang der Mitarbeiter untereinander, in den Entscheidungsprozessen der Führungskräfte oder im Auftritt des Unternehmens nach außen. Nur wenn Werte wirklich authentisch sind, stärken sie intern das Vertrauen der Belegschaft und werden extern als glaubwürdiges Versprechen wahrgenommen. Unternehmen, die ihre Werte konsequent leben, profitieren in mehrfacher Hinsicht: Sie binden ihre Mitarbeiter langfristig, bauen eine positive Arbeitgebermarke auf und heben sich im Wettbewerb um Talente und Kunden von ihren Mitbewerbern ab. In einer Arbeitswelt, in der Werte zunehmend in den Vordergrund rücken, wird die glaubwürdige Umsetzung der Unternehmens-DNA zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal. Es geht dabei nicht nur um das Deklarieren von Leitgedanken, sondern vor allem um die authentische Integration in alle Unternehmensbereiche. Klare Zahlen für die eigenen Werte durch KI und Befragungen: Der Ansatz von heart job Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre gelebten Werte systematisch zu erfassen und messbar zu machen, um ihr Zielbild erreichen zu können. Wie lässt sich aber objektiv und nachvollziehbar dokumentieren, an welchem Punkt man sich auf dem Weg zum angestrebten Zielbild befindet – und wie können Entscheidungen vermieden werden, die lediglich auf Bauchgefühl beruhen? Genau diese Fragestellung beschäftigte Sarah Brauns, Mitgründerin von heart job, in ihrer vorherigen Tätigkeit als Strategie-
12 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 managerin in der Organisationsentwicklung. Aus der Überzeugung heraus, dass Unternehmen für ihre Werte handfeste Zahlen und die Perspektiven ihrer Stakeholder benötigen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können, wurde die Idee geboren, ein Instrument zu entwickeln, das den Status quo sowie die Wirksamkeit von Werten objektiv abbildet. Genau diesen Ansatz verfolgt heart job – ein datenbasiertes Instrument, das Unternehmen eine transparente Grundlage liefert, um ihre Werte zu messen, strategisch weiterzuentwickeln und gezielt zu optimieren. Mithilfe einer eigens entwickelten KIAnwendung wertet heart job innerhalb von 48 Stunden öffentlich verfügbare Daten aus – von Social-Media-Beiträgen über Presseartikel bis hin zu nicht frei zugänglichen, online verfügbaren Quellen wie beispielsweise LinkedIn. Das Resultat sind detaillierte Einblicke in die Wahrnehmung der Unternehmenswerte nach außen, klare Analysen zu Stärken und Schwächen sowie konkrete Handlungsempfehlungen, die den Weg zu einer authentischen Unternehmenskultur ebnen. Das ermöglicht einen einfachen und direkten Einstieg in die Wertearbeit. Ergänzend dazu bietet heart job im Rahmen einer umfassenden 360-GradAnalyse die Befragung von Mitarbeitenden, Geschäftspartnern und Kunden an. Dieser integrierte Ansatz verknüpft die Daten der KI-Analyse mit direktem, detailliertem Feedback und schafft so ein vollständiges Bild der Wertekultur. “Die Lösungen von heart job gehen über reine Datenanalysen hinaus – sie sind ein Leitfaden für die Zukunft”, sagt Simon Rutar, Mitgründer von heart job. Mit seiner Ansatz sammeln nicht nur oberflächliche Eindrücke, sondern liefern detaillierte, strategisch nutzbare Erkenntnisse. Diese wissenschaftlich fundierte Herangehensweise, die in enger Kooperation mit der TU Braunschweig, der FOM Mannheim sowie der HAWK Hildesheim entwickelt wurde, sichert den Unternehmen eine verlässliche Basis für fundierte Entscheidungen und zielgerichtete Maßnahmen. Die kontinuierliche