Personalmagazin Plus 6/2021
Kanzleien im Arbeitsrecht 20 personalmagazin plus: Kanzleien 2021 Vorrang schafft zudem für Unternehmen einen wirksamen Anreiz, tatsächlich effek- tive Meldekanäle zur Verfügung zu stellen. Ich sehe nicht, warum Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht vereinbaren können, grundsätzlich diesen internen Weg zu- nächst zu beschreiten. Ist das so wichtig? Das ist zumindest sinnvoll, denn nach der Konzeption des Entwurfs genügt es, dass der Whistleblower begründete Ver- dachtsmomente offenbart über Hand- lungen, die zwar gar nicht rechtswidrig sind, aber „missbräuchlich“ sein könnten – was immer das meint –, und noch gar nicht passiert sind, aber sehr wahrschein- lich erfolgen könnten. Und was berichtet wird, muss gar nicht wahr sein, solange der Berichtende gutgläubig ist, und der Sachverhalt muss gar nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, solange der Berichtende hinreichende Gründe für die Annahme hatte, dass dem doch der Fall ist. Er ist dann geschützt, selbst wenn er schuldhaft irrt, solange dies nicht grob fahrlässig ist. Eine defi- nitorische Unsicherheit reiht sich also an die nächste. Das ist denkbar weit gefasst. Zu weit, um dem Unternehmen und auch demjenigen Rechtssicherheit zu geben, dessen Verhalten Gegenstand der Mel- dung oder auch Denunziation ist. Ist es beim Whistleblowing nicht bes- ser, lieber ein wenig zu viel als zu we- nig zuzulassen? Das ist mir zu pauschal. Da bin ich zu sehr Datenschutzrechtler. Whistleblow- ing – schon der Ursprung des Worts gibt einen Hinweis auf seine ursprünglich ja negative Konnotation. Denn „to blow the whistle“ bedeutet, jemanden zu verpfei- fen. Der Whistleblower – ein Verräter? Das niedrige Ansehen von Verrätern hat auch durchaus Tradition, das „Verpetzen“ eines anderen wird als anstößig empfun- den. In Dantes göttlicher Komödie sind die Verräter im neunten und damit inner- sten Kreis der Hölle versammelt, wo sie zur Strafe für ihren Verrat bis zum Hals in Eisblöcken festgefroren sind. „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ In jüngerer Zeit verliert das Whistleblowing jedoch zu Recht mehr und mehr das ihm ursprünglich vielleicht anhaftende „Schmuddelimage“. Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein erhebliches öffentliches Infor- ich wundere mich schon: Der Entwurf spricht von „natürlichen Personen des Privatrechts“, die es nicht gibt, und er will das Gesetz ausdrücklich nicht nur für Arbeitnehmer gelten lassen, sondern auch für Tarifbeschäftigte – das ist ein Neolo- gismus der Gesetzessprache, bei dem es schwerfällt sich vorzustellen, wer das sein könnte, wenn nicht ein Arbeitnehmer. Der Entwurf enthält Grammatikfehler und al- lerlei nutzlose Wiederholungen und Füll- wörter. Dieses und anderes Kurioses und Liebloses: geschenkt. Schwamm drüber. Eine gute Rechtsförmlichkeitsprüfung wird hier Abhilfe schaffen. Na ja, das kannman vielleicht über vie- le Entwürfe sagen. Wie beurteilen Sie denn die Regelungen selbst? Darum geht es doch. Völlig richtig. Aber der dringende Kor- rekturbedarf ergibt sich aus den Rege- lungen selbst. Sie sind – um es platt zu sagen – schlicht übergriffig. Was meinen Sie damit? Na ja, das fängt damit an, dass dem Arbeitnehmer nun die Meldung an eine externe Behörde als erster Meldeweg of- fensteht, noch bevor er sich an seinen Arbeitgeber gewandt hat. Das ist eine ganz grundlegende Weichenstellung. Europa- rechtlich ist das grundsätzlich durchaus gewollt. Aber hier kann und muss man vorsichtiger sein. Die Begründung führt aus: „Ob und inwieweit Beschäftigungsge- ber Anreize für Beschäftigte schaffen, zu- nächst interne Meldeverfahren zu nutzen, wird bewusst nicht vorgegeben. Nicht mit den Vorgaben dieses Gesetzes vereinbar wäre es indes, den Zugang zu externen Meldestellen durch interne Vorschriften oder Vereinbarungen einzuschränken.“ Diese Vorstellung, man könne das ver- traglich nicht regeln, entspricht nicht der bisherigen Rechtsprechung, die von einem Vorrang der internen Meldung ausgeht, und eben dies ist auch meines Erach- tens europarechtlich nicht zwingend. Die Richtlinie selbst fordert ausdrücklich: „Die Mitgliedstaaten setzen sich dafür ein, dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Mel- dekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hin- weisgeber keine Repressalien befürchtet.“ Dies sind die Fälle, wo bislang der Vor- rang der internen Meldung galt. Nur dieser Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein erhebliches öffentliches Informations- interesse an den Hinweisen von Whistleblowern besteht. Aber der Konflikt mit dem Persönlichkeits- recht des Beschuldigten bleibt bestehen.
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