Personalmagazin Plus 6/2021
personalmagazin plus: Kanzleien 2021 Kanzleien im Arbeitsrecht 6 enorme Mehrarbeit im Arbeitsrecht hat entstehen lassen und die Kanzleien den mit dem Lockdown einhergehenden Beratungsbe- darf der Unternehmen zu Kurzarbeit und Homeoffice kaum bewäl- tigen konnten, mussten sie sich etwas einfallen lassen, um ihren Mandanten schnellstmöglich das benötigte Arbeitsrechtswissen für die Pandemie zur Verfügung zu stellen. Vor allem die Webseiten der Kanzleien wurden aufgerüstet. Da werden nun Blogs, Podcasts, FAQ-Seiten und Online-Seminare angeboten. Das geht bis hin zum Kurzarbeitergeld-Tool, mit dem direkt online geprüft werden kann, ob die Voraussetzungen für den Bezug von KUG vorliegen. Auch intern wurde umorganisiert, um zusätzliche Kapazitäten für das Arbeitsrecht zu schaffen. Während die Arbeitsrechtspraxen größerer Kanzleien Associates anderer Praxisgruppen einbinden konnten, wurden in den reinen Arbeitsrechts-Boutiquen Prozesse gestrafft oder das Potenzial anderer, während der Pandemie weg- fallender Aufgaben genutzt, um die dringend benötigten Ressour- cen bereitzustellen. Doch all das ändert nichts daran, dass die Arbeitsbelastung der Arbeitsrechtler enorm gestiegen ist. Etliche Arbeitsrechtskanzleien haben aufgrund der Dauerbelastung und als Dank für das besondere Engagement Coronasonderzahlungen ausgeschüttet. Beratungsschwerpunkt Restrukturierung Auch in Beratungsfeldern, die bislang nicht arbeitsrechtlich do- miniert waren, sind arbeitsrechtliche Aspekte in den Vordergrund gerückt. Die Compliance-Beratung musste coronabedingt um die Themen Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit erweitert werden, und auch beim Beschäftigtendatenschutz sind neue Themen hin- zugekommen. Dort dreht sich mittlerweile viel um die Zulässigkeit der Erhebung, Offenlegung und Weitergabe von Gesundheitsdaten. Auch die bAV-Beratung kam nicht ungeschoren davon: Die Man- danten wollen über die Auswirkungen der Kurzarbeit auf die bAV ebenso informiert werden, wie über die Frage, wie die Altersbezüge gegen Insolvenzen abgesichert sind. Doch der Beratungsschwer- punkt der meisten Kanzleien liegt mittlerweile klar auf der krisenbedingten Restrukturierung. Fast alle arbeitsrechtlich spe- zialisierten Kanzleien verzeichnen hier anziehendes Geschäft. Spiegelbildlich dazu erleben auch die Kanzleien, die sich auf die Vertretung von Arbeitnehmern spezialisiert haben, einen Boom. Die unsichere Situation, zu der die Coronakrise in vielen Unternehmen geführt hat, lässt die Arbeitnehmer Jobverlust und arbeitsrechtliche Nachteile fürchten. Bildeten zu Beginn der Pandemie zunächst Fragen rund um die Kurzarbeit den Schwerpunkt der Beratungstätigkeit, so sind es mittlerweile – entsprechend dem zunehmenden Personalabbau der Unter- nehmen – Kündigungsschutzprozesse. Und noch ist die Pflicht zur Insolvenzanmeldung ausgesetzt. Sobald diese wieder in Kraft tritt, wird mit einer stark steigenden Zahl an Insolvenzen gerechnet. Sorgen um zu wenig Arbeit müssen sich auch Arbeit- nehmerkanzleien derzeit nicht machen. Wird das Arbeitsrecht nach der Pandemie wieder an Bedeutung verlieren? Ob die Pandemie den Stellenwert des Arbeitsrechts in größeren Kanzleien nachhaltig erhöht hat, ist derzeit schwer abzuschät- zen. Allerdings war schon in den letzten Jahren zu beobachten, dass das Arbeitsrecht immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Zahl der zugelassenen Fachanwälte für Arbeitsrecht ist von 692 im Jahr 1989 auf 10.826 im Jahr 2020 gestiegen. Dabei ist die Kurve des Anstiegs nie verflacht. An den Anwaltszulassungen in den letzten dreißig Jahren kann man ablesen, welchen Stellen- wert das Thema mittlerweile in den Unternehmen hat. Auch an den Partnerernennungen einiger Großkanzleien oder – in den Boutiquen – an der Verpflichtung renommierter Namen, lässt sich erkennen, dass das Arbeitsrecht in den Kanzleien heutzu- tage als unverzichtbarer und ganz wesentlicher Bestandteil des Beratungsangebots betrachtet wird. Einen Ausblick auf eine Zeit ohne Corona mag man derzeit kaum wagen. Ständig neue Regelungen, die sich binnen kürzester Frist wieder ändern, möchte sicherlich niemand mehr. Die schrittwei- se Rückkehr zur Normalität wird aber auch nicht bedeuten, dass alles so sein wird wie vorher. Das Homeoffice wird bleiben – oder zumindest Formen des hybriden Arbeitens. Dazu wird es neue rechtliche Regeln brauchen. Durch die zunehmende Tarifflucht und sinkende Verbandszugehörigkeit wird sich die Vergütungs- beratung zu einem wichtiger werdenden Themenfeld entwickeln. Diversity und Gleichstellung werden das Arbeitsrecht weiter be- schäftigen, zumal hier aus Europa Vorgaben kommen werden, die über das hinausgehen, was derzeit deutsches Recht ist. In den Kanzleien wird es den Arbeitsrechtlern auch nach der Pandemie nicht langweilig werden. Der Beratungs- schwerpunkt der meisten Kanzleien liegt mittlerweile klar auf der krisenbedingten Restrukturierung. FRANK BOLLINGER betreut in der Redak- tion des Personalmagazins die arbeits- rechtlichen Themen und beobachtet, was sich auf dem Markt der arbeitsrechtlichen Kanzleien tut .
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