Anpassung der Analysen an den Stand der wissenschaftlichen Forschung – im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte – garantiert, dass Unternehmen auf verlässliche, aktuelle Methoden zurückgreifen können. Was bedeutet das nun für Unternehmen? Werte sind ein strategisches Asset, das, wenn es authentisch gelebt wird, den wirtschaftlichen Erfolg nachhaltig beeinflusst. Die datenbasierte Herangehensweise von heart job demonstriert, wie moderne Technologien und klare Kennzahlen den tatsächlichen Zustand des Zielbildes eines Unternehmens erfassen und gezielt optimieren können. Im Zentrum steht dabei die Stärkung der authentischen Werte: Die DNA eines Unternehmens gilt es zu erkennen und gezielt zu fördern, um vorhandene Stärken optimal auszuspielen. Dies verschafft nicht nur im Wettbewerb um Talente und Kunden einen entscheidenden Vorteil, sondern bildet auch die Grundlage für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Unternehmensentwicklung. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass Werte in turbulenten Zeiten Orientierung und Stabilität bieten – eine messbare Währung, die den Unterschied machen kann. Die Zukunft gehört jenen, die den Mut besitzen, ihre Unternehmenswerte nicht nur zu deklarieren, sondern sie kontinuierlich weiterzuentwickeln und authentisch erlebbar zu machen. Nur so kann ein Unternehmen den Herausforderungen des Marktes souverän begegnen und sich als starker, glaubwürdiger Wettbewerber positionieren. Werte sind damit nicht nur ein ideeller Leitfaden, sondern das Fundament, auf dem langfristiger Erfolg gebaut werden kann. Erfahrung im Aufbau von Unternehmen weiß er, wie wichtig es ist, starke und erlebbare Werte zu schaffen. Case Study: Ein Handelsunternehmen stärkt seine Werte Ein mittelständisches Handelsunternehmen wollte wissen, wie seine Werte wahrgenommen werden, um sich am Markt stärker zu positionieren. Mithilfe von heart job® KI wurde eine umfassende Analyse der Außenwahrnehmung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass nur ein Teil der kommunizierten Werte in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Während die lange Tradition des Unternehmens stark kommuniziert und wahrgenommen wurde, blieb der zentrale Wert der Vielfalt nahezu unsichtbar. Anhand der KI-gestützten Analyse konnten die Experten von heart job für das Unternehmen erste konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Um diese Lücke zu schließen, entwickelte und kommunizierte das Unternehmen konkrete Geschichten, die die Vielfalt der Menschen und Produkte erlebbar machen. Durch eine verstärkte Vermittlung dieses Wertes hat das Unternehmen bereits erste Erfolge darin erzielt, ein konsistentes Bild nach innen und außen zu schaffen und neue Kundengruppen anzusprechen. Durch regelmäßiges Monitoring kann heart job bereits eine verstärkte Wahrnehmung des Wertes “Vielfalt” feststellen. Diese Fallstudie verdeutlicht, dass das Verständnis und die Stärkung von Unternehmenswerten einen direkten Einfluss auf das Erschließen neuer Kundengruppen haben kann. Ein kontinuierliches Monitoring hilft, den Erfolg der Maßnahmen zu bewerten und gezielt nachzusteuern. Wissenschaftliche Kooperationen als Schlüssel zum Erfolg Die Verknüpfung quantitativer Daten mit qualitativen Befragungen eröffnet ein umfassendes Bild der Unternehmenswerte. Initiativen wie der heart job® 360-GradSARAH BRAUNS ist Gründerin und CEO von Heart Job mit langjähriger Berufserfahrung im strategischen Organisationsmanagement.
