Personalmagazin plus 8/2023

13 Künstliche Intelligenz gen und Aufmerksamkeit) und „KI-Winter“ (nachfolgende Phase der Enttäuschung und geringen Aufmerksamkeit) bezeichnet werden. Der gegenwärtige „KI-Sommer“ bezieht sich entsprechend wesentlich auf konnektionistische Anwendungen. Weiter zeigt sich, dass KI – trotz ihrer etwa 70-jährigen Geschichte – im Personalmanagement eine eher „neue“ Technologie darstellt, die derzeit nicht systematisch produktiv eingesetzt wird. Auf der Subkategorien-Ebene gibt es jedoch einige KI-Anwendungen, die bereits produktiv eingesetzt werden. Dies betrifft konnektionistische Unterkategorien wie das CV-Parsing in der Personalbeschaffung und symbolische Subkategorien wie Such- und Matching-Ontologien ebenfalls in Personalbeschaffung. Obwohl solche Anwendungen immer häufiger eingesetzt werden, stehen sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und stellen daher „heimliche“ KI-Anwendungen im Personalmanagement dar. Schließlich zeigt sich insbesondere in der konnektionistischen KI eine größere Zahl von Kategorien mit personalwirtschaftlichen Potenzialen, welche derzeit im Personalmanagement weder bekannt noch diskutiert, geschweige denn erschlossen sind. Dies bezieht sich zunächst auf Affective Computing. Da Personalarbeit sich auf Menschen bezieht und damit zwingend mit menschlichen Emotionen konfrontiert ist, verspricht das Affective Computing offensichtliche und weitreichende Potenziale – zum Beispiel zur Erkennung und Bewältigung von Mitarbeitenden-Stress oder die Verbesserung von Mitarbeitenden-Leistung. Weiter weist auch die Kategorie Robotics ein breites Potenzial für HR-Anwendungen auf. Dies betrifft zunächst „Hybrid“-Roboter, die künftig neben ihren primären Fertigungs- oder Dienstleistungsaufgaben auch sekundäre HRAufgaben, wie Leistungsbeurteilung oder Entwicklungsbedarfsanalyse von mit ihnen interagierenden Mitarbeitenden, übernehmen könnten. Dies betrifft auch proprietäre physische Roboter, die ausschließlich für HR-Zwecke, wie etwa das Durchführen von Bewerbungsgesprächen, eingesetzt werden. Weiter stellt Robotics Process Automation eine Kategorie dar, die zunächst als konventionelle Technologie gestartet ist, sich aber durch zunehmende KI-Anreicherungen in Richtung KI-Anwendung PROF. DR. STEFAN STROHMEIER ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Management-Informationssysteme an der Universität des Saarlandes. Er ist außerdem Sprecher der Fachgruppe „Informationssysteme in der Personalwirtschaft“ in der Gesellschaft für Informatik. Literatur Gartner (2023), Gartner Hype Cycle. https:// www.gartner.com/en/research/methodologies/gartner-hype-cycle Zugriff: 08/05/2023. Strohmeier, S. (2022). Artificial Intelligence in Human Resource Management – An Introduction, in: Strohmeier, S. (Hrsg.). Handbook of Research on Artificial Intelligence in Human Resource Management, Edward Elgar, Cheltenham, 1-22. nischen Disziplinen überlassen; vielmehr sollte sie selbst eine zentrale Rolle darin einnehmen. Eingebettet in die breitere allgemeine Digitalisierung der Personalarbeit bedingt dies ein eigenständiges, umfassendes und herausforderndes neues Aufgabengebiet für das Personalmanagement. Schließlich sollte man mittelfristig eine Ernüchterung gegenüber der KI erwarten und akzeptieren. In der aktuellen personalwirtschaftlichen KI-Diskussion gibt es zahlreiche überzogene Erwartungen, teils aktiv vorangetrieben durch Autoren, Beratungen und Anbieter. Gemäß dem verwendeten Lebenszyklus-Modell und gemäß allgemeiner Erfahrung mit technologischen Entwicklungen folgen auf solche überzogenen Erwartungen notwendigerweise Phasen der Ernüchterung, in der öffentliche Erwartungen buchstäblich einbrechen. Diesen absehbaren Einbruch gilt es als „normale Phase“ zu verstehen und auszuhalten, die man durch kontinuierliche Bemühung um einen produktiven Einsatz der KI im Personalmanagement überwinden kann und muss, anstatt KI vorschnell aufzugeben und so „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. entwickelt. Robotic Process Automation zeigt vielfältige Potenziale zur autonomen Abarbeitung personalwirtschaftlicher Prozesse auch in Interaktion mit Stakeholdern der Personalarbeit. Sehr weitgehende Potenziale (aber auch Risiken) verspricht schließlich die Kategorie Computer Vision, die etwa für die Prävention von Arbeitsunfällen oder die Erfassung von Mitarbeitendenleistungen eingesetzt werden kann. Folgerungen für KI im Personalmanagement Aus den obigen Darstellungen der KI im Personalmanagement lassen sich einige Schlussfolgerungen ableiten: Zunächst sollte die Heterogenität der KI akzeptiert und berücksichtigt werden. KI ist keine homogene Einzeltechnologie, sondern besteht aus sehr unterschiedlichen Hauptkategorien, Kategorien und Subkategorien. Daraus ergeben sich unterschiedliche Anwendungspotenziale, unterschiedliche Anwendungsfälle und unterschiedliche Konsequenzen für die Personalarbeit. Folglich sollten in der künftigen Diskussion die jeweiligen (Sub-) Kategorien sorgfältig unterschieden werden, anstatt sie unter dem Begriff der „KI“ in einen Topf zu werfen und damit einen aufmerksamkeitsheischenden, aber eben heterogenen und deshalb unklaren Begriff zu verwenden. Weiter sollten die KI-Potenziale (besser) genutzt werden. Die Darstellung zeigt, dass in den derzeit in der Personalarbeit bereits diskutierten, insbesondere aber in den (noch) nicht diskutierten KI-Kategorien vielfältige ungenutzte Anwendungsmöglichkeiten bestehen. Dazu müssen funktionierende personalwirtschaftliche KI-Anwendungsfälle ausgearbeitet und evaluiert werden. Dies schließt mögliche technische Anpassungen der von der KI bereitgestellten Basistechnologien ausdrücklich ein. Angesichts der Vielzahl existierender KI-Kategorien und daraus resultierender Anwendungspotenziale stellt dies erkennbar eine umfassende Herausforderung dar, deren Bewältigung eine längerfristige und anhaltende Auseinandersetzung des Personalmanagements mit KI bedingt. Da eine solche künftige Nutzung der KI personalwirtschaftliche Interessen im Kern tangiert, kann und darf die Personalprofession diese Ausarbeitung nicht exklusive tech-

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