Personalmagazin Plus 6/2021

Hinweisgeberschutzgesetz 21 mationsinteresse an den Hinweisen von Whistleblowern besteht. Aber der Konflikt bleibt: Auch der, dessen Verhalten be- richtet wird, hat ein Persönlichkeitsrecht. Das sieht auch der Entwurf so, der schon im ersten Paragraphen schreibt, dass es ihm nicht nur um den Schutz des Hin- weisgebers geht: „Darüber hinaus werden auch natürliche Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offen- legung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung be- troffen sind.“ Aber wenn das Gesetz dies doch genau- so sieht, dann ist doch alles gut? Nein, das glaube ich nicht, denn daraus folgt zu wenig. Aktuell sieht der Entwurf vor, dass mit solch einem vielleicht auch nur sehr vagen Verdacht direkt an die Behörde gegangen werden kann, und all das gegebenenfalls dann auch öffentlich gemacht werden kann, wenn die Behörde dem nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nachgeht. Jeder möge sich vor- stellen, dass da sein eigenes Verhalten berichtet wird. Nichts ist bislang passiert, nichts wäre rechtswidrig, vielleicht sogar: Keiner hat intern von der Meldung ge- wusst, und dennoch können solche In- terna an die Presse gegeben werden. Das entspricht nicht dem Grundsatz der Ver- hältnismäßigkeit. Gegebenenfalls können selbst Geschäftsgeheimnisse so an die Öffentlichkeit kommen, denn auch diese können unter bestimmten Umständen an die Meldestelle gemeldet werden. Und mehr noch: Bislang ist der Hin- weisgeber, der unrichtige Informationen fahrlässig verbreitet, dem schadens- ersatzpflichtig, dessen Ruf gegebenen- falls ruiniert wird. Zukünftig soll es eine Schadensersatzpflicht eben nur bei grob fahrlässigem Verhalten geben, egal wie groß der Schaden ist und selbst dann, wenn die Information gezielt erfolgte, um den Betroffenen zu schädigen. Das wäre sicherlich kein Fortschritt. Die Gesetzes- begründung behauptet, dass müsse aus Gründen des Europarechts so sein. Das ist schlichtweg falsch. Dem Europarecht geht es um den Schutz vor Repressionen, nicht um Privilegierung. Und was wäre Ihr Vorschlag? Der Entwurf sollte also noch einmal durchdacht werden. Dabei sollte man sich auch noch mal vor Augen führen, was die für die externe Meldung zustän- dige Behörde leisten soll und kann. Dies ist der Planung nach grundsätzlich der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Das wäre eine ganz neue Zuständigkeit der Behörde, bei der Synergien mit der bisherigen Tätigkeit nicht unmittelbar offensichtlich sind. Die Behörde muss entscheiden, ob der Verstoß geringfügig ist, ermitteln, ob das gemel- dete Verhalten bereits Gegenstand eines Verfahrens war, Auskünfte einholen und Akteneinsicht nehmen. Aber wie? Gemel- det werden kann jede beliebige Ordnungs- widrigkeit: Wasserwirtschaftsrecht, Stra- ßenverkehrsrecht, Außenwirtschaftsrecht, Lebensmittelrecht, Arbeitsschutz oder was auch immer. Welche Kompetenz kann eine Behörde haben, überall hier sachkundig auch nur eine anfängliche Einschätzung vorzunehmen? Und welche Konsequenz soll ein solches Verfahren haben, wenn es gar nicht um verbotenes Verhalten geht, sondern eben nur „missbräuchliches“ Ver- halten? Wenn das Verhalten, selbst wenn es sich als zutreffend erweist, was berich- tet wird, nicht untersagt werden kann? Hat dies dann irgendeinen Sinn? Haben Sie weitere Anregungen? Bei der Ermöglichung von Meldekanälen hört die rechtliche Steuerung nicht