14 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Unwirksame Kündigungen können für Arbeitgeber erhebliche finanzielle Konsequenzen haben, da sie für die gesamte Zeit zur Gehaltszahlung verpflichtet sind. Nicht immer können Arbeitgeber eine aktive Stellensuche von freigestellten Beschäftigten erwarten, aber mit geeigneten Maßnahmen lässt sich das Risiko Annahmeverzugslohn geringhalten. Von Kerstin Weckert Risiko Kündigungsschutzprozesse Ein verlorener Kündigungsschutzprozess kann für Arbeitgeber erhebliche finanzielle Konsequenzen haben. Häufig sind sie verpflichtet, für die gesamte Dauer des Verfahrens Annahmeverzugslohn zu zahlen – selbst wenn sich der Prozess über Jahre hinzieht. Daher ist die Frage entscheidend, inwieweit Arbeitnehmende während der Kündigungsfrist oder eines laufenden Rechtsstreits verpflichtet sind, sich um eine neue Stelle zu bemühen. Besonders relevant ist dabei der Zeitpunkt, ab dem eine aktive Stellensuche erforderlich ist. In den vergangenen Jahren hat sich die Rechtsprechung weiterentwickelt und die Rechte sowohl der Arbeitnehmenden als auch der Arbeitgeber in diesem Bereich präzisiert. Die Zwickmühle von Arbeitgebern – Bisherige Rechtsprechung Arbeitgeber sind nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess in der Regel verpflichtet, dem Arbeitnehmenden für die Dauer des Verfahrens Annahmeverzugslohn zu zahlen. Hintergrund ist, dass ein Arbeitgeber, der eine unwirksame Kündigung ausspricht, automatisch in Annahmeverzug gerät – ohne dass der Arbeitnehmende seine Arbeitsleistung ausdrücklich oder auch nur mündlich anbieten muss. Dies ergibt sich daraus, dass die Kündigung zugleich die Erklärung enthält, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmenden nach Ablauf der Kündigungsfrist oder im Falle einer fristlosen Kündigung ab deren Zugang nicht mehr anzunehmen. Für den Arbeitgeber kann dies kostspielig werden – insbesondere, wenn sich das Verfahren über mehrere Monate oder sogar Jahre hingezogen hat. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Nach § 11 KSchG muss sich der Arbeitnehmende anderweitigen Erwerb anrechnen lassen. Dies gilt sowohl für den tatsächlich erzielten Erwerb als auch denjenigen, den der Arbeitnehmende böswillig unterlassen hat, also den er zumutbar hätte erzielen können. Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes wie Arbeitslosengeld oder das Einkommen aus
15 Kündigung natelangen Prozessphasen eine neue Beschäftigung zu finden. Dadurch gewinnt die Anrechnung böswillig entgangenen Erwerbs zunehmend an praktischer Bedeutung. Begonnen hat der Wandel der Rechtsprechung mit dem Urteil des BAG vom 27.5.2020 (Az. 5 AZR 387/19). Das Gericht hat in dieser Entscheidung erstmalig dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmenden über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit zugesprochen, wenn Indizien für die Annahme eines böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs bestehen. Der Auskunftsanspruch erstreckt sich dabei auf die Nennung der Art der Tätigkeit, der Arbeitszeit, des Arbeitsorts und der Vergütung der angebotenen Stellen. Nur so kann der Arbeitgeber beurteilen, ob die angebotene Arbeit zumutbar ist und ob der Arbeitnehmende möglicherweise böswillig eine Arbeitsaufnahme verhindert hat. Anschließend muss der Arbeitnehmende diese Hinweise widerlegen und darlegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist beziehungsweise ein solcher unzumutbar gewesen wäre. Wann liegt böswilliges Unterlassen vor? