Digitales Recruiting 9 In der Coronapandemie haben sich einige digitale Recruitinglösungen bewährt. Aber die Zeiten ändern sich. Die Kontaktbeschränkungen sind weitgehend weggefallen, auch die Erwartungen der relevanten Zielgruppen an die Bewerbungs- und Auswahlprozesse entwickeln sich weiter. Die Arbeitgeber müssen daher immer wieder überprüfen, ob die eingesetzten Verfahren wie synchrone Videointerviews bei Erstgesprächen weiterhin Akzeptanz finden. Mit Blick auf die Arbeitgeberattraktivität sei abschließend noch ein Aspekt thematisiert, der in der Digitalisierungsdiskussion bislang wenig Beachtung gefunden hat. Zu den wichtigsten Determinanten eines attraktiven Arbeitgebers zählt das wahrgenommene Betriebsklima. Werden die Recruitingprozesse weitgehend digitalisiert, wächst die Gefahr, dass die persönlichen Kontaktpunkte zu den Mitarbeitenden eines potenziellen Arbeitgebers abnehmen und folglich weniger Gelegenheit besteht, das Betriebsklima sowie die Unternehmenskultur live zu erleben. Wie kann dieser Nachteil kompensiert werden? Gibt es auch dafür digitale Lösungsansätze? Auch diese Überlegungen zeigen, dass es falsch ist, unreflektiert auf die Digitalisierung der Recruitingprozesse zu setzen. Eventuell kann es Arbeitgebern sogar zum Vorteil gereichen, bewusst eine Gegenstrategie zu wählen und bei bestimmten Zielgruppen gezielt auf andere Recruitingwege zu setzen. Beispiele für Bewerbercastings, die Interessierten eine spontane Teilnahme ermöglichen, oder Meet-ups, bei denen informelle Kontakte geknüpft werden, gibt es schon einige. Auch Postkarten, mit denen Mitarbeitende ihrem Arbeitgeber frühere Kolleginnen und Kollegen vorschlagen können, funktionieren. Ohne Digitalisierung kommen auch die Arbeitgeber klar, die ausscheidenden Beschäftigten mit der Überreichung eines Boomerangs signalisieren, dass ihnen jederzeit die Türen für eine Rückkehr offenstehen. Zuletzt sei noch ein Gesichtspunkt aufgegriffen, der im Recruiting bislang wenig beachtet wurde. Gemeint ist die Situation der Arbeitskräfte, die keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum Internet haben. Diese Personen stehen zwar aktuell nicht im Zentrum des Interesses rekrutierender Unternehmen, da sie sich tendenziell nicht in den Teilsegmenten des Arbeitsmarkts tummeln, die sich durch ausgeprägte Engpässe auszeichnen. Deshalb spielen sie auch keine besondere Rolle, wenn über die Digitalisierung im Personalmanagement nachgedacht wird. Dennoch sollte diesen Menschen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dafür spricht – neben der sozialen Verantwortung der Arbeitgeber und ethischen Überlegungen zu Chancengleichheit und Gleichbehandlung – auch die Tatsache, dass diese Menschen schon bald als potenzielle Mitarbeitende interessant werden könnten, wenn allgemein realisiert wird, dass aus dem Fachkräftemangel schlichtweg ein Arbeitskräftemangel geworden ist.
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