auf. Eine andere Frage, die diskutiert wird: Kann man Unternehmensmitarbeiter ge- setzlich verpflichten, künftig im Falle von Anhaltspunkten für Gesetzesverstöße das Unternehmen zu informieren? Und wenn ja: Wer wäre dann der passende Ansprech- partner für den Whistleblower? Konkret: Kann es eine Pflicht zum Whistleblowing geben? Hier müsste schon der Gesetzge- ber handeln, denn die bisherige Recht- sprechung würde das für viele Fälle wohl verneinen. Schon früh wurde darüber dis- kutiert, ob ein Arbeitnehmer aufgrund der gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Treuepflicht zum Whistleblowing ver- pflichtet ist. So führte der große Arbeits- rechtler der Weimarer Zeit, Walter Kaskel, schon 1925 in seiner Gesamtdarstellung des Arbeitsrechts die Pflicht zur Anzeige als Ausfluss der Treuepflicht auf. Das Bundes- arbeitsgericht zeigte sich in seinen Urteilen bislang sehr vorsichtig. In einzelnen Fällen hat es aus der Treuepflicht des Arbeitneh- mers eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht von Arbeitnehmern abgeleitet beziehungsweise diskutiert, die in bestimmten Fällen eingreifen soll. Eine verallgemeinerungsfähige Aussage zu ei- ner Pflicht zum Whistleblowing ist diesen sehr stark auf den jeweiligen Einzelfall be- zogenen Judikaten des BAG gleichwohl nicht zu entnehmen. Auch die überwie- gende Ansicht im deutschen Schrifttum wertet bei der Annahme einer Pflicht zum Whistleblowing sehr zurückhaltend. Hier wäre ein gesetzgeberischer Hinweis wert- voll. Die Regelung der Meldepflicht unter Einhaltung der Grenze des billigen Ermes- sens muss auch in einem Verhaltenskodex möglich sein, der auf arbeitsvertraglicher Ebene für im jeweiligen Arbeitsverhältnis anwendbar erklärt wird. Einige Dax-Unter- nehmen bedienen sich dieses Regelungs- modells, andere empfehlen nur, Meldung zu machen, andere haben einzelvertragli- che Regelungen bei leitenden Mitarbeitern. Insgesamt also ein guter Schritt nach vorne oder nicht? Das kommt darauf an, was man daraus macht. Es geht um eine bessere Balan- ce, um den richtigen Weg zum wichtigen Ziel. Es geht um einen realistischen Blick darauf, was so ein Gesetz leisten kann. Die Entwurfsbegründung bemängelt, dass bislang auch bei „guter juristischer Beratung“ ein Whistleblower oft nicht weiß, was er darf und was nicht. Eben das sollte der Maßstab sein, der bislang nicht erfüllt ist: Kann das Gesetz gute juristische Beratung erleichtern? Gibt es einen sicheren, ausgewogenen Rahmen im Interessenkreis von Whistleblower, Öffentlichkeit, Unternehmen und gegebe- nenfalls zu Unrecht Bloßgestellten? Wenn dies gelingt, ist es gut. Dass es gelingt, bedarf noch einmal genauen Hinsehens. Und für die Unternehmen: Was wird das Gesetz bringen? Das hängt natürlich davon ab, was am Ende herauskommt. Aber alle beteiligten Kreise sagen, weil die Richtlinie ja bis zum 17. Dezember umgesetzt werden muss, dass das Gesetz kommt. Und dann ist jetzt schon klar: Die Meldewege für Whistleblowing müssen neu durchdacht und gegebenenfalls erleichtert werden. Der Datenschutz muss geprüft und die Arbeitsverträge gegebenenfalls angepasst werden. Jeder Code of Conduct, der Re- gelungen zum Whistleblowing enthält, muss überprüft werden, ob er den An- forderungen an das Prüfverfahren, der Unabhängigkeit und dem Verfahren der Meldestelle gerecht wird. Viel Arbeit – aber für einen guten Zweck.

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