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Ein Arbeitnehmender handelt böswillig, wenn er sich der objektiven Gegebenheiten – wie der Arbeitsmöglichkeit, der Zumutbarkeit der Arbeit und der möglichen Nachteile für den Arbeitgeber – bewusst ist und dennoch vorsätzlich untätig bleibt oder die Arbeitsaufnahme verhindert. In diesem Fall kann ihm ein Vorwurf gemacht werden, ohne dass eine Absicht zur Schädigung des Arbeitgebers erforderlich ist. Was im Einzelfall von einem Arbeitnehmenden an Bemühungen erwartet werden kann, ist nicht gesetzlich festgelegt und wird unterschiedlich bewertet. Die Arbeitsgerichte orientieren sich bei der Beurteilung der Böswilligkeit an den spezifischen Umständen des Einzelfalls und nehmen eine Gesamtabwägung vor. Grundsätzlich ist ein gekündigter Arbeitnehmender verpflichtet, sich nach Erhalt der Kündigung bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend zu melden. Diese Meldung hat unabhängig von der individuellen Kündigungsfrist spätestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen. Liegen zwischen der Kenntnis der Beendigung und dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, muss die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntniserlangung erfolgen. Unterlässt der Arbeitnehmende diese Meldung, wird einem neuen Job ist unproblematisch. Für den Arbeitgeber ergibt sich aber häufig das Problem, dass er weder darlegen noch beweisen kann, welche konkreten Verdienstmöglichkeiten dem Arbeitnehmenden offenstanden und in welcher Höhe ein potenzieller Erwerb hätte erzielt werden können. Ihm fehlen insoweit schlicht die notwendigen Anhaltspunkte. Aus diesem Grund nutzten Arbeitnehmende häufig das Risiko des Annahmeverzugs als Druckmittel, um den Arbeitgeber zu einem Vergleich mit einer möglichst hohen Abfindung zu bewegen. Auskunftsanspruch stärkt Arbeitgeber Seit 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung neu justiert und die Position der Arbeitgeber deutlich gestärkt. Künftig wird von gekündigten Arbeitnehmenden gefordert, sich der Frage zu stellen, warum es ihnen angesichts des Fachkräftemangels nicht gelungen sein soll, in den oft mo-
16 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 gezwungen werde. Gegenüber potenziellen Arbeitgebern äußerte er bereits vor einem Vorstellungsgespräch, dass er im Kündigungsschutzprozess gegen seinen bisherigen Arbeitgeber klage und dort weiterhin arbeiten wolle. Das BAG stellte klar, dass eine bloß „formale“ Arbeitssuchendmeldung nicht ausreicht, wenn der Arbeitnehmende die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit aktiv verhindert. Da er selbst die Ursache für das Ausbleiben von Vermittlungsangeboten gesetzt hatte, konnte er sich nicht auf die Untätigkeit der Arbeitsagentur berufen. In einer solchen Konstellation sei nach dem Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast erforderlich. Darüber hinaus betonte das BAG: • Ein Arbeitgeber sollte dem gekündigten Arbeitnehmenden aktiv konkrete Stellenangebote benennen. Es genügt nicht, sich pauschal auf die allgemeine Arbeitsmarktlage oder eine niedrige Arbeitslosenquote zu berufen. • Im Annahmeverzugsprozess muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er dem Arbeitnehmenden geeignete Stellenangebote übermittelt hat. Der Arbeitnehmende ist verpflichtet, sich im zumutbaren Rahmen mit diesen auseinanderzusetzen und sich darauf zu bewerben. • Der Arbeitnehmende erfüllt seine sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten, wenn er sich arbeitssuchend meldet und den Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nachgeht. Er muss nicht unermüdlich eine zumutbare Arbeit suchen – eine Vollzeit-Bewerbungspflicht besteht nicht. Zumutbare Angebote darf er jedoch nicht grundlos ablehnen. • Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ist nicht zumutbar. Ein etwas geringerer Verdienst stellt hingegen noch keinen Grund dar, ein Angebot abzulehnen. Eine Tätigkeit