Personalmagazin plus 5/2022

wichtigsten Grund für eine Bewerbung dar. Erst mit Abstand folgen Lage und Erreichbarkeit des Arbeitgebers oder das Gehalt. Die Übereinstimmung eigener Wertvorstellungen mit den Werten beziehungsweise der Kultur eines Arbeitgebers, der sogenannte Cultural Fit, ist für 83 Prozent der Befragten wichtig oder eher wichtig. Dieser Wert ist auf dem gleichen Niveau wie 2017. Bei den unter 30-jährigen Jobsuchenden sagen aktuell sogar 90 Prozent, dass ihnen der Cultural Fit wichtig oder sehr wichtig ist. Auch in den Stellenanzeigen wünscht sich mehr als die Hälfte der Befragten Informationen zur Unternehmenskultur. Nicht alle mögen Videointerviews Angesichts der zunehmenden Nutzung digitaler Hilfsmittel im Recruiting, die auf das Pandemiegeschehen zurückzuführen ist, wurde nach dem Erleben digitaler Bewerbungssettings gefragt. Remote Recruiting und Videointerviews stoßen auf eine differenzierte Akzeptanz. So bewerten mehr als 56 Prozent der Befragten Videointerviews als deutlich oder etwas schlechter als Face-to-Face-Interviews. Knapp 24 Prozent sehen sie in etwa vergleichbar mit den bisherigen Interviews an und nur elf Prozent bewerten sie etwas oder deutlich besser. Diese differenzierten Ergebnisse lassen sich zum Teil auf Altersunterschiede zurückführen, die auch bei einer möglichen Nutzung sogenannter One-Click-Bewerbungen sichtbar wurden. Hier zeigt sich, dass fast 55 Prozent diese Möglichkeit nutzen würden (2017 lag dieser Wert bei rund 50 Prozent). Bei den unter 30-Jährigen Befragten würden sogar fast 73 Prozent darauf zurückgreifen. Dauer und Candidate Experience korrespondieren Bewerberinnen und Bewerber erwarten heute, schnell über den Bewerbungserfolg oder eine Absage informiert zu werden. Und immer mehr Arbeitgeber richten ihre Prozesse offenbar danach aus. Im Vergleich zu 2014 konnte die Dauer der Bewerbungsprozesse deutlich reduziert werden. Während 2014 nur ungefähr jeder zweite Arbeitgeber Bewerbungsverfahren – von Einreichung der Bewerbung bis zur finalen Entscheidung – in maximal vier Wochen abschließen konnte, schafften dies 2021 schon über 60 Prozent. Gleichzeitig bemängelt aber etwa ein Viertel der Befragten, dass sie keine angemessen schnelle Antwort auf ihre Bewerbung bekamen.
Wie wichtig die Dauer des Bewerbungsprozesses für eine positive Bewerbererfahrung ist, lässt sich an der Gesamtbewertung der Candidate Experience ablesen (siehe Abbildung). Schnelle Bewerbungsverfahren bringen neben einer besseren Candidate Experience auch mehr potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten mit sich. Dauerte ein Bewerbungsverfahren länger als vier Wochen, gaben 21 Prozent als Grund für den Bewerbungsabbruch an: „Es dauerte mir insgesamt zu lange.“ Weitere 15 Prozent hatten in der Zwischenzeit bereits ein anderes Angebot angenommen. Wichtig für die Candidate Experience ist auch, wie die Verantwortlichen auf der Arbeitgeberseite auftreten. Hierzu wurden die Befragten gebeten, das Auftreten auf einer Skala von eins bis sechs zu bewerten. Die Ergebnisse wurden gefiltert nach denjenigen, die den Bewerbungsprozess (sehr) positiv beziehungsweise (sehr) negativ erlebt haben. Auch hier zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang: Bewerberinnen und Bewerber erwarten hohe Wertschätzung und Umgang auf Augenhöhe im Bewerbungsprozess. Faktoren einer positiven Bewerbererfahrung Trotz einer zunehmend erkennbaren Differenzierung zwischen verschiedenen Befragtengruppen konnten mit der aktuellen Studie die Faktoren einer positiven Bewerbungserfahrung, die in den Vorgängerstudien identifiziert wurden, bestätigt werden. Diese basiert auf Vertrauen, das durch die Faktoren emotionale Verbundenheit, Ergebnisorientierung und Klarheit erklärt und beeinflusst werden kann. Im Wunsch nach Passung mit der Unternehmenskultur sowie in der erwarteten Wertschätzung im Bewerbungsverfahren zeigt sich der Faktor emotionale Verbundenheit. Ergebnisorientierung findet sich in der Erwartung an eine geringe Bearbeitungsdauer der Bewerbung und Klarheit im Wunsch nach Informationen zur Aufgabe, nach Transparenz zum Bewerbungsprozess sowie nach einem persönlichen Ansprechpartner. Jobsuchende nutzen verschiedene Medien zur Suche und Information. Um Aufmerksamkeit zu erreichen, sollten die Arbeitgeber Onlinestellenborsen und andere Medien zielgruppenspezifisch nutzen. Informationen auf der Karrierewebseite sind für die Orientierung und die Einschätzung der kulturellen Passung mit dem Arbeitgeber wichtig. Bei den Stellenanzeigen geht es um klare Informationen zu Anforderungen, zu Werten des Arbeitgebers und zum Bewerbungsprozess. Insbesondere jüngere Jobsuchende schätzen und erwarten hier Transparenz. Jobtitel müssen suchrelevant sein. Digitale Recruitingverfahren sollten einfach sein, offensiv erklärt und bei der Nutzung sollte gegebenenfalls geholfen werden. Zudem wünschen sich die Kandidatinnen und Kandidaten persönliche Ansprechpartner und Informationen zum Stand der Bewerbung. Bei Jobinterviews ist es ratsam, Einblicke zu Arbeitsplatz, Team und Kollegen zu bieten. So werden diese Aspekte für die Bewerbenden erlebbar. Positiv erlebte Bewerbungsprozesse hängen entscheidend von der Geschwindigkeit ab. Bewerberinnen und Bewerber schneller und leichter zum Ziel gelangen zu lassen, zum Beispiel mittels One-Click-Bewerbung, steht vor allem bei Jüngeren hoch im Kurs. Die finale Entscheidung zur Bewerbung sollte idealerweise innerhalb von vier Wochen fallen, höchstens jedoch sechs Wochen dauern. Das wertschätzende Auftreten der Arbeitgebervertreter ist und bleibt ein wesentlicher Faktor der Kandidatenerfahrung. Arbeitgebervertreter müssen den Kandidaten kompetent und auf Augenhöhe begegnen. Die Candidate Experience sollte ständig evaluiert und datenbasiert gesteuert werden. Sie bildet nachweisbar die Brücke zur Überwindung der zwischen Arbeitgebern und Jobsuchern bestehenden Distanz und ist essenziell für den erfolgreichen Aufbau einer Beziehung. PROF. DR. PETER M. WALD ist Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Leipzig CHRISTOPH ATHANAS ist Geschäftsführer der Meta HR Unternehmensberatung GmbH, Berlin Bewerbungsprozess 31

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