Personalmagazin Plus 6/2021
Nachfrage sorgt für Boom 5 Es gibt Gewinner der Coronakrise. Nein, nicht die Toiletten- papierhersteller. Deren Umsatz ist nicht gestiegen. Von der Pandemie profitiert haben die Softwareanbieter, der Online- handel, die Streamingdienste, die Brettspielehersteller und die Fahrradläden. Und Arbeitsrechtskanzleien. Mit Beginn des ers- ten Lockdowns im März 2020 begannen in den Kanzleien die Telefone zu klingeln und seither klingelt es ununterbrochen. Zu Beginn der Pandemie: Homeoffice und Kurzarbeit Ist das Arbeitsrecht in wirtschaftlichen Boomphasen ein zwar stets vorhandener, aber meist unauffälliger Begleiter in den HR-Abteilungen der Unternehmen, so war es nun zu Beginn der Pandemie plötzlich omnipräsent. Rund 70 Prozent der Betriebe in Deutschland haben 2020 Kurzarbeit angemeldet; die meisten davon hatten bis dahin nie etwas mit Kurzarbeit zu tun. Hinzu kam, dass die Politik als Reaktion auf die Krise zahlreiche neue Regelungen geschaffen hat. Wer hier nicht Gefahr laufen wollte, den Überblick zu verlieren, und alles richtig machen wollte, der hat sich professionelle Hilfe geholt. Andere arbeitsrechtliche Themen waren nicht weniger dringlich. Die Hälfte aller Betrie- be in Deutschland hat Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. In vielen davon war Homeoffice bis zu diesem Zeitpunkt nicht üblich. Wie bekommt man Mitarbeiter ins Homeoffice? Welche Regelungen müssen erlassen, welche Vorkehrungen getroffen werden? Welche Ausstattung muss gestellt werden und wie bitte trifft man dazu Vereinbarungen mit einem Betriebsrat, der zu Beginn der Pandemie laut Gesetz ohne Präsenzsitzungen über- haupt nicht beschlussfähig war? Kaum waren die Mitarbeiter im Homeoffice angekommen, schlossen auch die Kitas und Schulen. Wie arbeitet eine allein- erziehende Mutter im Homeoffice, wenn sie zwei Kitakinder zu Hause hat? Im Zweifel so gut wie gar nicht. Was das arbeitsrecht- lich bedeutet? Keine Arbeit, kein Geld? Oder Lohnfortzahlung wegen unverschuldeter Verhinderung? Zunächst herrschte al- lenthalben großes Rätselraten. Entschädigungsansprüche we- gen Kita- und Schulschließung oder auf diese Fälle erweitertes Kinderkrankengeld gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Gefragte Expertise Das Arbeitsrecht spielte ein komplettes Jahr lang verrückt. Vom Bundesarbeitsministerium über die Ministerien der Länder, Ge- werkschaften, Verbände, Industrie- und Handwerkskammern bis hin zu Rechtsschutzversicherern, Seminarveranstaltern und Verlagen: Überall wurde intensiv zu arbeitsrechtlichen Themen während der Pandemie informiert. So viel Arbeitsrecht war nie. Die arbeitsrechtlichen Probleme, die es zu lösen galt, schossen wie Pilze aus dem Boden. Arbeitsschutzverordnungen mussten rechtssicher in die betriebliche Praxis umgesetzt werden, es waren Datenschutzprobleme bei Konferenzsoftware zu lösen, arbeitszeitgesetzkonforme Schichtsysteme auszuknobeln, um der Gefahr zu entgehen, dass bei einer Coronainfektion eines Mitarbeiters ganze Abteilungen ausfallen, und zu klären, welche Regeln aufzustellen sind, um aus dem Urlaub zurückkehrende Beschäftigte auf möglichst gefahrlose Weise wieder in den Be- trieb zurückkehren zu lassen. Darf der Arbeitgeber Urlaub in einem Risikogebiet verbieten? Bevor HR dazu selbst eine in- nerbetriebliche Regelung entwirft, konsultiert man doch lieber einen Spezialisten. Mittlerweile sind die Unternehmen bei den Themen Coronatests und Impfung in den Betrieben angekom- men. Auch hier stellen sich zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen. Schon mit der Begleitung dieser Themen wären die Arbeits- rechtler in den Kanzleien gut beschäftigt gewesen. Doch hinzu- kam und kommt immer mehr ein weiteres großes klassisches Themenfeld, auf dem die Expertise der Anwälte gefragt ist: Umstrukturierungen und Personalabbau. Reorganisation der Wirtschaft sorgt für Arbeit in den Kanzleien Viele Unternehmen sind durch Corona in Schieflage geraten. Um ganze Branchen ist es nicht gut bestellt. Hotelketten, Fluglinien, Reiseveranstalter, Messebetriebe. Vielerorts herrscht Flaute mit wenig Hoffnung. Um aus der Krise heraus wieder an den Start gehen zu können, müssen Strukturen angepasst und Personal, das nicht mehr in der Menge wie vor der Pandemie beschäftigt werden kann, abgebaut werden. Das hat bereits begonnen. 2020 haben elf Prozent der Unternehmen in Deutschland Personal ab- gebaut. Bei den Kanzleien gehen mehr Nachfragen nach Beratung zum Thema Reorganisation ein, als derzeit bewältigt werden kön- nen. Darunter sind Branchenriesen wie Lufthansa oder Tui, die von absoluten Topkanzleien beraten werden. In diesem Zusam- menhang anstehende Themen wie Unternehmensspaltungen, Betriebsübergänge und -änderungen sowie damit verbundene Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften über Inte- ressensausgleiche, Sozialpläne und Überleitungsvereinbarungen bewältigt kaum ein Unternehmen ohne arbeitsrechtliche Unter- stützung durch eine Kanzlei. Die Kanzleien reagieren auf den unverhofften Boom des Arbeits- rechts so gut sie können. Nachdem die Coronakrise über Nacht Arbeitsrecht ist in der Pandemie so gefragt wie nie. Digitali sierung, Remote Work, Kurzarbeit in nie gekanntem Ausmaß, Coronasonderregelungen allenthalben. Neue Geschäftsmodelle werden entwickelt, Unternehmensstrategien für die Zukunft entworfen. Dazu wird umstrukturiert und reorganisiert. Immer mit an Bord: das Arbeitsrecht.
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