mit einem Nettoverdienst unterhalb des Arbeitslosengeldes I ist jedoch nicht zumutbar. • Die neue Beschäftigung darf nicht mit den Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis kollidieren. Eine gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßende Tätigkeit wäre daher unzumutbar. • Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung allein genügt nicht, um böswilliges Unterlassen auszuschließen. Zusätzliche Umstände müssen hinzukommen, die eine ernsthafte Arbeitsaufnahme erkennen lassen. dies in der erforderlichen Gesamtabwägung berücksichtigt. Erfolgt die Meldung bei der Agentur für Arbeit jedoch fristgerecht und nimmt der Arbeitnehmende die Vermittlungsangebote wahr, kann ihm in der Regel keine vorsätzliche Untätigkeit vorgeworfen werden. Im Prozess muss er darlegen, welche Vermittlungsvorschläge ihm unterbreitet wurden und welche Bemühungen er daraufhin unternommen hat. Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte (LAG) bewertet die Umstände solcher Fälle unterschiedlich. Beispielhaft sind folgende Entscheidungen zu nennen: • Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30.9.2022, Az. 6 Sa 280/22) forderte zur Aufrechterhaltung des Annahmeverzugslohns sowohl qualitativ als auch quantitativ angemessene Bewerbungen. In dem konkreten Fall schrieb der Arbeitnehmende während eines vierjährigen Kündigungsschutzverfahrens 103 Bewerbungen in insgesamt 29 Monaten – rechnerisch weniger als eine Bewerbung pro Woche. Dies hielt das Gericht für unzureichend. Da der Arbeitnehmende in diesem Zeitraum ohne Beschäftigung war, hätte er Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle entfalten müssen. Zudem wurde eine gewisse Individualisierung der Bewerbungsschreiben gefordert und die Rückmeldung auf Rückfragen der potenziellen neuen Arbeitgeber als notwendig erachtet. Anderenfalls sei von einem böswilligen Unterlassen auszugehen. • Das LAG Köln (Urteil vom 27.4.2023, Az. 8 Sa 793/22) entschied, dass es grundsätzlich ausreicht, wenn der Arbeitnehmende den Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nachgeht. Eine weitergehende Pflicht zur eigenständigen Bewerbung bestehe nicht. Entscheidend sei lediglich, dass der Arbeitnehmende nicht „sehenden Auges“ untätig bleibt, wenn realistische Aussichten auf eine zumutbare Beschäftigung bestehen. • In einer späteren Entscheidung stellte das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.7.2023, Az. 10 Sa 871/21) klar, dass ein böswilliges Unterlassen nicht angenommen werden kann, wenn sich der Arbeitnehmende arbeitssuchend meldet und den Vermittlungsangeboten konkret nachgeht. Da es Aufgabe der Agentur für Arbeit sei, zumutbare Stellen zu vermitteln, müsse der Arbeitnehmende über die Arbeitslosmeldung hinaus keine besonderen Anstrengungen zur Suche nach einer Ersatzbeschäftigung unternehmen. Diese unterschiedlichen Urteile zeigen, dass die Bewertung böswilligen Unterlassens stark vom Einzelfall und der jeweiligen gerichtlichen Auffassung abhängt. Konkretisierung der Arbeitnehmerpflichten Das BAG hat mit Urteil vom 7.2.2024 (Az. 5 AZR 177/23) diese Rechtsprechung weiter präzisiert. Im entschiedenen Fall bezog der Arbeitnehmende nach einer Sperrzeit zunächst Arbeitslosengeld I, unternahm jedoch während dieser Zeit keine eigenständigen Bewerbungsbemühungen. Zudem lehnte er Stellenangebote der Agentur für Arbeit ausdrücklich ab, indem er erklärte, er würde sich nur bewerben, wenn er dazu KERSTIN WECKERT ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partner bei Baker Tilly in Deutschland. Sie berät Arbeitgeber in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts sowie im Dienstvertragsrecht und vertritt Unternehmen regelmäßig in Kündigungsschutzprozessen.
