Führungskräfteentwicklung 13 zen wie Englisch. Auch IQ-basierte Fähigkeiten wie Systemdenken oder Mustererkennung sind wichtig, aber nicht ausreichend. Daneben gibt es Kompetenzen, die den Unterschied zwischen einer durchschnittlichen und einer außergewöhnlichen Leistung ausmachen – bei einem Partner einer Unternehmensberatung kann der Gap zwischen Durchschnitt und Star 1.200 Prozent des Profits betragen. Das liegt daran, wie diese Führungskräfte Beziehungen zu Mitarbeitenden und Kunden gestalten: eine Mischung aus Empathie, Einflussnahme, emotionaler Selbstkontrolle und Selbstmotivation. Daher sollten Wirtschaftsuniversitäten mehr daran arbeiten, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Was ändert die explosionsartige Entwicklung von KI daran? Zweifellos wird KI unsere Produktivität enorm vorantreiben. Mit dem technologischen Fortschritt höre ich allerdings oft die Frage: „Welches Risiko birgt die Tatsache, dass Computer und KI immer mehr Aufgaben besser erledigen können als Menschen?“ Mit genügend Zeit werden Computer und KI fast alles besser können. Deshalb lautet die wichtigere Frage: „In welchen Situationen möchten wir Menschen es mit einem anderen Menschen zu tun haben, anstatt mit einem Computer oder KI?“ Solche Fragen können wir nicht beantworten, wenn wir uns nur auf die Vermittlung von Inhalten konzentrieren. Wir müssen Führungskräfte ausbilden, die das „Warum“ hinterfragen – nicht nur das „Was“ und „Wie“. Und hier sehe ich eine Schlüsselrolle der Wirtschaftshochschulen: Sie sollten Menschen inspirieren, dies für etwas zu tun, das größer ist als sie selbst. Wie versuchen Sie, emotionale Intelligenz in Ihren Kursen an der HBS zu lehren? Emotionale Intelligenz ist keine Größe wie der IQ, sondern eine Sammlung von Kompetenzen, die je nach Kontext variieren. Allgemeine Fähigkeiten wie Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle sind universell, während spezifische Kompetenzen wie etwa Optimismus je nach Job unterschiedlich relevant sind. Verkäufer müssen optimistisch sein und bei jedem Anruf daran glauben, dass sie neue Kunden gewinnen. Controller sollten pessimistisch sein und verschiedene Szenarien durchspielen, die vom Schlimmsten ausgehen. Hinzu kommt: Emotionale Intelligenz kann man nicht direkt lernen, sondern nur durch bewusste Verhaltensänderungen entwickeln. Dazu gehört, automatische Muster zu erkennen, den Willen zur Veränderung zu stärken und neue Gewohnheiten zu etablieren. Dieser Prozess erfordert Zeit, einen Lernplan, Experimente und Unterstützung von Partnern. Das versuche ich gemeinsam mit den Teilnehmenden anzuregen. Menschen aufblühen können – ihnen Autonomie bei ihrer Arbeit zu geben, ihnen die Möglichkeit zur Entwicklung gemäß ihrem individuellen Potenzial zu bieten und ihnen Sinn zu vermitteln. Ohne Sinn ist es schwer, Menschen zu motivieren. Sie haben drei Jahrzehnte als Personalberater bei Egon Zehnder gearbeitet. Wie wählt man die besten Top-Führungskräfte aus? Man sollte stärker auf das Potenzial von Bewerberinnen und Bewerbern achten. Früher war Arbeit körperlich, es kam also auf die physische Stärke an. Mit der industriellen Revolution wurde die Arbeit komplexer, man schaute auf den IQ. Weil die Arbeit standardisiert war, zählte die Erfahrung und die Leistung in der Vergangenheit. Dann wurde die Arbeit sehr komplex und erforderte bestimmte Kompetenzen. Manchen Menschen fehlen bestimmte Kompetenzen, aber die können sie noch entwickeln. Jetzt, in dieser extremen VUCA-Welt, reicht selbst das nicht mehr aus, denn die Arbeit ändert sich. Nun kommt es auf das Potenzial an. Wie kann man Potenzial messen? Man muss im Wesentlichen auf fünf Dinge achten. Das erste ist Neugierde. Dabei geht es um eine Haltung, bei der man proaktiv Feedback zu seinem Verhalten und seiner Leistung einholt und entsprechend handelt. Zweitens braucht es die Fähigkeit, Wichtiges von Modetrends zu unterscheiden. In einer komplexen Welt voller Störgeräusche sollten sich Führungskräfte nicht von allen möglichen Ablenkungen verwirren lassen, sondern in der Lage sein, Signale wahrzunehmen, Verbindungen herzustellen und Konsequenzen zu erkennen. Das dritte Element ist Engagement. High Potentials sind hervorragend darin, die Gedanken und Herzen anderer für eine überzeugende Vision zu gewinnen. Und die vierte Eigenschaft von Menschen mit Potenzial ist Entschlossenheit. Gute Leader sind Persönlichkeiten, die in guten wie in schlechten Zeiten auf sich ändernde Ziele hinarbeiten. Allerdings kann auch ein Psychopath all diese Eigenschaften haben. Deshalb gibt es eine fünfte Bedingung: die richtige Art von Motivation und die richtigen Werte. Ist Potenzial eine Frage des Alters? Als ich anfing als Personalberater zu arbeiten, gab es keine Daten und Indikatoren für Potenzial, deshalb habe ich welche entwickelt. Ich wertete vor einigen Jahren Hunderttausende von Profilen aus einer globalen Datenbank aus, mit Kandidaten von Ende 20 bis hin zu 80 Jahren. Ich wollte herausfinden, ob es eine Korrelation zwischen Alter und Potenzial gibt. Tatsächlich lag der Korrelationskoeffizient bei null Komma null. Das heißt, dass wir viel offener sein sollten, sowohl jüngere als auch ältere Bewerber in Betracht zu ziehen, sowohl extern als auch intern. Heißt das also doch, dass man Potenzial und die zugehörigen Eigenschaften trainieren kann? Man kann sie teilweise verstärken. In der Führungskräfteentwicklung würde ich deshalb viel mehr auf Werte und deren Entwicklung setzen. Doch neben dem Potenzial braucht es nach wie vor gewisse Kompetenzen. Zunächst natürlich BasiskompetenSTEFANIE HORNUNG traf Claudio Fernández-Aráoz auf dem Global Peter Drucker Forum in Wien zum Interview. Dort beobachtet sie alljährlich als freie Journalistin für das Personalmagazin internationale Diskussionen zu Führung und Management.
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