17 Kündigung suchendmeldung sowie auf die Folgen ausbleibender Bewerbungsbemühungen hinweisen. Falls es im Rahmen der Güteverhandlung zu keiner Einigung kommt, sollten Arbeitgeber spätestens gegen Ende der Kündigungsfrist und während des Kündigungsschutzprozesses geeignete Stellenangebote aus Jobportalen im Internet und Arbeitsagentur-Datenbanken dokumentieren und dem Arbeitnehmenden nachweislich zur Verfügung stellen, damit dieser hiervon Kenntnis erlangt. Bleibt der Arbeitnehmende untätig, steigt sein Begründungsaufwand im Streitfall. Weitere Maßnahmen, die Arbeitgeber ergreifen können, sind beispielsweise die Finanzierung einer Outplacement-Beratung bei besonders hohen Gehaltsstrukturen. Wenn Indizien vorliegen, die einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmenden entgegenstehen – beispielsweise ein längerer Auslandsaufenthalt –, können diese ebenfalls dokumentiert und der Zahlungsforderung des Arbeitnehmenden entgegengehalten werden. Sobald der Annahmeverzugslohn eingeklagt wird, sollte der Arbeitgeber Auskunft darüber verlangen, ob der Arbeitnehmende Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit erhalten und diese verfolgt hat. Zudem sollte er Informationen darüber einholen, ob und auf welche Weise der Arbeitnehmende eigene Bewerbungsbemühungen unternommen hat. Auch die gezielte Einbindung von Headhuntern/Recruitern kann für das Angebot geeigneter Stellen förderlich sein. Zudem erleichtert eine frühzeitige Ausstellung eines einwandfreien Zwischen- oder Endzeugnisses dem Arbeitnehmenden die Jobsuche und den Wechsel. Auch der Bitte um ein Empfehlungsschreiben für potenzielle neue Arbeitgeber sollte zeitnah nachgekommen werden. Ebenso kann eine Lockerung von Wettbewerbsverboten und Verschwiegenheitspflichten den Zugang zu einer neuen Beschäftigung vereinfachen. Ein solcher Verzicht – oder zumindest die Bereitschaft dazu – sollte jedoch immer unter der Abwägung der unternehmerischen Interessen erfolgen, um zu entscheiden, ob das Festhalten an diesen Verboten gerechtfertigt ist. Fazit: Maßnahmen ergreifen - aber erst nach Ablauf der Kündigungsfrist Annahmeverzugslohn stellt eine erhebliche finanzielle Belastung für Unternehmen dar. Seit dem Jahr 2020 hat sich die Rechtsprechung dahingehend entwickelt, dass Arbeitnehmende vermehrt in die Pflicht genommen werden, sich aktiv um neue Stellen zu bemühen. Während der Kündigungsfrist sind Arbeitgeber jedoch weiterhin zur Lohnfortzahlung verpflichtet, sofern sie den Arbeitnehmenden einseitig freigestellt haben und dessen Weiterbeschäftigung nicht unzumutbar ist. Nach Ablauf der Kündigungsfrist können Arbeitgeber verschiedene Maßnahmen ergreifen, um Ansprüche zu vermeiden – etwa durch die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen und die gezielte Übermittlung von Stellenangeboten. Wer den rechtlichen Rahmen für sich nutzt, kann das finanzielle Risiko von Annahmeverzugslohn verringern. Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.9.2024, Az. 4 Sa 10/24) stellte zudem klar, dass Arbeitgeber die Beweislast dafür tragen, dass während des Verzugszeitraums zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden und dem Mitarbeitenden bekannt waren. Erst im gerichtlichen Verfahren präsentierte Stellenangebote, die während des Verzugszeitraums auf dem Internetportal der Agentur für Arbeit eingestellt waren, reichen nach Auffassung des LAG nicht aus, um ein böswilliges Unterlassen zu begründen. Die aktuelle Rechtsprechung verdeutlicht damit, dass böswilliges Unterlassen immer anhand des Einzelfalls zu bewerten ist. Arbeitnehmende sind verpflichtet, sich arbeitssuchend zu melden und zumutbare Vermittlungsangebote anzunehmen. Bloße Formalitäten oder absichtliche Verhinderung von Vermittlungsbemühungen können zu einer Anrechnung fiktiven Einkommens führen. Gleichzeitig sind Arbeitgeber gefordert, geeignete Stellenangebote zu übermitteln und diese im Prozess nachzuweisen. Frühzeitige Jobsuche schon während der Kündigungsfrist? Sind Arbeitnehmer dazu verpflichtet, bereits während ihrer Kündigungsfrist aktiv nach einer neuen Stelle zu suchen? Nein, entschied das BAG in einem aktuellen Urteil vom 12.2.2025 (Az. 5 AZR 127/24) und sorgte damit für mehr Rechtssicherheit. Der Fall: Ein Senior Consultant erhielt am 29. März 2023 die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2023 und wurde unter Anrechnung seines Resturlaubs unwiderruflich freigestellt. In den Monaten Mai und Juni 2023 erhielt er 43 Stellenangebote von seinem Arbeitgeber, bewarb sich jedoch erst gegen Ende der Kündigungsfrist auf sieben davon. Er reichte eine Kündigungsschutzklage ein und bekam recht – die Instanzgerichte erklärten die Kündigung für unwirksam. Trotz der Freistellung erhielt er für Juni 2023 keine Vergütung mehr, woraufhin er diese einklagte. Der Arbeitgeber argumentierte mit § 615 Satz 2 BGB, wonach eine Vergütung entfallen kann, wenn ein Arbeitnehmender böswillig darauf verzichtet, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Das BAG wies dies zurück: Da der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden einseitig freigestellt hatte, befand er sich im Annahmeverzug und blieb zur Gehaltszahlung verpflichtet (§ 615 Satz 1 in Verbindung mit § 611a Abs. 2 BGB). Die Richter stellten klar, dass Arbeitnehmende nicht verpflichtet sind, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Stelle anzunehmen, um die finanzielle Belastung des Arbeitgebers zu minimieren. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Weiterbeschäftigung beim ursprünglichen Arbeitgeber unzumutbar ist, was nicht dargelegt wurde. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor – weitere Details sind zu erwarten. Maßnahmen, um Annahmeverzugslohnrisiko gering zu halten Um das Risiko von Annahmeverzugslohn zu minimieren, sollten Arbeitgeber bereits bei der Kündigung und im Kündigungsschreiben auf die Pflicht zur frühzeitigen Arbeits-
18 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Illustration: Lea Dohle Es gab 2024 etliche Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die für die tägliche Praxis von Bedeutung sind. Ein Überblick über die wichtigsten Urteile des Jahres, die Sie kennen sollten. Von Frank Bollinger Urteile des Jahres 2024
19 Rechtsprechung Keine Webinarpflicht für Betriebsräte Betriebsräte haben selbst dann das Recht, auf Kosten des Arbeitgebers an einer Schulung in Präsenz teilzunehmen, wenn zum gleichen Schulungsthema zeitgleich eine Online-Schulung angeboten wird und die Präsenzschulung hohe Anreise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten auslöst. Arbeitgeber müssen neben den Schulungsgebühren – ungeachtet der denkbaren Alternative einer keine Zusatzkosten auslösenden Online-Schulung – auch diese Kosten übernehmen. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2024, Az. 7 ABR 8/23 Keine nachträgliche Kürzung des Urlaubs aus Elternzeit Der Arbeitgeber kann nach einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im direkten Anschluss an eine Elternzeit Urlaubsabgeltungsansprüche nicht mehr durch Kürzung des Urlaubsanspruchs vermeiden. Lediglich der „Erholungsurlaub“ kann nach § 17 Abs. 1 BEEG vom Arbeitgeber gekürzt werden. Ist der Urlaubsanspruch bereits in einen Abgeltungsanspruch übergegangen, ist eine Kürzung nicht mehr möglich. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. April 2024, Az. 9 AZR 165/23 Betriebsratswahl mit weniger Wahlbewerbern als Sitzen Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmende um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann auch ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden. Es steht der Wirksamkeit der Betriebsratswahl nicht entgegen, wenn sich nicht genügend Bewerbende für das Betriebsratsamt finden. Dies folgt laut BAG aus § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Diese Bestimmung gibt vor, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmenden, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Hierin sei der Wille des Gesetzgebers, dass auch ein kleinerer Betriebsrat zustande kommen kann, ausdrücklich erkennbar. Deshalb ist bei der Betriebsratsgröße in der Konstellation von weniger Kandidatinnen und Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. April 2024, 7 ABR 26/23 Vergütung für Körperreinigungszeiten Auch das Duschen am Arbeitsplatz kann vergütungspflichtige Arbeitszeit sein. Diese immer wieder aufkommende Frage hat das BAG im Fall eines Containermechanikers zugunsten des Arbeitnehmers entschieden. Dies setze aber voraus, dass sich der oder die Arbeitnehmende bei der Arbeit derartig verschmutzt, dass ihm oder ihr der Weg nach Hause nicht ohne vorherige Reinigung zugemutet werden kann. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. April 2024, Az. 5 AZR 212/23
20 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin Kanzleien 2025 Altersabhängige Arbeitszeitreduzierung steht auch Teilzeitbeschäftigten zu Nach einer tarifvertraglichen Regelung erhalten ältere Beschäftigte über 58 Jahre eine Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich, eine sogenannte Altersfreizeit. Damit soll dem erhöhten Erholungsbedürfnis im Alter Rechnung getragen werden. Wer allerdings weniger als 38 Stunden die Woche tätig ist, hat keinen Anspruch auf Altersfreizeit: Eine Teilzeitbeschäftigte mit geringerer Stundenzahl schließt die tarifliche Regelung aus. Eine solche Regelung im Tarifvertrag, die ältere Arbeitnehmende, die in Teilzeit tätig sind, vollständig von der Gewährung einer vergüteten Altersfreizeit ausnimmt, ist unzulässig, urteilte das BAG. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Juli 2024, Az. 9 AZR 296/20 Schadensersatz wegen fehlender Zielvereinbarung Hat sich der Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, mit dem Arbeitnehmenden für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Tantieme- oder Bonuszahlung geknüpft ist, kann er diese Vertragspflicht regelmäßig nur erfüllen, wenn er mit dem Arbeitnehmenden Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung führt und es diesem ermöglicht, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen. Legt der Arbeitgeber stattdessen einseitig Ziele fest, verletzt er damit schuldhaft seine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag und schuldet dem Arbeitnehmenden den entgangenen Bonus als Schadensersatz. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2024, Az. 10 AZR 171/23 Feiertagszuschlag hängt vom üblichen Arbeitsort ab Ein Beschäftigter, der regelmäßig in NRW arbeitet, bekommt den Feiertagszuschlag, wenn er während eines NRW-Feiertags in einem anderen Bundesland für seinen Arbeitgeber unterwegs ist, wo kein Feiertag ist. Der Anspruch auf Feiertagszuschläge richtet sich danach, ob am regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. August 2024, 6 AZR 38/24 Zugangsnachweis bei Kündigung per Einwurf-Einschreiben Wird eine Kündigung am letzten Tag eines Monats zugestellt, ist es von Bedeutung, ob die Zustellung innerhalb der üblichen Zustellzeiten erfolgt ist und der Empfänger noch damit rechnen musste, Post zu bekommen. Laut BAG spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass Bedienstete der Deutschen Post AG Briefe zu den postüblichen Zeiten zustellen. Die übliche Postzustellungszeit ergibt sich aus der Arbeitszeit der Postbediensteten. Diese haben die Zustellungen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Arbeitszeiten zu bewirken. Will der Kündigungsadressat diesen Beweis des ersten Anscheins erschüttern, muss er Tatsachen nachweisen, die es wahrscheinlich machen, dass der Ablauf im Streitfall untypisch war (etwa wegen eines Poststreiks). Andernfalls geht das Gericht von einer Zustellung innerhalb der üblichen Zustellungszeiten aus und damit von einem Zugang des Kündigungsschreibens noch an dem fraglichen Tag. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juni 2024, Az. 2 AZR 213/23
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